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POV Keno
Es war bereits nach acht Uhr abends und Kai war immer noch nicht zurückgekommen. Nach der Massenpanik im Einkaufszentrum hatte ich mir erstmal keine Gedanken gemacht und war der Meinung, sobald sich das Chaos gelegt hatte, würde Kai sich zurechtfinden und nach Hause kommen. Aber als Isabelle mir dann berichtete, dass sie Kai vor dem Ereignis auf dem Weg nach Hause angetroffen hatte, wuchs meine Beunruhigung von Minute zu Minute. Auch die beruhigenden Worte der Beta halfen nichts und so tigerte ich in einem Fort in meinem Büro umher. Isabelle hatte sich auf meinem Bürostuhl niedergelassen und starrte auf die Papiere vor sich, die eigentlich zur Bearbeitung dort lagen. Auch sie konnte sich keinesfalls konzentrieren und war mit den Gedanken meilenweit entfernt. ,,Lass uns losgehen und ihn suchen. Er kennt sich schließlich noch immer nicht so gut aus, vielleicht hat er sich einfach verlaufen.", meinte ich und Isabelle sprang sofort aus dem Stuhl auf, warf diesen dabei um und war keine Sekunde später auch schon zur Tür hinaus verschwunden. Keno ich hoffe er hat sich verlaufen, auch wenn wir beide wissen, dass das bei Wölfen beinahe unmöglich ist. Bitte lass ihm nichts zugestoßen sein. Das hoffe ich auch. ,,Kommst du endlich?!", kam es von draußen und jetzt erst realisierte ich, dass ich wie festgefahren ins Nichts gestarrt hatte. Genauso wie bei Isabelle wuchs meine Beunruhigung immer mehr und trieb uns in den Wald, auf den Weg den die Beta Stunden zuvor Kai beschrieben hatte. Der Pfad führte durch den Wald nahe der Rudelgrenze in die Stadt und war deshalb eine relativ beliebte Abkürzung. Kaum hatten wir den Waldrand hinter uns gelassen, stieg uns der Geruch von Blut in die Nase und beschleunigte unsere Schritte. Als wir dem Ursprung des Geruchs näher kamen, mischten sich auch andere Duftnoten darunter. Schwach konnte ich auch Kai noch wittern. Er musste vor mindestens vier oder fünf Stunden hier gewesen sein, sonst wäre der Geruch nicht so schwach. Auf einer kleinen, überschaubaren Lichtung konnten wir dann die Quelle der Gerüche ausfindig machen aber wie erwartet, war diese verlassen. Neben Fußabdrücken fanden wir noch Blutspuren, die allerdings von mehr als einer Person stammten. Das machte mir aus irgendeinem Grund Hoffnung. Wenigstens waren sie anscheinend nicht so stark, dass Kai keine Chance gegen sie hatte. Offenbar konnte er sich zumindest für kurze Zeit verteidigen. Während ich in Gedanken versunken auf die Lichtung starrte, war meine Beta schon losgelaufen, der Spur hinterher, die über die Rudelgrenze führte und meine Befürchtungen bestätigte. Sicher konnte ich mir nicht sein aber in dieser Richtung gab es nicht viel, außer das Bergmassiv, weite offene Täler und einen alten verfallenen Bunkerkomplex, der von einem kleinen Dorf getarnt war. Gerüchte fraßen sich, wie ein Virus durch das Rudel, dass die alte Militärbasis als Unterschlupf diente. Für wen, allerdings, das wusste keiner. Einen Versuch war es wert und ich hoffte, dass unsere einzige Chance nicht in einer Finte oder einer Falle endete. Kai muss durchhalten. Ich will nicht dort ankommen und nur seine Leiche mit zurück nehmen müssen. Die bloße Vorstellung jagte eine unangenehme Gänsehaut meinen Rücken hinauf und die kleinen Härchen in meinem Nacken stellten sich unwillkürlich auf. Die Beta rannte los, vergrößerte den Abstand und zwang mich ebenfalls das Tempo zu erhöhen. Die Spur führte uns abseits der Befestigten Weg immer weiter vom Rudel weg und die Bäume und Sträucher wurden  immer lichter, bis sie schließlich in hohes Gras und Farne übergingen. Die Bergkette am Horizont kam mit jedem Kilometer näher, wie eine unüberwindbare Wand, aber die Spur führte weiter darauf zu. Das Adrenalin pumpte durch meinen Körper und setzte ihn in Flammen, beschleunigte ein weiteres Mal meine Schritte und verbannte zumindest für den Moment die Sorgen, die allgegenwärtig durch meinen Verstand schossen. Nach weiteren dutzend Kilometern schälte sich ein kleines, verlassenes Dorf aus den grün und braun Tönen der umgebenden Landschaft. Das alte Bergarbeiterdorf war seit Jahren verlassen und sah dementsprechend verfallen aus. Vor Jahren wurde es bei einem Erdrutsch zerstört, bei dem ein Großteil seiner Einwohner entweder ums Leben kam oder sich in Sicherheit bringen musste und floh.
Nach wenigen Minuten hatten wir die ersten Häuser erreicht und einige der Duftnoten waren hier deutlich stärker. Sie konzentrierten sich vor einem beinahe drei Meter hoch aufgetürmten Geröllhaufen, der ein paar Häuser unter sich begraben hatte. Auf den ersten Blick sah dieses Monstrum unüberwindbar aus aber Schleifspuren und kleine Sandhäufchen am Ende dieser legten den Verdacht nahe, dass man einen Teil des Haufens irgendwie bewegen konnte. Mein Instinkt sagte mir, dass Kai irgendwo dort unten war. ,,Meinst du nicht wir sollten nochmal zurückgehen und Verstärkung holen." Isabelle sah mich fragend an und riss mich mit ihrer Frage aus den Gedanken. Ich brauchte gar nicht zu überlegen. ,,Nein wir gehen da jetzt rein, wer weiß wie lange Kai noch hat. Ich glaube zwar nicht dass sie ihn umbringen werden aber ich will es trotzdem nicht hinauszögern. Je schneller wir ihn da rausholen, desto besser." Ich hoffe für dich dass du recht hast. ,,Komm hilf mir mal. Man muss das irgendwie aufziehen können." Mit einiger Mühe ließ sich ein Teil des Felsens bewegen. Der Spalt war gerade so groß, dass wir beide hindurch schlüpfen konnten. Hinter mir fiel die Tür wieder in die ursprüngliche Position zurück und lies uns zusammenzucken. Wenn uns nicht spätestens jetzt jemand bemerkt hatte, dann waren sie wirklich noch viel unvorsichtiger als ich gedacht hatte. Es war stockdunkel und so blieb uns nichts anderes übrig, als uns an der Wand entlang zu tasten. Nach ein paar hundert Metern kamen wir an eine weitere Tür, die sich allerdings deutlich leichter öffnen ließ. Isabelle hatte sie bereits aufgezogen und linste durch den schmalen Spalt in den Raum dahinter. Kurz drehte sie sich zu mir um, bedeutete mir, leise zu sein und hier zu warten, und war verschwunden, bevor ich widersprechen konnte. Wir können sie doch nicht einfach allein da rein gehen lassen. Na komm, Keno, beweg deinen Arsch. Sie ist deine Beta eigentlich sollte sie hier warten und nicht du. Irgendwie hatte er ja recht. Aber ich wusste nicht was sie vorhatte. Was wenn ich ihr einen Strich durch die Rechnung mache? Ein Schuss nahm mir die Entscheidung ab und so riss ich die Tür auf, stürmte in den Raum, bereute es aber sofort wieder. Wie wärs mit nachdenken du Holzkopf. Wenn wir draufgehen hat Kai keine Chance. Ich hoffe das war dir bewusst bevor du diese verdammte Tür aufgerissen hast. Lev hatte recht. Ich stand vollkommen unbewaffnet sieben anderen Wölfen gegenüber, die jedoch sehr wohl bewaffnet waren. Isabelle war nirgends zu sehen. Entweder sie hatte es geschafft sich hinein zu schleichen ohne entdeckt zu werden oder sie lag irgendwo mit einem Loch im Hirn. Ich hoffte auf ersteres. In Gedanken ging ich meine Möglichkeiten durch, entschied mich dann aber dafür es darauf ankommen zu lassen. ,,Legt die Waffen weg und lasst uns wie richtige Männer kämpfen." Die Provokation schien Wirkung zu zeigen, denn die ersten reichten Ihre Waffen an den Nebenmann weiter, blieben aber in der Defensive. Schlau. Aber ich würde garantiert nicht den ersten Schritt machen. Nach wenigen Augenblicken schienen die ersten ungeduldig zu werden, denn zwei von Ihnen stürzten auf mich zu hielten aber nicht einmal meine Faust aus. Kai hatte anscheinend ganze Arbeit geleistet, denn der nächste der diesmal langsamer auf mich zukam, sah aus als hätte er den Boden heute schon einmal geküsst. Naja dann wird er ihn ein weiteres Mal küssen. Und das tat er dann auch. Die verbliebenen vier griffen auf einmal an, setzten diesen Vorteil aber nicht durchdacht ein und standen sich gegenseitig im Weg. Nachdem der letzte zu Boden gegangen war, schnappte ich mir zwei der Waffen, ein Armeemesser und steckte so viel Munition ein wie möglich. Systematisch schlich ich von Raum zu Raum und erreichte schließlich eine Treppe die tiefer in den Untergrund führte. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich dort unten sowohl Isabelle als auch Kai finden würde. Vorsichtig stieg ich die schmalen Stufen hinunter und stand schließlich in einer art Dojo. Dort fand ich dann auch Isabelle, die sich in eine Ecke geduckt hatte und in den Gang dahinter linste. Auch sie hatte einige erledigt, und sich den Weg bis hier unten frei gekämpft. Geduckt schlich ich zu ihr herüber und sah sie fragend an. Sie vermutete Kai in einem Raum auf der linken Seite, hatte aber auf mich gewartet, teilte sie mir mit, in dem sie gebärdete. Weil die Tür vermutlich abgeschlossen war, war es um einiges leichter zu zweit dort einzudringen. Nachdem wir uns einig geworden waren, dass ich die Tür eintreten würde und Isabelle mit den beiden gestohlenen Waffen den Raum abdecken würde, schlichen wir an der Wand entlang und gingen an beiden Seiten der Tür in die Hocke und lauschten. Es herrschte Stille und es schien so als würde sich niemand dort drinnen befinden. Laut Isabelle aber war der Raum keineswegs leer. Kurz besah ich mir das Schloss und die Scharniere, entschied mich dann aber aufgrund des einfach gehaltenen Türblattes dafür, die Tür einfach einzutreten. Gesagt, getan. Isabelle kauerte sich neben mir auf den Boden, bereit jederzeit aufzuspringen, sobald das Holz nicht mehr im weg war. Ich suchte einen sicheren Stand und mit einem gut platzierten Tritt ungefähr einen Fuß oberhalb des Griffs flog sie mit dem Geräusch splitternden Holzes aus dem Ramen. Kaum hatte ich mein Bein wieder heruntergenommen, war die Beta aufgesprungen und richtete nun beide Läufe der geladenen Waffen auf den Mann der lässig hinter einem Schreibtisch saß und die zerstörte Tür interessiert musterte. ,,Nero", knurrte ich. ,,Da hätte ich früher draufkommen können." Nero grinste nur. ,,Warte. Ihr kennt euch?", fragte Isabelle fassungslos. ,,Los verschwinde. Stell sicher, dass wir heil hier rauskommen. Das ist eine Sache zwischen uns.", grollte ich und sofort zog sich die Beta zurück und verschwand durch die Tür.

Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt