22.

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POV Keno
Kai war so plötzlich und flink im Wald verschwunden, dass ich erst einmal einige Sekunden einfach nur wie festgewachsen im Garten stand und ihm hinterher starrte. Lev schrie beinahe, als er mich geradezu anflehte ihm zu folgen. Ich allerdings war gerade so verwirrt, dass selbst das unbestreitbare Gefühl einen riesigen Fehler begangen zu haben, meine bleischweren Beine nicht zu bewegen vermochte. Auch meine Beta hinter mir herrschte mich an, meine Schuldigkeit zu tun und ,,das zwischen euch", wie sie es nannte, zu klären, was auch immer es sein mochte. Weiterhin war ich nicht in der Lage mich zu bewegen, geschweige denn einen vernünftigen, erwachsenen Gedanken zu fassen. ,,Mann dir muss man echt zu deinem Glück verhelfen! Beweg deinen Arsch jetzt oder ich mache dir Beine", fuhr mich meine Beta zunehmend aufgebracht an. Um ihre Worte zu unterstreichen, kam sie auf mich zu, stemmte ihre Hände auf meinen Rücken und schob mich vor sich her. Erst als wir die Baumgrenze erreicht hatten, ließ sie von mir ab. Kaum hatte ich mich umgedreht um sie zu fragen was das sollte, stach sie mir ihren ausgestreckten Zeigefinger fest gegen die Brust und knurrte: ,,Versaus nicht!" Diese unmissverständliche Zurechtweisung setzte sich direkt hinter meinen Augen fest und trug nicht gerade dazu bei meine Unsicherheit zu lindern. Lev drängte, um endlich die Kontrolle zu übernehmen und schließlich gab ich mit einem lautlosen Seufzer nach. Seine Pfoten hatten kaum den weichen Waldboden berührt, als er auch schon der schwachen Spur zu unserem Glück oder unserem Untergang hinterher hetzte.

Kai war schnell und unwillkürlich fragte ich mich wie er sich in solch kurzer Zeit so mühelos in diesem Wald zurechtfinden konnte. Ich vermutete ihn an dem kleinen, seichten See, wo ihn Lev's Nase auch wenig später fand. Seine Beine an die Brust gezogen saß er auf dem sandigen Ufer und sein Blick schien in weite ferne gerichtet zu sein. Wieder in meiner menschlichen Gestalt ging ich auf ihn zu und ließ mich mit etwas Abstand neben ihn sinken. ,,Ich habe wirklich gedacht du kommst nicht", wisperte er, den Blick weiterhin auf einen unbekannten Fixpunkt am gegenüberliegenden Ufer gerichtet. Leicht gekränkt spähte ich aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber, bekam aber nur sein nichts sagendes Profil zu sehen. Einzig und allein das kurze zucken seines Augenliedes überzeugte mich davon, dass auch er die Situation einigermaßen unangenehm fand. Wie kann das sein? Wie kann so viel in nicht einmal 24 Stunden kaputtgegangen sein? Lev schnaubte nur, womit er mir zu verstehen gab das er ziemlich genau wusste was ich versaut hatte. ,,Darf ich... Darf ich dich in den Arm nehmen?" In Ermangelung an sicheren Gesprächsthemen warf ich diese gestotterte Frage in den Raum zwischen uns und war mir ziemlich sicher, dass es die falsche gewesen war. Kai schüttelte nur mit dem Kopf und würdigte mich weiterhin keines Blickes. Ok, vielleicht sollte ich direkt den Kern der Sache zur Sprache bringen. ,,Was habe ich falsch gemacht? Ich glaube du vertraust mir nicht mehr!" Na das war doch zumindest ein korrekter, vollständiger Satz. Nach einigen Minuten des Schweigens, in welchen ich mit zunehmender Resignation davon ausging, dass Kai gar nicht mehr antworten würde, kullerte eine kleine Träne aus seinem Augenwinkel. ,,Mal davon abgesehen, dass ich dir nie vollständig vertraut habe, ist das dein verdammter Ernst!? Ich glaubs nicht! Sobald du zu einer Erkenntnis gekommen bist, lass es mich wissen. Vielleicht würde dieses Gespräch dann mehr Sinn ergeben." Das tat weh. Seine Stimme war immer leiser aber auch gleichzeitig gereizter geworden, so völlig unpassend an diesem friedlichen Fleckchen Erde. Meine Verzweiflung war mit jedem Wort, dass seinen Mund verlassen hatte, gewachsen. ,,Ich will doch nur dass es zwischen uns wieder ist wie vorher", versuchte ich meinen unrealistischen Wunsch auszusprechen. Kai allerdings schien meine Aussage gar nicht gut aufzunehmen, im Gegenteil ihm schien gleich der Kragen zu platzen.

POV Kai
Das war zu viel. Meine Tränen konnte ich nicht mehr länger zurückdrängen und kurz darauf flossen sie über meine Wangen, den haltenden Damm in Trümmer gelegt. ,,Ist das dein Scheiß ernst!" Jetzt schrie ich im Gegensatz zu vorhin wo ich meine Stimme nur mit Mühe beherrscht hatte. ,,Du hast mich alleine gelassen als ich dich verdammt nochmal am meisten gebraucht habe. Du hast absolut angewidert ausgesehen und ich habe mich sofort noch schlechter und unerwünschter gefühlt... Ich..." Ich war aufgesprungen, während Keno weiterhin auf dem Boden saß und unendlich traurig zu mir hoch sah. Meine Stimme zitterte so sehr dass ich nicht glaubte noch ein einziges weiteres Wort über meine Lippen pressen zu können. Langsam erhob sich der Alpha ebenfalls, sodass ich jetzt auf seine Brust starrte, anstatt in seine glasigen Augen. Ein Schluchzer entrang sich meiner Kehle und am liebsten würde ich jetzt auf ihn einprügeln. Offenbar hatte ich es nicht nur gedacht, sondern auch laut ausgesprochen denn Keno trat einen Schritt zurück und sah mich erwartungsvoll an. ,,Ich weiß das ist keine Entschuldigung, aber ich war so überfordert mit der Situation, dass mir die einzig logische Schlussfolgerung war zu fliehen. Wenn du mir gerade noch nicht verzeihen kannst, dann ist das in Ordnung. Ich werde warten. In der Zwischenzeit kannst du mich gerne so lange schlagen, bis du dich zumindest etwas besser fühlst." Als er geendet hatte, breitete er seine Arme wie eine Einladung aus, wobei ich mit Verblüffung feststellen musste, dass er es womöglich doch nicht einfach aus einer Laune heraus entschieden haben könnte und sich wirklich von mir vermöbeln lassen würde, bis ich genug hatte. Es würde zwar auf Dauer keine Probleme lösen aber ihm eine zu Scheuern, würde mich zumindest äußerlich ein wenig beruhigen. Den Sturm in meinem inneren konnte vermutlich nichts so leicht wieder zum abflauen bringen. Mit zwei festen Schritten hatte ich den Abstand zwischen uns überbrückt und mit einem gezielten Schlag mitten ins Gesicht seine Nase gebrochen. Überrascht taumelte er einige Schritte zurück. Ob er sich die Hand auf die Nase presste bekam ich nicht mehr mit, denn entschlossen hatte ich mich wieder umgedreht und mich in den nassen Sand gesetzt, diesmal ein wenig näher, sodass meine nackten Füße von den seichten Wellen umspült wurden. Nur das leise Keuchen hinter mir bestätigte mir, dass Keno nicht einfach den Schwanz eingezogen hatte und abgehauen war. Einige Zeit später ließ er sich erneut neben mir auf den Boden fallen, ein Blick zu Seite bestätigte mir, dass sein Shirt blutig war. Auch seine Hände, die er kurzerhand einfach ins kalte Wasser tauchte, färbten die klaren Wogen rot. Ein schlechtes Gewissen keimte in mir auf. Nein, du wirst dich nicht entschuldigen, Kai. ,,Magst du schwimmen gehen?" Mein Blick schoss zur Seite, offenbar hatte ich mich verhört. Aber als er das blutige Shirt über seinen Kopf zog, war ich mir sicher das richtig verstanden zu haben. Hat der jetzt völlig den Verstand verloren. Anscheinend. ,,Ich kann nicht schwimmen", gab ich zu. Mittlerweile hatte er sich bis auf die Unterwäsche ausgezogen und war in den See gewatet. Das kalte Wasser reichte ihm bis zu den Rippen und die kleinen, rosigen Brustwarzen wurden unwillkürlich hart. Seufzend schlug ich meine Augen nieder und zog ein weiteres mal meine Knie an die Brust. In meine Gedanken vertieft sah ich einem kleinen Fischlein hinterher und war mir erst jetzt der Stille bewusst. Ein leises platschen lies mich aufsehen, wobei sofort nackte Beine in meinem Sichtfeld auftauchten. Mein Blick hatte gerade sein Gesicht erreicht, da streckte er mir seine Hand entgegen, eine stumme Aufforderung mich ebenfalls in das kalte, klare Wasser zu wagen. Mit einem leichten Kopfschütteln legte ich meinen Kopf wieder auf den Knien ab und schloss die Augen, in der Hoffnung Keno würde von mir ablassen. Der kleine Tropfen Regen, der auf meine Haare niederging enttäuschte diese, weil der Alpha offenbar direkt über mir stand und sich schüttelte wie ein nasser Pudel. ,,Lass das!" Empört sah ich nun doch hoch und bekam prompt eine Ladung Wasser ins Gesicht, was nicht unbedingt zur Besserung meiner Laune beitrug. ,,Du machst mich ganz nass", beschwerte ich mich während ich mein Shirt auswrang. ,,Dann zieh dich endlich aus und komm." Die Begeisterung in seiner Stimme erinnerte mich mehr an ein kleines Kind als an einen erwachsenen Mann aber zumindest zu einem kleinen Teil war sie ansteckend. Murrend und immer noch wenig begeistert schälte ich mich aus den mittlerweile klammen Klamotten und watete nun auch in den See. Überraschenderweise wurde es zunehmend wärmer, je weiter ich mich hineinwagte, blieb jedoch stehen als das Wasser mir bis zum Bauchnabel reichte. Als wäre er eine Ente und kein Wolf kam er zurückgepaddelt, blieb vor mir stehen und sah mich fragend an. ,,Ich hab dir doch gesagt ich kann nicht schwimmen!", nuschelte ich. Meine Ausrede fand allerdings keinen Anklang und so zog Keno mich hinter sich her, bis ich kaum nich stehen konnte. ,,Hör auf. Ich kann nicht mehr stehen!" Mit jedem weiteren Schritt wuchs die Panik und meine Füße fanden immer weniger halt auf dem schlammigen Grund. Keno blieb stehen und ragte wie ein Schatten über mir auf. In diesem Moment kochten die Erinnerungen an meinen Vater über, der damals, als ich noch keine 7 Jahre alt gewesen war, versucht hatte mich in einer Regentonne in unserem Garten zu ertränken. Mein Körper versteifte sich und war nicht mehr in der Lage meinen Kopf über Wasser zu halten. Kaum war ich vollständig untergetaucht, schlang Keno einen Arm um meinen Oberkörper, zog mich wieder nach oben und presste mich an sich. Mein Körper zitterte so stark, dass ich nicht einmal die Kraft besaß mich an ihm festzuhalten, weshalb er seinen anderen Arm auch noch um mich schlang. ,,Hey, hey. Beruhig dich. Kai, was ist denn los?" Seine Hand umfasste mein Kinn, wodurch ich gezwungen war ihn anzusehen. ,,Was ist denn los, Kai?", fragte er erneut, diesmal deutlich gehetzter. Immer noch war ich nicht in der Verfassung mich zu erklären, geschweige denn auch nur meinen Mund aufzubekommen. Zügig watete Keno zurück ans Ufer und ließ mich von seinem Arm gleiten. Sofort gaben meine Beine nach und meine Knie landeten im Sand, wo ich zitternd sitzen blieb, bis Keno sich ebenfalls sinken ließ und mich auf seinen Schoß zog. ,,Kai? Was hast du denn?" Sanft strich er mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht und sah mich fragend an. ,,Ich...Ich hasse tiefes Wasser", bekam ich dann doch stotternd über meine Lippen. ,,Warum hast du denn nichts gesagt, dann hätte ich dich doch nicht mit reingezogen. Selbst wenn du nicht schwimmen kannst. Ich hätte es dir gerne beigebracht. Aber das scheint nicht das Problem zu sein, oder?" Er hatte es auf den Punkt gebracht und das Zittern wurde nur noch stärker, als die Erinnerungen auf meinen Verstand einstürzten. Seine Umarmung verfestigte sich, während ich mich ebenfalls stärker an ihn klammerte. Er hat nicht versucht dich zu ertränken. Er hat nicht versucht dich zu ertränken. Er hat nicht versucht dich zu ertränken. Wie ein Mantra lief diese Feststellung in meinen Kopf ab, trug aber nur minimal dazu bei dass ich mich beruhigte. Nach gefühlten Stunden hatten die sanften Kreise auf meinem Rücken und die beruhigende Wärme es geschafft, meine aufgewühlten Nerven zur Ruhe zu bringen und auch das Zittern hatte aufgehört. Den Kopf an Keno's Schulter gepresst sog ich die Luft ein paar mal tief in meine Lungen und wappnete mich gegen seine Reaktion. ,,Mein Vater hat versucht mich als Kind zu ertränken. Seit dem war ich nie wieder dort im Wasser, wo ich nicht stehen oder den Boden nicht sehen konnte." Immer noch zitterte meine Stimme ein wenig. Der Alpha keuchte überrascht. ,,Ist das dein Ernst? Falls er noch nicht krepiert sein sollte, werde ich ihn in Stücke reißen." Seine Augen glühten Rot und verhießen nichts als rohe Gewalt, als ich zu ihm aufsah.

Schatten der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt