POV Kai
Bei jeder Kurve oder Erschütterung des Motorrads schloss sich der schraubstockartige Griff des Alphas fester um meinen Oberkörper, wodurch ich gezwungen war nach nur wenigen Minuten in eine Pannenbucht zu fahren und anzuhalten. Auch jetzt lösten sich die Arme nicht und ich musste die ineinander verschränkten Finger vorsichtig lösen um überhaupt atmen zu können. ,,Warum hast du angehalten", kam es verunsichert von hinten, wobei Keno's Stimme keineswegs fester klang, als vorhin. ,,Weil ich nicht atmen kann. Wenn du so weitermachst, dann habe ich keine einzige intakte Rippe mehr. Ernsthaft, du musst dich nicht so festklammern. Ich werde uns nicht in ein frühzeitiges Grab befördern." Die Versicherungen schienen ihren gewünschten Effekt zu verfehlen. Der Alpha lockerte seinen Griff nur minimal und schien nicht gewillt loszulassen. ,,Bitte. Du brichst mir meine Rippen. Lass endlich los oder ich lass dich hier stehen," versuchte ich es mit einer Drohung, die allerdings nur das Gegenteil bewirkte. Keno schloss bei der Aussicht, hier allein gelassen zu werden, seine Arme wieder fester um mich. Unwillkürlich entfuhr mir ein gequältes Keuchen. Es fühlte sich an, als würde Knochen an Knochen reiben. War doch schon eine Rippe gebrochen oder war es ein alter Bruch der nie richtig zusammengeheilt war? Jetzt durch dem unnachgiebigen Druck der Arme schien die Bruchstelle die fragile Stabilität verloren zu haben. Der feurige Schmerz in meinem Brustkorb nahm sämtlichen Raum in meinem Kopf ein und erstickte die Aussicht auf einen klaren Gedanken im Keim. ,,Runter von dem Bike", brachte ich durch zusammengebissene Zähne hervor. Ich wusste nicht ob es der Befehl oder mein Tonfall war aber Keno bewegte sich hinter mir. Scheinbar hatte er durch den Schock jegliche Körperbeherrschung verloren, denn er blieb mit dem Fuß hängen und bevor ich mich versah kippten wir beide zur Seite. Mit seinen Armen um meine Mitte hatte ich keinerlei Möglichkeit den Sturz abzufangen und der Aufprall auf dem harten Schotter presste sämtliche Luft aus meinen Lungen. Die Knochenenden verschoben sich erneut und ich war mir sicher, dass ein spitzes Ende meinen linken Lungenflügel durchstochen hatte. Sofort war es fast unmöglich zu atmen und meine Muskeln verkrampften sich, während ich auf dem Rücken lag und verzweifelt nach Luft rang. Es klang ehr wie ein Japsen, als ich versuchte Luft zu holen. Weiterhin schien Keno völlig in seiner eigenen Welt festzustecken, denn er sah mich nur verwirrt von der Seite an, als hätte ich einen Witz gemacht, den er nicht verstand. Zu allem übel triggerte die verletzte Lunge meinen Hustenreiz und es fühlte sich an als würde mein Brustkorb explodieren. Erst der blutige Speichel der mein Kinn hinablief und auf den Boden tropfte, brachte den Alpha wieder zurück ins hier und jetzt. Er rappelte sich auf und packte mich an den Schultern. ,,Was ist denn los Kai?" Seine Stimme klang in der aufsteigenden Panik viel zu hoch. ,,Hilf mir beim aufsetzten", brachte ich stockend hervor. Dieses Knochenfragment musste aus meiner Lunge heraus. Denn alle Selbstheilungskräfte waren um sonst, wenn ich hier verblutete. Als die Hände des Alphas sich um meine Oberarme schlossen um mich sanft anzuheben, konnte ich mir ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht verbeißen. Nun lehnte ich mit dem Rücken an meinem Bike und versuchte vergebens wieder zu Atem zu kommen. ,,War ich das?", fragte Keno besorgt. ,,Ja, und du musst mir helfen das wieder in Ordnung zu bringen." Während ich die abgehackten Silben herauspresste, versuchte ich mich aus der Lederjacke zu schälen, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. ,,Sag mir was ich tun kann", bat der Mann neben mir und ich wusste instinktiv, dass ihm nicht gefallen würde, worum ich ihn gleich bitten würde.Kaum hatte ich mich aus dem störenden Leder befreit, zog ich den Helm vom Kopf und mein Shirt gleich mit. In dem verwirrten Blick, den Keno mir zuwarf erkannte ich, dass er nicht wusste was ich vorhatte. ,,Ich brauche deine Krallen und dein Alphagift", klärte ich ihn auf. Ich hatte es nicht für möglich gehalten aber seine Augen wurden noch größer. ,,W-Warum?! Ich werde dich nicht verletzten." Erneut nahm seine Stimme einen leicht panischen Unterton an. ,,Das hast du schon. Jetzt musst du mir helfen es wieder in Ordnung zu bringen", brachte ich mühsam hervor. Gleich würden ihm die Augen aus dem Kopf fallen, da war ich mir sicher. Bevor er protestieren konnte warf ich schnell dazwischen: ,,Genau hier musst du die Haut ritzen, bis ich hineingreifen und den Knochen rausziehen kann." Mit meinem Finger deutete ich auf den rechten unteren Rippenbogen und hob dann den Blick um dem Alpha in die Augen zu sehen. Nichts verriet mir ob er mir überhaupt zugehört hatte. Er starrte regelrecht durch mich hindurch. ,,Mach endlich! Oder du willst dass ich hier mitten im Nirgendwo jämmerlich verblute!" Hoffentlich würde das drängen in meiner Stimme ihn zur Vernunft bringen denn der Blutverlust begann mir langsam zu schaffen zu machen. Mein Atem ging flacher und eine eisige Kälte begann meine Beine nach oben zu kriechen. Wenn sie mein Herz erreicht hatte dann, das wusste ich mit untrüglicher Sicherheit, war es vorbei. Offenbar ahnte er nicht wie ernst die Situation war. Normalerweise war ein Pneumothorax ohne schnelle Notfallmedizinische Versorgung ein sicheres Todesurteil. Ich hatte nicht vor zu sterben und schon gar nicht wenn ich es mit ein bisschen Hilfe verhindern konnte. Grob packte ich den Alpha am Ärmelaufschlag seiner Jacke und fuhr ihn an: ,,Wenn du mir schon nicht aktiv helfen willst, dann pack wenigstens deine Krallen aus, dann mach ich es selbst." Meine Hände zitterten leicht und ich wusste aus Erfahrung, dass es nur noch schlimmer werden würde. Also musste ich schnell sein. Endlich ging ein Ruck durch Keno's Körper und er sah mich an, als hätten die letzten Minuten nur in seinem Kopf stattgefunden. Instinktiv hatte er seine Krallen gezückt. Entweder aus Reflex oder weil er mir tatsächlich zu einem gewissen Teil zugehört hatte. Ich griff nach seiner Hand, weil ich davon ausging, dass er sie mir einfach als Werkzeug überlassen und den Blick abwenden würde. Die folgende Veränderung trat so plötzlich ein, dass der Alpha wie ausgewechselt wirkte. Erstaunlich sanft legte er seine Hand auf meinen Bauch, wobei die Wärme seiner Haut einen wohligen Schauer auslöste. ,,Sag mir wenn es genug ist", flüsterte er und setzte die Kralle seines Zeigefingers genau so an, wie ich es ihm gerade gezeigt hatte. Die andere Hand wanderte auf meinen unteren Rücken, um einen Gegenpol zu bilden und mich zu stützen. Erst war es nur ein kurzer, heißer Schmerz, der sich allerdings in Sekunden schnelle zu einem scharfen Stechen auswuchs, als die Gift getränkte Kralle meine Haut durchbohrte. Keno sah mich an und erhöhte den Druck, als er noch tiefer schnitt. Ein leises Keuchen entkam meinen Lippen, als er die Bauchdecke durchbrach. Er wusste instinktiv, dass das genug war und er zog sich etwas zurück. Dunkles Blut rann aus dem Schnitt, der durch das Gift des Alphas nicht sofort wieder zuheilte, wie es eigentlich der Fall gewesen wäre. Für einen Moment schloss ich die Augen und versuchte zu Atem zu kommen, was allerdings unter den gegebenen Umständen ein hoffnungsloses Unterfangen war. ,,Soll ich es versuchen?", fragte Keno sanft. Ein kurzes Kopfschütteln war das einzige, was ich zustande brachte. Da er einsah, dass er anders nicht helfen konnte, schob er sich vorsichtig hinter mich, sodass seine Körperwärme in meinen Rücken sickern konnte. Länger zu warten war gefährlich, das wusste ich. Mit einem leisen ergebenen Seufzer schob ich meine eiskalten, zitternden Finger in den aufklaffenden Schnitt und tastete nach dem glitschigen Knochenstück. Es brannte furchtbar und mein Blickfeld begann sich zu verengen, so allumfassend war der Schmerz. Nach wenigen Augenblicken bekam ich es zu fassen, musste aber inne halten, da mir schwarz vor Augen wurde. Mein Kopf sank gegen Keno's Brust und sofort lag seine Hand an meiner Wange und streichelte sanft darüber, was tatsächlich half und mich ein wenig beruhigte, da ich wusste dass mein Mate da war, falls ich das Bewusstsein verlieren sollte. Als sich das Gefühl der Schwerelosigkeit wieder ein wenig gelegt hatte, öffnete ich die Lieder, sah auf meine blutigen Finger nach unten und sobald ich einen sicheren Griff hatte, riss ich meine Hand zurück, wobei sich ein Schwall Blut über meinen Bauch ergoss. Das Knochenfragment glitt mir aus den bebenden Fingern. Sofort presste Keno seine Hände auf die Wunde. Natürlich war es falsch einen Fremdkörper in dieser Situation zu entfernen aber wenn er verblieben wäre, hätten meine enormen Selbstheilungskräfte nicht ihr übriges tun können und ich wäre sicherlich wie jeder normale Mensch innerhalb der nächsten fünf Minuten gestorben. So wartete ich mit geschlossenen Augen, meinen Rücken an Keno's Brust gelehnt darauf, dass sich die innerlichen Verletzungen schlossen und sich meine Atmung allmählich normalisierte. Der Alpha hielt weiterhin seine Handflächen fest auf meinen Bauch gepresst, da dieser Schnitt im Gegensatz zu den anderen Verletzungen nicht so schnell heilen würde. Das Gift in den Krallen eines Alphas sorgte dafür, dass die damit zugefügten Wunden schlechter heilten und in jedem Fall Narben zurückbleiben würden. Das alles war mir herzlich egal. Ich war einfach nur froh nicht draufgegangen zu sein. Keno schien das ähnlich zu sehen denn er ließ seine Wange auf meinen Scheitel sinken und zog mich noch enger an sich.
,,Es tut mir so leid", drang Keno's raues flüstern an mein Ohr. ,,Schon ok." Meine Erwiderung war kaum mehr als ein Seufzen weil mir immer noch furchtbar schwindlig war. ,,Nein, es ist nicht ok. Ich weiß nicht warum mich das so schockiert hat, weil es ja nicht das erste Mal war dass ich jemanden habe sterben sehen. Bitte versteh mich nicht falsch aber ich habe nicht damit gerechnet, dass du so grausam und kalt sein kannst. Eigentlich müsste ich langsam daran gewöhnt sein, dass du mich regelmäßig mit deinem Tun überraschst. Aber das sah so... So professionell aus?" Er ließ es wie eine Frage klingen und ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er so dachte. ,,Ich hatte keine andere Wahl. Wäre mein Herz nicht zu dem Eisklotz geworden, der es heute ist, wäre ich sicherlich schon tot." Keno schwieg einen langen Moment, bevor er einen federleichten Kuss auf meinen Scheitel drückte und meinte: ,,Ich bin froh dass du noch da bist, mein kleiner Schneemann." Der Spitzname ließ mich schmunzeln. Einige Minuten saßen wir noch so aneinander gelehnt, bis ich mich vorsichtig versuchte auf zu setzten, da es langsam dunkel wurde. Keno war schneller und kaum war er hinter mir hervor geglitten, stand er vor mir und zog mich auf die Beine. Überraschender Weise hatte ich keine Probleme mich aufrecht zu halten und war zuversichtlich, dass ich die restliche Strecke schaffen würde. Mein Mate hatte in der Zwischenzeit mein Shirt in Streifen gerissen und band diese nun als provisorischen Verband um meinen Bauch. Anschließend half er mir in die Lederjacke, zog den Reißverschluss nach oben und versicherte mir mit einem entschuldigenden Lächeln, dass er sich diesmal nicht so fest an mich klammern würde. Als wir beide wieder auf dem Bike saßen startete ich das Navi und ließ den Motor an. Hinter mir lehnte sich Keno an meinen Rücken und hielt sich an meinen Hüften fest, um die Wunde nicht erneut aufzureißen. So müsste es gehen, hoffte ich und fuhr von dem Schotterstreifen.
POV Keno
Ohne weitere Zwischenfälle parkte Kai das Motorrad knappe zwei ein halb Stunden später vor dem Rudelhaus. Kaum hatte er den Ständer nach unten geklappt, kletterte ich hinter ihm von der Maschine und half ihm das Bein über den Sitz zu schwingen. Seine Erschöpfung hatte mit jedem Kilometer zugenommen, wobei er trotzdem sehr sicher gefahren war. Aber jetzt sah man ihm die Müdigkeit an der Körperhaltung an. Er zog den Schlüssel ab und ging Richtung Haustür. Ich beeilte mich zu ihm aufzuschließen, hielt ihm die Tür auf und folgte ihm ins warme Wohnzimmer, wo er sich, so wie er war auf die Couch sinken ließ. Meinen eigenen Helm zog ich mir vom Kopf bevor ich zu Kai ging und ihn ebenfalls davon befreite und ihm die Jacke auszog. Die Stoffstreifen waren blutig, also war meine ganze Vorsicht um sonst gewesen. Offenbar hatten die Vibrationen des Motors die Wunde immer wieder aufbrechen lassen und ich war mir sicher, dass Kai Schmerzen hatte, obwohl er nicht einmal das Gesicht verzog. Kurz überlegte ich ob ein einfacher Verband reichen würde aber sobald ich den feuchten Stoff abgewickelt hatte, verwarf ich diese Überlegung sofort wieder. Die Wundränder klafften weiter auseinander als noch vor einigen Stunden und waren stark gerötet. Das konnte entweder an dem Gift liegen oder es hatte sich entzündet. ,,Bin gleich wieder da." Nur ein kurzes Nicken zeigte mir, dass Kai mich gehört hatte. Aus dem Gästebad im unteren Stockwerk holte ich den Verbandskasten und kehrte damit wieder ins Wohnzimmer zurück, wo Kai mittlerweile auf der Couch lag. Kurzerhand kniete ich mich neben ihn, klappte den Verbandskasten auf und hoffte inständig, dass er alles nötige enthielt. Zu Oberst fand ich direkt eine kleine Flasche Desinfektionsmittel, was ich sofort großzügig auf der Wunde verteilte. Kai biss die Zähne zusammen als die Flüssigkeit seine Haut berührte und ich entschuldigte mich stumm, indem ich kurz seine Hand drückte. Auch ein Fadenset befand sich in dem kleinen Kasten und obwohl es schon lange her war, dass ich zuletzt eine Wunde genäht hatte, war ich mir ziemlich sicher, dass ich noch wusste wie es ging. Es benötigte zehn Stiche, wobei sich die Muskeln unter meinen Händen bei jedem einzelnen ein wenig mehr verkrampften. Kaum hatte ich den letzten Stich gesetzt und den Faden verknotet, seufzte Kai auf und entspannte sich sichtlich. Auch diesmal hatte er keinen Mucks von sich gegeben und der leise Seufzer schien das einzige Zeugnis seiner Schmerzen zu sein, dass er sich gestattet hatte. Den Kasten klappe ich zu, ließ ihn allerdings in Reichweite stehen und ging in die Küche um ein Geschirrtuch zu befeuchten, mit dem ich das getrocknete Blut entfernte. Kai war eingeschlafen, sobald ich die Decke über ihn gebreitet hatte und ich bezog neben ihm auf dem Boden Stellung. Automatisch wanderten meine Finger zu seinem Puls, um mich zu vergewissern, dass das regelmäßige pochen unter meinen Fingerspitzen nicht plötzlich versiegte. Am Morgen würden mir sicher alle Knochen wehtun aber es war gerade wichtiger Kai so nahe wie möglich zu sein und so betete ich meinen Kopf auf seinen Oberarm, wo ich den sanften Puls unter seiner Haut hören konnte.
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Schatten der Vergangenheit
WerewolfEin normaler 17 jähriger Junge oder doch nicht? Dieser Junge war ein Omega. Aber an sich ist daran ja noch nichts unnormal. Auf den ersten Blick sah er auch aus wie ein typischer Omega: etwas kleiner als gleichaltrige und schmächtig. Man sieht ihm s...