Kapitel 65

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Musik dröhnt durch meine Ohren. Bunte lichter flackern durch den Raum und eine riesige Menschenmasse tanzt auf der Tanzfläch. Betrunkene Millennials torkeln betrunken an uns vorbei. Mell greift nach meiner Hand, während wir zur Bar gehen, damit wir einander nicht verlieren. Wir bestellen uns Tequila und Mischgetränke. Ich lecke mir eine stelle über den Handrücken, streue Salz auf die Stelle, lecke ihn ab, kippe den Tequila hinter und beiße in die Zitrone. Danach bestelle ich direkt zwei weitere, obwohl Mell noch nicht mal ihren ersten ausgetrunken hat.
"So kenne ich dich ja gar nicht.", brüllt sie über die Musik hinweg und trinkt ihren Tequila aus. Genau in diesem Moment werden uns die nächsten Serviert, bevor der Kellner verschwindet wieder schnell verschwindet und andere durstige Menschen bedient. New York ist schon faszinierend. Es ist Wochenanfang und trotzdem steigen immer irgendwo Partys die bis in die früh gehen. Wie Mell diese hier gefunden hat, weiß ich nicht genau. Der Club scheint fast so exklusiv zu sein wie das Luce. Nur dank Mell ihrem Charme und ihren vorteilfhaften Bekanntschaften, sind wie hier reingekommen. Die Frauen nach uns hatten weniger Glück.
„Ich brauche das heute.", erwidere ich laut genug, damit sie mich versteht. Ich brauche das wirklich. Mein Leben gleitet mir gerade durch die Hände. Bis heute morgen hatte ich noch einen Job. Bis vor zwei Monaten hatte ich den Teufel noch nicht an der Backe und niemanden, der meine Gedanken kontrolliert und mich damit beauftragt, irgendein dummes Amulett zu finden, dass sich in Lucifers Haus in den Hamptons befindet. Doch ich denke heute nicht mehr darüber nach, was morgen ist. Ich will mich betrinken und Spaß haben. Vielleicht schnappe ich mir irgendeinen Süßen Typen und knutsche mit ihm rum.
Das bist nicht du, Lilith, raunt mir mein Unterbewusstsein zu. Wer bin ich dann? Ich bin eine Frau, die für ihren Sportlehrer das College sausen lassen hat, nur um am Ende verlassen zu werden, ohne eine Erklärung dafür zu erhalten. Ich habe mein Leben nach der Highschool damit verbracht, nicht darüber nachzudenken, wie anders ich bin, nur um an meinem einundzwanzigsten Geburtstag den Teufel zu treffen, der nicht nur der schönste Mann ist, den ich je gesehen habe, nein, er ist auch das größte Arschloch, dass mir je unter die Augen gekommen ist. Trotzdem habe ich mich in ihn verliebt, obwohl ich weiß, das er eine Seite in sich hat, die er mir nur Bruchstückweise offenbart und die mir ziemliche Angst macht. Ich will gar nicht wissen, wie viel Hass er noch in sich trägt. Wie viel Wut. Und wie böse er wirklich tief in seinem inneren ist.
Ich wünsche mir, die Zeit zurückspulen zu können. Ich würde meine Noten auf der Highschool nicht vernachlässigen. Mich bei einem gutem College bewerben und verschwinden, so wie Jack es getan hat, ohne mich von ihm zu verabschieden. Ich würde niemals diesen Coffeeshop betreten, um Lucifer nicht zu treffen. Mein Leben wäre normal. Bis auf die Tatsache, das ich diese mir unerklärliche Kraft besitze, die ich weiterhin versuche zu unterdrücken. Wozu ich wohl imstande wäre wenn Lucius mir beibringen würde sie zu kontrollieren?
Nicht nachdenken, sondern Spaß haben.
Nachdem wir unsere Getränke ausgetrunken haben, schwingen wir auf die Tanzfläche. Ich tanze mit Mell, als gäbe es nur sie und mich. Wir lachen gemeinsam und reiben unsere Körper aneinander, wie es die anderen Menschen, die genauso in Partylaune sind wie wir, tun. Dafür ernten wir viele anerkennende und schmachtende Blicke von angetrunken Männern, deren Fantasien sicherlich mit ihnen durchgeht. Doch von denen lassen wir uns nicht ablenken. Im letzten Jahr auf der Highschool haben wir uns oft als Studenten ausgegeben, um bei wilden Collegepartys dabei zu sein. Nicht nur einmal haben wir wild rumgeknutscht und die Typen sind ausgeflippt. Damals war ich noch anders. Heute versuche ich zumindest so wie damals zu sein.
Wir tanzen so lange, bis wir nicht mehr können und eine Verschnaufpause brauchen. Und gerade als wir zur Bar gehen wollen, taucht plötzlich eine gefährlich gutaussehende Frau, mit dunklem Teint und schwarzen haaren, die offen und wild sind, vor uns auf.
„Ich hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen." Alice steht mit verschränkten Armen vor uns und Mells Blick wechselt von Alice zurück auf mich und dann wieder zu Alice.
„Ist das nicht die aus dem Luce?"
„Ich bin Alice und würde gern mit deiner Freundin allein sprechen, wenn es dir nichts ausmacht.", erwidert sie, ohne ihren Blick von meinem zu weichen. Alice hat mir gerade noch gefehlt. Mell wartet auf meine Zustimmung und ich nicke. Sie verschwindet zur Bar, wo ich sie sehen kann. Mit Abstand zu den tanzenden Menschen suche ich eine freie Sitzecke.
„Hat Lucifer dich geschickt? Sollst du etwa meinen Babysitter spielen?", frage ich gereizt und laut genug, damit sich mit verstehen kann. Sie nimmt vor mir Platz und lässt ihren Blick durch die Menschen gleiten.
„Einen scheiß muss ich tun. Ich bin nicht seine Sklavin."
„Und was willst du dann von mir?", will ich wissen. Das würde mich nämlich blendend interessieren. Ich erinnere mich wieder daran, was Lucius zu mir gesagt hat. Alice ist ganz schön tief in dein Unterbewusstsein vorgedrungen. Vielleicht versucht sie das ja wieder. In meinen Kopf eindringen. Mich Sachen tun lassen, von denen ich vermutlich nichts mehr weiß.
Sie weicht meinem Blick aus. Die sonst so taffe und selbstbewusste Alice weicht meinem Blick aus und scheint darüber nachzudenken, was sie sagen soll.
„Es tut mir leid, ja?", gleitet plötzlich über ihre Lippen. Mein Kinn fällt beinahe nach unten und ich sehe sie mit halboffenem Mund an. Entschuldigt sie sich etwa gerade dafür, weil sie Lucifer dazu gedrängt hat, mich abzuservieren?
„Was genau tut dir leid?", hake ich nach.
Sie verdreht die Augen. „Du weißt genau, was mir leid tut. Jetzt nimm die Entschuldigung einfach an und lass uns zur Versöhnung einen trinken."
Ich bin sprachlos. Ich hätte ja mit vielem gerechnet, aber ganz sicher nicht damit.
„Ich trinke nicht gern mit Menschen, die mich nicht leiden können.", sage ich schließlich und halte Ausschau nach Mell. Sie steht immer nach an der Bar und trinkt einen Cocktail.
„Wieso denkst du, dass ich dich nicht leiden kann?"
Ich sehe sie mit hochgezogener Augenbraue an. Das kann nicht ihr ernst sein.
„Du weißt genau, warum ich das denke."
„Ich mag dich. Jetzt lass uns an die Bar.", drängelt sie, doch ich verschränke die Arme vor der Brust.
„Wieso sollte ich dir glauben?", will ich wissen. Ich vertraue ihr einfach nicht. Absolut gar nicht. Erst recht nicht nachdem Lucius mir gesagt hat, sie sei in meinem Kopf gewesen. Das würde zumindest erklären, weshalb ich so viele Gedächtnislücken habe. Wie die Nacht, über die ich nicht nachdenken will. Bis heute weiß ich nicht, wieso ich so außer Kontrolle geraten bin.
„Willst du das wirklich von mir hören?"
Ich nicke nur. Wieder verdreht sie ihre Augen. Senkt ihren Kopf und schaut mich dann direkt an.
„Du erinnerst mich an eine Frau, die ich sehr geliebt habe. Lucifer wird sie vielleicht mal erwähnt haben.", erklärt sie. Sofort weiß ich, von wem sie spricht.
„Lucille?"
Sie nickt, bevor sie fortfährt. „Lucifer hat sie von Anfang an manipuliert und sie hat sich von seinen lügen blenden lassen. Sie hat erst zu spät begriffen, was sein wahres ich ist, doch dann war es bereits zu spät. Und ehe ich mich von ihr verabschieden konnte, hatte L..." Sie zögert. Hält kurz inne. Ich runzle die Stirn. Doch dann spricht sie weiter. „Sie wurde ermordet. Lucifer hat sie vielleicht nicht direkt umgebracht, doch er hat zu ihrem Tod beigetragen und ich will nicht, dass dich ihr Schicksal ebenso ereilt."
Mit so viel Ehrlichkeit habe ich nicht gerechnet. Wobei ich sagen muss, ich vertraue ihr immer noch nicht.
„Dir kann doch egal sein, ob ich Tod oder lebendig bin. Wir kennen uns kaum. Du willst mir doch nicht weiß machen, das nur meine Ähnlichkeit mit Lucille dich dazu bringt, meine Affäre mit Lucifer zerstören zu wollen?"
Sie lächelt schief. „Ich schätze dich ziemlich schlau ein, Lilith. Aber du bist jung und naiv. Du hast noch keine Ahnung, wie Lucifer wirklich ist. Wie grausam er sein kann. Wie eiskalt er tief in seinem inneren ist. Doch ich hoffe, dass du es noch begreifen wirst. Und das hoffentlich rechtzeitig. Ich mische mich nicht mehr ein. Aber sollte es darauf ankommen..."
Sie beugt sich zu mir vor und schaut mir ernst in die Augen. „Ich sage es mal so, Lilith... Dann hast du einen verbündeten in mir. Auch wenn Lucifer denkt, ich sei nur ihm gehörig, weil ich seine scheiß Hexe für alles bin und er denkt ich hätte niemand anderen als ihn, an dem ich mich halten kann.", spuckt sie die Worte verächtlich aus.
Ich schlucke. Alice ist gar keine Dämonen. Sie ist eine Hexe. Seine Hexe. Meine Verbündete, sollte es auf irgendwas ankommen. Doch ich vertraue ihr nicht. Alles widerstrebt sich in mir, ihr zu vertrauen. „Wieso?", frage ich bloß. „Wieso würdest du dich auf meine Seite stellen und dich gegen ihn verbünden?"
„Weil ich eine ungeheure Kraft in dir spüre, Lilith Grey. Eine Kraft, die dir selbst noch nicht mal bewusst ist, doch ich kann dir helfen, sie zu entfesseln. Du musst mir nur vertrauen."
Wieso will mir plötzlich jeder bewusst machen, wie ach so mächtig ich doch bin?
„Mell wartet bereits auf uns.", wechsel ich das Thema. Ganz plötzlich ist mir wieder schummrig im Kopf. Eine Stimme ist da, die mir sagt, ich soll Spaß haben und nicht weiter nachdenken. Ich denke wieder zu viel nach. Ich versuche dagegen anzukämpfen. Will weiter nachfragen. Was für eine Kraft? Jetzt sticht es in meiner Schläfe. Ich verziehe das Gesicht.
„Alles ok bei dir?", fragt Alice.
Ich nicke. Reiße mich wieder zusammen. Habe schon wieder vergessen, was ich eben sagen wollte.
„Ich habe gehört, du gibst einen aus?", frage ich strahlend.
Als ich aufstehe und Alice folge, merke ich, wie betrunken ich bereits bin. Ich muss mich anstrengen, geradeaus zu laufen und niemanden anzurempeln. Ich sollte nichts mehr trinken. Doch ich will unbedingt. Ich möchte einfach mal so richtig Spaß haben.
An der Bar angekommen, greift Mell nach meinem Arm und hält mir aufgeregt ihren bunten Cocktail entgegen. „Den musst du probieren!", strahlt sie und ich nehme ihr das Glas ab, bevor sie ihn auf mich verschüttet.
„Wie viele hattest du in den letzten zehn Minuten davon?", will ich wissen und trinke einen Schluck. Ich verziehe das Gesicht. Da ist wahrscheinlich mehr Alkohol als Saft und Eiswürfel drin. Kein Wunder das sie jetzt schon so aufgeregt ist. Ihre Wangen sind gerötet und sie stolpert fast vom Barhocker. Wer wird wem heute wohl die Haare beim kotzen halten?
„Nur zwei. Aber die hatten es in sich."
Ich versuche mir ein lachen zu verkneifen und bestelle mir auch einen. Obwohl es besser für mich wäre, nichts mehr zu trinken. Alice redet kurz mit einer Frau, die ein Minikleid trägt und kommt dann zu uns.
„Ich habe uns soeben einen Platz im VIP Bereich besorgt. Wir müssen nur der blonden Schönheit folgen.", erklärt sie uns beiläufig, ehe sie direkt hinter der Frau im Minikleid mitläuft. Mell und ich schauen uns an, bevor wir ihr folgen. Sie führt uns weg von den feiernden Menschen und der vom Nebel stickigen Luft. Es geht einige Stufen hinauf, in einen kleinen, abgetrennten Raum, mit dunkelroten, dünnen Vorhängen. Hier drin ist ein großes rundes Sofa und ein Glastisch. Dort wartet ein Eisbehälter mit einer großen Flasche Champagner auf uns.
„Gerngeschehen", seufzt Alice, ehe sie sich auf das Sofa gleiten lässt und ich mich umschaue.
„Wie hast du das denn geschafft?" Ich lasse mich auf dem Sofa nieder und Mell tut es mir gleich. Sie strahlt über beide Ohren. „Ist doch völlig egal. Wir haben sogar eine Flasche Champus umsonst." Aufgeregt holt sie die Flasche aus dem Eisbehälter und dreht den Korken auf. Ich gehe bereits in Deckung und dann knallt es auch schon. Schaum rinnt heraus, direkt auf den Boden und Alice schiebt ihr drei Gläser zum befüllen hin.
„Ich habe meinen Charme spielen lassen.", beantwortet Alice meine Frage. Sie zwinkert mir zu und ich erröte. Scheiße. Wieso werde ich rot, wenn mir eine Frau zuzwinkert?
Das könnte daran liegen, das sie unfassbar heiß ist. Ich schüttle innerlich den Kopf. Ich bin eindeutig betrunken, wenn ich mich jetzt schon zu Alice hingezogen fühle.
Mell reicht uns allen ein Glas und wir stoßen an. „Darauf, das wir besoffen, aber glücklich nach Hause torkeln werden.", ruft sie.

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