Kapitel 22

1.4K 54 0
                                    

Mell kommt nach wenigen Minuten in mein Büro und ich habe sie bereits erwartet. Sie strahlt über ihr ganzes Gesicht und setzt sich vor meinen Schreibtisch auf den Stuhl.
„Ich will alles wissen. Jede Kleinigkeit. Und komm bloß nicht auf die Idee, mir irgendetwas zu verschweigen. Ich weiß, wenn du lügst, Grey!"
Sie versucht streng zu wirken, schlägt aber kläglich fehl und grinst. „Nun sag schon!", drängt sie mich.
Ich komme nicht drumherum, ihr etwas zu erzählen, aber ganz sicher nicht, was er mit mir auf diesem Schreibtisch angestellt hat. Das bleibt nur unter Lucifer und mich. Ich hoffe jedenfalls, dass er es für sich behält, denn der Gedanke, er könnte jemanden davon erzählen, selbst wenn es jemand wäre, den ich nicht kenne, beunruhigt mich und lässt mich unwohl fühlen.
„Er hat mir Kaffee gebracht und mich nachher auf einen Drink eingeladen.", erzähle ich schulterzuckend und trinke den bereits kalten Kaffee weiter. Mell grinst bis über beide Ohren, ohne ein Wort zu sagen und deutet auf meinen Hals. „Und was ist das? Das war vorhin aber noch nicht da."
Ich verfluche Lucifer dafür, dass er mir einen Knutschfleck verpasst hat. Ich wusste genau, sie würde mich darauf ansprechen und ich hatte Recht.
„Nichts weiter..." Ich trinke einen weiteren Schluck und weiche ihren Blicken aus. Sie soll aufhören, mich so anzusehen, als sei ich eine Verbrecherin, die Verhört werden muss.
Mell wölbt ihre rechte Augenbraue und ihr Gesichtsausdruck sagt mir, dass sie mir nicht glaubt.
Sie ist zwar meine beste Freundin, aber es gibt eben Dinge, die möchte ich einfach für mich behalten. Manchmal versteht sie das und manchmal nicht. Sie selbst erzählt mir oft jede Kleinigkeit von Ereignissen, die sie erlebt hat. Manchmal sogar etwas versauter, die ich zwar nur ungern höre, weil ich kein Sexleben besitze, aber ich höre ihr zu und freue mich, wenn sie glücklich ist.
„Wann seht ihr euch wieder?", fragt sie schließlich nach langem schweigen und ich bin erleichtert, dass sie nicht weiter auf meinen Knutschfleck eingeht.
„Nach der Arbeit. Wir wollen etwas trinken gehen."
„Ach wirklich?" Sie schmunzelt.
Ich nicke. „Als Freunde."
Keine Ahnung, wie mir dieses Wort, in Verbindung mit Lucifer, in den Sinn gekommen ist, aber ich halte es für besser ihn als einen Freund zu bezeichnen, als meinen Lover. Er ist nichts von beidem und mein Lover wird er definitiv niemals sein.
„Ihr seid Freunde? Interessant. Ich wusste nicht, dass man sich unter Freunden gegenseitig Knutschflecke verpasst. Da muss ich wohl was verpasst haben." Stirnrunzelnd und mit verschränkten Armen lehnt sie sich gegen den Stuhl und sieht mich an.
„Können wir über etwas anderes reden, als über ihn?"
„Was ist so schlecht an Lucifer? Du willst ständig das Thema wechseln, wenn es um ihn geht."
„Es ist kompliziert.", meine ich und lehne mich ebenfalls zurück.
Sie seufzt. „Ist es das nicht immer?"
Ich zucke mit den Achseln. Für mich nicht. Ich war noch nie in so einer Lage. Ich bin nicht wie sie. Ich hatte das letzte mal Sex vor vier Jahren. Ich habe angefangen, mich in meine Arbeit zu verkriechen und an den Wochenenden Staffelweise Serien zu schauen. Währenddessen reist sie in ihrer Freizeit in andere Länder, besteigt Berge, geht jeden Samstag feiern und lebt ihr Sexleben in vollen Zügen aus. Wäre sie an meiner Stelle, hätte sie sich mit Sicherheit beim ersten Date für ihn ausgezogen und mit ihm geschlafen. Aber das bin ich nicht und so werde ich niemals sein. Das stört mich nicht. Ich bin glücklich mit meinem langweiligen, fast normalen Leben.

Um sechs ziehe ich mir meine Jacke über und nehme meine Tasche. Ich verlasse mein Büro und halte nach Mell Ausschau, aber sie hat heute früher Schluss gemacht als ich. Ich sehe nur noch Beth, die völlig überfordert mit dem Kopierer ist und Jones, der auf mich zu kommt.
„Du machst Schluss, wie ich sehe." Er lächelt und ich glaube, er hat Stimmungsschwankungen. „Hast du für den Abend schon was vor?"
Ich blicke zu Beth, die sich kurz in unsere Richtung gewandt hat, aber ihren Blick schnell wieder abwendet, als ich sie ansehe.
„Ich gehe mit einem Freund etwas trinken. Wieso fragen Sie?" Ich versuche wirklich nicht genervt zu klingen, aber Mr. Baldwin wirkt heute komisch. Fast schon so, als würde er etwas von mir wollen, obwohl ich viel zu jung bin und er mich doch eigentlich nicht ausstehen kann.
„Derselbe von vorhin?", hakt er nach und wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. Ich nicke bloß und verabschiede mich freundlich, da ich kein Interesse an ein längeres Gespräch habe. Ich fühle mich zwar schlecht dabei, ihn einfach stehen zu lassen, aber wenn ich mich unwohl fühle, ist das doch wohl mein Recht?
„Bis morgen, Lilith.", sagt er, aber ich bin schon auf dem Weg nach unten. Als ich draußen bin, steht Lucifer nicht hier und sein Auto ist ebenfalls nirgends zu sehen. Enttäuschung macht sich in mir breit und ich weiß nicht wieso. Weil er mich versetzt hat? Das sollte mir egal sein. Eigentlich sollte ich sogar erleichtert darüber sein.
Ich seufze und zucke zusammen, als ich plötzlich schwarz sehe, weil mir jemand mit seinen Händen die Sicht verdeckt.
„Mike?", frage ich erschrocken, weil er der erste ist, der mir einfällt, der das tun würde, um mich zu überraschen, aber als ich mich umdrehe, ist es, zu meiner Überraschung, Lucifer. Er hat mich also doch nicht versetzt. „Tut mir leid, falls ich dich enttäusche, aber nein."
„Du hast mich erschreckt.", sage ich und hebe meine Tasche auf, die ich versehentlich fallen gelassen habe.
„Wir waren verabredet, schon vergessen?"
Als ob ich das vergessen habe.
„Ich habe es nicht vergessen."
„Aber du dachtest, ich habe das? Stimmt's?" Er lächelt und ich verdrehe die Augen. Das lässt ihn nur noch breiter grinsen.
Er nimmt meine Hand und ich ziehe sie zurück. „Kein Händchenhalten.", sage ich und entdecke seine Auto etwas weiter weg. Er sagt nichts dazu, legt mir einen Arm um meine Hüfte und zieht mich näher zu sich. „Wenn du meinst."
Wir gehen zu seinem Auto und er hält mir die Tür auf. Bevor ich einsteige, möchte ich aber erst etwas geklärt haben.
„Das ist kein Date. Wir gehen nur etwas trinken. Ohne Hintergedanken, deinerseits.", stelle ich klar und klinge dabei ziemlich streng.
Lucifer grinst. „Kein Date. Nur trinken. Ohne Hintergedanken, beiderseits."
Beiderseits? Ich habe keine Hintergedanken. Wie kommt er auf die Idee, dass gerade ich Hintergedanken haben könnte?
„Als Freunde", rutscht es mir heraus und sein grinsen schwächelt, aber dann wird es noch breiter als zuvor. Seine weißen, geraden Zähne kommen zum Vorschein und er wiederholt. „Als Freunde. Und nun steig ein.", befiehlt er in einem noch strengeren Ton als ich und ich steige widerwillig ein, im Wissen, dass der Abend normal ablaufen wird und wir nur etwas trinken. Als zwei Freunde, die sich kaum kennen.
Er geht zur Fahrerseite hinüber und ich schnalle mich an. Er tut das nicht, aber ich habe nichts anderes erwartet. Er stellt beim losfahren das Radio aus, als Love von Lana Del Ray, oder wie auch immer, im Radio läuft und ich schalte es wieder ein. Zu meiner Überraschung lässt er die Musik an und schmunzelt. Keine Ahnung, was daran so witzig ist, aber ich finde das Lied hat etwas und ich beschließe, es mir nachher auf mein IPod herunterzuladen.
„Was hörst du sonst noch für Musik, außer dieses Gejaule dort?"
„Gejaule? Was ist daran bitte Gejaule?"
„Beruhige dich. Nimm das doch nicht gleich so persönlich." Er lacht leise in sich hinein.
„Ich nehme das nicht persönlich.", widerspreche ich ihn. „Ich höre eben gern diese Musik."
„Natürlich."
„Was hörst du denn so?", frage ich, da ihm meine Musik nicht zu gefallen scheint. Er zuckt lediglich mit den Achseln. „Jedenfalls nicht so was."
„Nicht so was, hören sich aber viele Menschen gern an.", verteidige ich mich und die Sängerin des Songs.
„Zum Glück bin ich kein Mensch." Er wendet seinen Kopf zu mir und ich schüttle meinen, wobei ich mein schmunzeln nicht verbergen kann.
„Ich könnte dir vorspielen, was ich gern höre.", schlägt er vor. Was meint er mit Vorspielen?
„Vorspielen?" Ich sehe ihn fragend an. Er nickt und wendet seinen Blick wieder geradeaus, wo er hingehört.
„Auf dem Klavier."
Er spielt Klavier? Damit hätte ich nicht gerechnet. Heißt das, er steht vielleicht auf klassische Musik?
„Ich wusste nicht, dass du Klavier spielen kannst." Natürlich wusste ich das nicht. Woher auch? Das ist das erste normale Gespräch, was wir zusammen führen.
„Der Grund dafür mag sein, dass ich es dir gerade eben erst erzählt habe, Lilith."
Wenn er öfter so lächeln würde, wäre er mir immer so sympathisch, wie in diesem Moment.
Ich ertappe mich dabei, wie ich darüber nachdenke, mehr normale Gespräche mit ihm zu führen, ohne mitzubekommen, dass ich ihn anstarre.
„Gefällt dir, was du siehst?" Er sieht mich wieder an. Ich fühle mich ertappt und drehe meinen Kopf weg. „Du bist die Arroganz in Person, Lucifer.", sage ich und merke, wie der Wagen zum stehen kommt. Direkt vor seinem Club.
„Ich kann nichts dafür, dass ich gut aussehe.", erwidert er Stolz. Dann steigt er aus und obwohl ich weiß, dass er mir die Tür auf halten möchte, steige ich allein aus, bevor er auf meiner Seite ankommt und ich schenke ihm wieder eines meiner zuckersüßen Lächeln.
„Als Freund musst du mir nicht die Tür auf halten."
„Ein Mann sollte einer Frau immer die Tür aufhalten. Selbst wenn es sich um seine Schwester handelt.", kontert er und legt wieder einen Arm um mich. Am liebsten würde ich auch noch sagen, dass Freunde das ebenfalls nicht tun, aber wir beide wissen zu gut, dass wir keine sind und höchstwahrscheinlich keine sein werden.
„Ich wusste nicht, dass wir hier hergehen."
„Keine Sorge, es ist geschlossen. Wir sind allein."
Noch schlimmer. Ich finde nicht, dass es eine gute Idee ist, mit ihm allein zu sein und Alkohol zu trinken. Vielleicht verzichte ich lieber auf den Alkohol und trinke etwas unalkoholisches. Etwas, was meinen Kopf nicht benebelt und mich Dinge tun lässt, wie ihn zu küssen oder mich von ihm anfassen zu lassen.
Als er die Tür aufschließt, zögere ich hinein zu gehen.
„Keine Sorge. Ich habe nicht vor, dich zu entführen.", scherzt er, und ich verdrehe erneut meine Augen. Ich gehe mit ihm rein und er schließt die Tür hinter uns. Es ist dunkel, ich kann kaum etwas sehen, aber er anscheinend schon, denn er nimmt schon wieder meine Hand und führt mich ins innere. Als wir bei der Treppe sind, kann ich endlich alles sehen und ich bin erstaunt, wie viel größer und gemütlicher der Club wirkt, wenn er leer, die Musik und die vielen Lichter aus sind.
„Es muss toll sein, sein eigener Boss zu sein." Er nickt, während ich noch dabei bin, über diesen Club zu staunen. Das Licht ist gedämmt und in der Mitte des Raums steht doch tatsächlich ein Klavier, das mir noch nie aufgefallen ist. Stand es schon immer dort?
„Was hältst du von Wein?" Er steht hinter der Bar und zeigt einen Wein hoch, dessen Name auf Französisch ist und ich nicke einfach, auch wenn ich keine Ahnung habe, was für ein Wein das ist.
Er holt zwei Gläser hervor, stellt sie ab und geht um die Bar herum, bis er neben mir ist und uns einschenkt, nachdem er die Flasche geöffnet hat.
„Ich hoffe, du hast nichts gegen halbtrockenen." Da ich nicht weiß, was der Unterschied zwischen trocken, halbtrocken ist, nicke ich nur und nehme mein Glas. Er hält mir lächelnd seins zum anstoßen entgegen. „Auf eine gute Freundschaft."
Eine Sekunde lang sehe ich ihn nur misstrauisch an. Ich weiß nicht, ob ich ihm vertrauen kann und ob er sein Versprechen hält. Noch weniger weiß ich, ob ich wirklich etwas mit ihm zu tun haben möchte. Ich erinnere mich daran, was Mike mir erzählt hat. Darüber, dass er etwas mit Drogen am Hut hat und anderen illegalen Sachen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mike sich das ausdenkt, aber vielleicht sind das ja falsche Informationen oder von wem anders ausgedacht? Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass er Drogen nimmt oder etwas damit zu tun hat. Vielleicht bin ich auch einfach zu gutgläubig, wie er es oft immer sagt. Aber ich kann nichts dafür, dass ich immer erst das gute in jemanden sehe. Dagegen kann ich nichts tun. Selbst der Teufel muss doch etwas gutes in sich haben. Schließlich war er einst ein Engel.
Ich stoße mit ihm an und wir trinken einen kleinen Schluck. „Nur Freunde" Das muss ich einfach noch einmal sagen. Damit ich es selbst glaube. Wenn ich es glaube, glaubt er es vielleicht auch. Sein Interesse an mir wird schließlich nicht ewig halten.
„Nur Freunde" Er wirkt amüsierst, als er meine Worte schon wieder wiederholt, so wie vorhin.
„Das ist mein ernst. Wir sind heute Abend nur Freunde, die etwas trinken und sich kennenlernen. Mehr nicht. Ein Anzeichen von Hintergedanken, deinerseits" Ich betone das Wort so sehr, dass man es nicht ignorieren kann. „und ich bin weg. Verstanden?"
Er schenkt mir mehr Wein ein. „Verstanden, aber ich hoffe dir ist klar, dass das auch für dich gilt." Sein Lächeln wirkt selbstgefällig und er wird mir wieder ein kleines bisschen Unsympathischer. Ich trinke ein paar Schlucke Wein und ignoriere seine Worte, die mich zum Nachdenken bringen. Er ist von uns beiden derjenige, der ständig Hintergedanken hat. Nicht Ich möchte Ihn ins Bett kriegen, sondern Er möchte Mich dazu bringen.
Oder er ärgert mich mit purer Absicht. Das würde dieses hinterhältige, aber irgendwie auch hinreißende Grinsen erklären.
Mein erstes Glas ist schnell leer, ebenso wie mein zweites. Beim dritten mache ich etwas langsamer, denn ich kann bis jetzt noch gut klar denken, aber der Alkohol macht sich bemerkbar.
„Wieso hast du die Blondine hier eingestellt?", frage ich einfach so, weil mir nichts besseres einfällt und weil es mich irgendwie interessiert.
„Sie schien mir geeignet."
„Geeignet für was? Zum vögeln?", frage ich ganz offen und halte mir dann die Hand vor meinen Mund. Für Lucifer scheint die Wortwahl völlig normal zu sein und ich merke, dass er bereits jetzt einen schlechten Einfluss auf mich hat.
„Anfangs ja, aber mittlerweile geht sie mir auf die Nerven.", meiner er und geht kurz wieder hinter die Bar und duckt sich kurz. Ich beuge mich rüber, um nachzusehen, was er dort tut, aber so schnell er unten war, so schnell ist er wieder oben mit zwei Shotgläsern und einer Flasche Vodka.
„Bloß weg mit dem Zeug!", sage ich sofort und Erinnerungen kommen wieder hoch.
„Was hältst du dann von Cherry?"
„Alles ist besser als Vodka."
Er schenkt uns ein. Ich weiß nicht, ob ich den trinken soll, aber als er seinen trinkt, tue ich es ihm gleich. In meiner Kehle brennt es ganz leicht, aber der Geschmack ist nicht mal übel und es erinnert mich wieder an meine Zeit, als ich noch 17 war und wir Bier Pong mit Sauerkirsche, statt Bier gespielt haben. Oder mit meinem heutigen Lieblingsgetränk Vodka- Cranberry mit einem Schuss Tequila Zu dieser Zeit, hatte ich wenigstens noch ein bisschen Spaß.
„Was ist das mit diesem Typen und dir?"
„Welchen Typen?"
„Michael."
„Mike", verbessere ich ihn und verdreht die Augen. Er mag es nicht Michael genannt zu werden.
„Das hast du mich schon mal gefragt."
„Ihr habt sehr vertraut ausgesehen am Samstag."
Ich erinnere mich daran, wie ich mich in seine Arme fallen ließ, weil ich keine Lust mehr hatte allein zu stehen und unbedingt weg wollte. Das bedeutete mir rein gar nichts.
„Er und ich sind Freunde. Das sagte ich bereits. Und daran ändert sich nichts. Was geht dich das an?" Meine Frage überrascht ihn. Er fährt sich kurz durchs Haar und trinkt einen Schluck Wein.
„Als dein Freund interessiert mich das."
„Ach wirklich?" Ich verschränke die Arme vor der Brust.
Er nickt und greift wieder nach etwas, was unten drin ist. Es ist eine Fernbedienung. Eine sehr kleine. Er drückt auf einen Knopf und plötzlich ertönt Musik. Ein Song, um genauer zu sein. Als ich höre, welcher es ist, fange ich an zu grinsen. Nun verdreht er die Augen, als er wieder um den Tresen herum geht. „Ich dachte, du findest das ist Gejaule?"
„Das ist es auch. Ob du es mir glaubst oder nicht, aber das ist purer Zufall." Er lächelt mich an. „Aber da es dein Lieblingssong zu sein scheint." Ich bin überrumpelt, als er mir seine Hand hinhält.
„Tanz mit dir."
Ich beginne zu lachen, bis ich merke, dass er das ernst meint. Er blickt mich ungeduldig an. Er meint das wirklich ernst. Er will, dass ich mit ihm tanze. Hier und jetzt. Einfach so, ohne jeglichen Anlass. Abgesehen davon, dass ich diesen Song wirklich mag, aber ich auf keinen Fall eng mit ihm tanzen möchte.
„Ich tanze nicht gern." Meine Stimme ist viel ruhiger, als ich mich gerade fühle.
„Ich auch nicht. Und jetzt komm." Bevor ich etwas einwenden kann, umfasst er meine Hand und führt mich weg von der Bar, weiter auf die Tanzfläche.
„Das Lied ist nicht geeignet zum tanzen.", versuche ich ihn umzustimmen. Er schüttelt den Kopf und legt ihn dann leicht schief. Irgendwie sieht er dabei... süß aus.
„Wenn man will, kann man zu jedem Song tanzen."
„Und was ist, wenn ich nicht tanzen will?"
„Dann muss ich dich eben dazu zwingen."
Unsere umfassten Hände hält er etwas abseits von uns und die andere legt er vorsichtig auf meinen Rücken. Seine Berührung jagt Strom durch meinen Körper, dabei ist noch Stoff zwischen seiner und meiner Haut.
Das letzte mal habe ich mit meinem Vater so getanzt. Er hat es mir beigebracht. Er hat mich sogar regelrecht dazu gezwungen, weil er der Meinung ist, eine Frau müsse tanzen können. Früher war ich genervt davon, aber im Moment bin ich ihm wirklich dankbar, denn hätte er es mir nicht beigebracht, würde ich ihm vermutlich die Füße brechen, so wie ich es beinahe bei meinem Vater getan hätte.
Lucifer lässt meinen Rücken los, und dreht mich einmal um meine Silhouette. Danach zieht er mich wieder zu sich, und ich bin viel näher als vorher an ihm. Viel zu nahe So nahe, dass unsere Oberkörper sich berühren und ich mir wünsche, er hätte nicht diese Wirkung auf mich, denn mir wird wieder ganz heiß.
Seine Hand an meinem Rücken wandert ein Stück tiefer, aber nicht zu weit. Noch ein paar Millimeter, und er würde mir an meinen Hintern fassen. Dann würde ich meine Jacke schnappen und verschwinden, aber bis jetzt, macht es eigentlich Spaß und ich lache sogar, als er mich ein zweites Mal dreht und mich zu sich zieht.
„Du hast ein hinreißendes Lachen.", wispert er.
„Hör auf damit.", warne ich ihn und er lächelt besänftigend.
„Ich wollte dir nur ein Kompliment machen. Auch Freunde machen sich Komplimente."
„Dann danke."
Er lächelt und wir tanzen weiter, bis der nächste Song kommt, der mir ebenfalls gefällt. Keine Ahnung, wie das Lied heißt, aber so viel ich nebenbei mitbekomme, geht es um eine Frau, die von ihrem Freund kontrolliert wird. Sie singt darüber, dass er ihr nicht immer sagen soll, was sie zu sagen oder zu tun hat. Und darüber, dass er sie nicht besitzt. Der Song gefällt mir. Doch bevor ich weiter dem Text lauschen kann, dreht Lucifer mich abrupt um, sodass ich mit meinem Rücken, gegen seine Brust gepresst bin. Mit einer Hand hält er mich fest umschlungen und in der anderen, hält er immer noch meine Hand. Da ist plötzlich wieder dieses unfassbare Knistern zwischen uns. Oder ist es nie weg gewesen?
„Was tust du da?" Ich sehe zu ihm hinauf und versuche ernst zu wirken. Sein Blick durchbohrt mich, ist intensiv und ich kann nicht mehr wegsehen.
„Du siehst wunderschön aus, wenn du glücklich bist."
Mit so einem Kompliment habe ich nicht gerechnet. Mein Herz beginnt laut gegen meine Brust zu hämmern. Noch lauter als zuvor. So laut, dass ich es hören kann.
„Du hast vorhin etwas versprochen.", erinnere ich ihn und gleichzeitig mich selbst.
„Ich weiß, was ich gesagt habe." Seine Stimme ist weich wie Samt. Ich beiße mir auf die Unterlippe, versuche bei der Sache zu bleiben und nicht ständig an seine weichen Lippen zu denken.
„Lucifer", sage ich und hole schwer Luft.
„Ich mag es, wie du meinen Namen sagst.", raunt er mir zu. Mühsam versuche ich einen klaren Kopf zu behalten. Das war sein Plan. Er tut so, als wäre er nett zu mir, um mich ins Bett zu bekommen.
„Ich muss nach Hause."
„Du kannst bei mir bleiben.", schlägt er leise vor. Eine Sekunde lang, denke ich darüber nach. Dann klingelt mein Handy. Ich komme zurück ins hier und jetzt. Vorsichtig löse ich mich von ihm und gehe wieder zur Bar. In meiner Tasche krame ich mein Handy heraus und hebe ab.
„Hallo?"
„Hey, bist du schon zu Hause?", fragt mich Mell und ich höre gedämpfte Stimmen im Hintergrund.
„Nein, wieso?"
„Oh, störe ich bei irgendwas?"
„Nein, alles in Ordnung. Ich muss auflegen. Bis morgen."
Ich stecke mein Handy wieder ein und schnappe mir meine Jacke vom Barhöcker.
„Du willst schon gehen?"
„Ich muss morgen früh raus.", erwidere ich und nehme meine Tasche. Als ich mich umdrehe, zucke ich zusammen. Wieso schleicht er sich so an mich heran?
„Hör auf damit mich ständig zu erschrecken!"
Er lacht leise. „Bleib", bittet er mich und legt eine Hand an meinen Mantel, um ihn mir wieder auszuziehen.

My DestinyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt