40. Allein

132 8 8
                                    

Die Liste an Dingen, die ich Liz und Bree mitteilen musste, hatte sich nach dem Gespräch mit Mr. McCartney erweitert. In dem Gespräch mit unserem Lehrer war ich zwar relativ ruhig geblieben aufgrund meiner Müdigkeit und Überforderung. Aber als ich am nächsten Tag aufgewacht bin, war die Erinnerung an die ganzen neuen Infos wie ein Schlag ins Gesicht. Erst dann hatte ich realisiert, was unser Lehrer mir gestern alles erzählt hatte und wie unglaublich das alles eigentlich war. Allein durch die Info, dass es noch mehr Meerjungfrauen gab, war ich schon ganz aus dem Häuschen. Ich konnte es kaum erwarten, dass alles mit meinen Freunden zu teilen. Heute war in meinem Kopf zudem alles viel klarer als gestern. Manchmal brauchte es einfach nur eine gute Mütze Schlaf. Das alles gab mir die Energie, den ersten Schritt auf Liz und Bree zuzugehen. Energiegeladen schnappte ich mir direkt mein Handy, bevor ich es überhaupt aus dem Bett geschafft hatte, um die beiden um ein Treffen heute nach der Schule zu beten. Ein weiteres Thema zur Absprache war der Vollmond heute nacht. Ich seufzte. Trotz dass es mir heute schon um einiges besser ging, hatte ich immer noch keine Gelegenheit Ruhe zu finden. Eine Vollmondnacht war nämlich unausweichlich mit Stress verbunden. Außerdem hatte ich mir vorgenommen Mr. McCartney nochmal wegen gestern anzusprechen. Ich erinnerte mich nämlich daran, dass er mir gegen Schluss noch etwas wichtiges sagen wollte, bevor ich zur nächsten Unterrichtsstunde geflüchtet war. Dieser Morgen war mir um ehrlich zu sein jetzt schon viel zu anstrengend. Und ich war nicht mal aufgestanden.

Mit dem motivierenden Gedanken, dass ab heute alles besser werden würde, hatte ich mich schließlich aus dem Bett geschwungen. Bevor ich mich auf den Weg zur Schule gemacht hatte, hatte ich sogar Gabe eine Nachricht geschrieben, um ihn zu fragen, ob wir uns demnächst mal treffen könnten. Es war schon erstaunlich, dass ich auf einmal so viel positive Energie in mir hatte und vom besten Ergebnis ausging. Das hatte ich auch nicht alle Tage.

Ich hatte mich allerdings zu früh darüber gefreut. Als ich nämlich in der Schule ankam, merkte ich, dass Liz und Bree mir noch immer aus dem Weg gingen. Meine Nachricht von heute morgen hatten sie beide ignoriert. Das bedeutete wohl, dass ich den Abend ohne die beiden überleben musste. Mit einer geknickten Stimmung bewegte ich mich in Richtung des Klassenzimmers, wo wir immer Unterricht bei Mr. McCartney hatten. Nur um dann festzustellen, dass unser Lehrer heute nicht da war. Er war wohl krank. Somit konnte ich unser Gespräch von gestern nicht wieder mit ihm aufnehmen. Man sollte sich wohl nicht zu viel auf einmal für einen Tag vornehmen. Meine gesamte Energie, die noch vor weniger als einer Stunde in mir gelodert hatte, war nun so gut wie erloschen. Das Universum liebte es ja auch mir eins auszuwischen, wenn ich mal guter Dinge war.

Der restliche Schultag zog sich noch extrem. Es gab nicht eine Sache, die mir an diesem Tag noch eine Freude in der Schule bereitet hatte. Nicht mal Mike hatte es heute geschafft mich aufzuheitern. Kurzum war alles ätzend und es erleichterte mich nach hause gehen zu dürfen, noch mehr als sonst. Ich hatte auch keine Lust darauf irgendwen zu sehen. Mike hatte ich gesagt, dass ich alleine sein wollte, auch heute abend. Bei letzterem wollte er mir erst widersprechen. Doch ich hatte ihn mit einem so finsteren Blick zum Schweigen gebracht, dass ich eine leichte Gänsehaut bei ihm wahrgenommen hatte. Zu hause angekommen, dauerte es nicht lange, bis ich eine Antwort von Gabe erhalten hatte. Meine Mundwinkel formten sich zu einem leichten Lächeln. Ein kleiner Hoffnungsschimmer erwachte in mir. Zumindest ignorierte er mich nicht. Das war ja schon mal ein guter Anfang. Meine Mundwinkel fielen abrupt nach unten. Dieser Schimmer erlosch direkt wieder, als ich die Nachricht genauer gelesen hatte. Er nahm mein Angebot zu einem Treffen zwar an, aber er wollte es heute Abend abhalten. Da ich gerade mal eine Stunde hatte, bis der Vollmond aufgehen würde, würde ein Treffen mit Gabe heute auf gar keinen Fall mehr möglich sein. Ich griff nach meinem Kopfkissen, drückte es mir ins Gesicht und ließ einen Schrei aus den Tiefen meiner Lungen darin raus. Konnte nicht mal eine Sache gut laufen? Nur eine? Ich zögerte eine Weile, bis ich ihm meine Absage formulierte. Wenn er sowieso schon dachte, dass ich ein schlechtes Bild von ihm hatte, und dann direkt ein Treffen mit ihm absagte, sahen meine Chancen nicht gut aus, dass er nochmal mit mir sprechen wollte. Resigniert warf ich mein Handy zur Seite und machte mich an die Arbeit, die Fenster in meinem Schlafzimmer und zusätzlich in meinem Badezimmer abzukleben.

Gerade als ich damit fertig war, kam mein Bruder in mein Zimmer und blieb direkt in meiner bereits offenen Tür stehen. In seinem Blick erkannte ich einige Fragezeichen. "Frag nicht." entgegnete ich ihm nur monoton. "Was wolltest du?" fragte ich ihn, bevor er doch noch irgendeinen Kommentar zu meinen Sicherheitsmaßnahmen abgeben konnte. Er brauchte einen Moment, bis er sich von seiner Verwirrung erholt hatte. "Ich wollte dich nur einladen, heute Abend mit mir ins Café zu gehen, unsere Band hat einen Auftritt. Aber wie ich sehe, hast du schon was vor?" Ich zuckte mit den Schultern. "Ja, quasi." Etwas überrumpelt von meiner kalten Stimmung gerade, runzelte er die Stirn. "Du kannst es dir ja noch überlegen, um halb neun gehe ich los." Mit einem gemurmelten "Ja, ja." scheuchte ich ihn dann aus meinem Zimmer und schloss die Tür hinter ihm wieder zu.

Inzwischen war einige Zeit vergangen. Ich hatte mich bereits mit Snacks für den Abend in meinem Zimmer verkrochen. Der Mond sollte schon aufgegangen sein. Sollte ich nun irgendwas vergessen haben, hatte ich ganz einfach Pech gehabt. Auf meinem Handy hatte ich vorhin schon gesehen, dass Gabe meine Absage bereits gelesen hatte. Eine Antwort darauf hatte ich jedoch nicht erhalten. Wieso auch? In Selbstmitleid ertrinkend lag ich in meinem Bett und ruhte mit meinem Blick auf meiner Wanduhr. 08.16 Uhr abends. Also würde es nicht mehr lange dauern, bis ich ganz allein war. Meine Mutter hatte mal wieder eine Nachtschicht. Dementsprechend war auch sie schon längst zu ihrer Arbeit losgedüst. Was wohl Bree und Liz gerade machten? Ich hoffte, es ging ihnen gut, trotz dass sie gerade nichts mit mir zu tun haben wollten. Die beiden waren sicherlich auch auf sich gestellt für diesen Abend. So, wie ich es von Mike gehört hatte, hatten sich die zwei auch untereinander noch nicht vertragen.

Ob sich wohl irgendwann wieder alles zum Guten wenden würde? Vielleicht war das ja jetzt schon das Ende unserer Freundschaft. Und das, obwohl sie noch gar nicht wirklich durchgestartet hatte. Gedankenverloren griff ich nach dem dritten Medaillon, welches ich gestern von Mr. McCartney erhalten hatte, und die ganze Zeit auf meinem Nachttisch aufbewahrt hatte. Mein Daumen fuhr in Kreisen über das glatte, kalte Metall des Anhängers. Aber wie sollten wir mit unserem Geheimnis langfristig allein klarkommen? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das irgendwie funktionieren sollte. Wir waren ja auch noch nicht so erfahren damit, Meerjungfrauen zu sein. Bei der Vorstellung in Zukunft alles alleine als Meerjungfrau durchstehen zu müssen, wurde mir schlecht. In meinem Magen hatte sich ein dicker, einengender Knoten gebildet. Ich hatte das Gefühl, dass mein Mittagessen gleich wieder in einem weiten Strahl aus mir herausströmen würde. Ein feuchter warmer Tropfen rannte meine Wange hinunter und ich rollte mich wie ein Gürteltier ein. Warum tat es so weh allein zu sein?

Ich durfte mich ja eigentlich gar nicht darüber beschweren, dass ich nun allein war. Immerhin hatte ich Mikes Angebot, mir heute Abend Gesellschaft zu leisten, deutlich abgelehnt. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ich mich gerade so fühlte, als hätte man mir gewaltsam mehrere Eingeweide herausgerissen. Allerdings wollte ich ihm nun auch nicht schreiben. Er würde das sicherlich als Anlass sehen, hierherzukommen. Was ich aber auch nicht wollte. Ich wusste auch nicht, wie mir noch irgendwer helfen sollte. Am liebsten hätte ich mich jetzt schon schlafen gelegt, damit ich diese ganzen dreckigen und widersprüchlichen Gefühle nicht mehr ertragen musste. Aber es war erstens viel zu früh dafür, und zweitens, selbst wenn ich nun versuchen würde, einzuschlafen, waren die Gedanken in meinem Kopf viel zu laut dafür. Die nächsten paar Stunden verbrachte ich damit, mit meinen Kopfhörern aufgesetzt eine Serie auf meinem Laptop zu schauen. Ich hatte nicht mal mehr mitbekommen, wie mein Bruder das Haus verlassen hatte. Besser fühlte ich mich dadurch jedoch nicht. Und meine Gedanken hatten ebenso nicht damit aufgehört in meinem Hirn zu rebellieren. Aber irgendwie hatte ich es geschafft, während des Schauens schließlich langsam in den Schlaf zu sinken. 

Our Little Secret - H2O/MakoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt