Ria
Obwohl mein Blick von all den Tränen verschleiert ist, finde ich den Weg zur Haustür. Im Hintergrund höre ich leises Gepolter gefolgt von einem Fluchen. Vermutlich hat sich Nathan in der Eile in die Bettdecke verfangen. Ich kann einfach nicht glauben, dass alles gespielt war. Vor allem letzte Nacht. Ich schniefe auf. Draußen blendet mich die Sonne und ich muss blinzeln. „Ria!" Ich ignoriere seinen Ruf. Ich kann nicht länger in seiner Nähe sein. „Verdammt, jetzt bleib doch mal stehen!" Seine Stimme ist viel zu nahe. Ich beschleunige meine Schritte.
„Hey!" Eine Hand greift nach meinem Arm und wirbelt mich herum. „Lass mich los.", fauche ich ihn an. Schnelle fahre ich mir mit der Hand über das Gesicht, um die Tränen weg zu wischen. Vermutlich sieht man trotzdem, dass ich weine. „Was...was ist passiert?" Sein mitfühlender Ton treibt mir gleich wieder Tränen in die Augen. Was soll diese ganze Show hier? Er steht nur in Boxershorts vor mir und macht einen auf ahnungslos. „Was haben wir gestern gesagt? Wir wissen nicht, ob die Entscheidung die richtige ist. Jetzt weiß ich es, sie war falsch, Nathan.", sage ich. Er sieht mich entgeistert an. „Warum, Ria? Was hat sich geändert?", fragt er.
Ich lache freudlos auf. Was sich geändert hat? Ich habe die Wahrheit herausgefunden. „Hast du meinem Vater gesagt, du willst dich von mir fernhalten?", frage ich ihn. Er sieht nicht überrascht aus. „Ja, das habe ich, aber..." „Wann war das?", will ich wissen. Er schluckt einmal. „Am Morgen nach der Sache mit deinem Ex. Ich habe doch aber..." Meine erhobene Hand bringt ihn zum Schweigen. Das war der Morgen, nachdem er mich zurückgewiesen hat. Hat er mir alles seitdem nur vorgespielt? Unseren Moment? Meine Unterlippe fängt an zu zittern. „Ria...", er schlägt einen sanfteren Ton an und kommt einen Schritt auf mich zu. „Nein, nicht." Ich weiche von ihm zurück.
„Dann wolltest du dich an ihm rächen? Weil du nicht mit ihm klar kommst, dachtest du dir, du füllst seine Tochter mit Champagner ab und verbringst eine Nacht mit ihr?" Meine Stimme hört sich ganz erstickt an. Nathan schüttelt wild seinen Kopf. „Natürlich nicht. Ria, das ist absurd." „Sei ehrlich Nathan, ein ganz kleiner Teil in dir fühlt Genugtuung, oder?" Er beißt die Zähne zusammen. Das ist dann wohl seine Antwort.
„Hast du am Donnerstag mit einer Frau bei der Waschaktion geflirtet?", frage ich mit erstickter Stimme. „Nein, habe ich nicht." Er wagt es und lügt mir mitten ins Gesicht. „Mein Dad hat es gesehen. Du hast einen Zettel und Stift von ihr genommen und ihr deine Nummer notiert." Was kann ich ihm jetzt überhaupt noch glauben? Mein Puls rast ungewöhnlich schnell. „Scheiße.", sagt er und fährt sich durch seine Haare. „Hast du eine Wette mit Steve am laufen?", frage ich. Er sieht mich überrascht an. „Woher...?" „Hast du oder hast du nicht?" Ich schreie ihn beinahe an. „Ja, aber..."
Meine Ohrfeige bringt ihn zum Schweigen. Zum zweiten Mal am heutigen Morgen bricht mein Herz in tausende Stücke. Mittlerweile strömen auch wieder Tränen meine Wangen hinunter. Wut blitzt in seinen Augen auf. „Ria, ich kann das alles erklären." „Ich will überhaupt keine Erklärungen von dir!" „Verdammt, du lässt mich ja noch nicht mal ausreden..." „Das brauche ich auch gar nicht, weil ich genug gehört habe!" Er schüttelt ungläubig mit dem Kopf. „Weißt du was? Das ist genau der Grund warum ich keine Beziehungen habe.", sagt er sauer.
Ich schnaufe auf. „Vielen Dank, ich habe es jetzt verstanden. Ich bin nichts weiter als einer deiner One Night Stands. Der Knutschfleck an meinem Hals und an meinem Oberschenkel waren ja schon Anzeichen genug!" Ich drehe mich um und renne beinahe die Straße runter. Auf dem Weg zu meiner und Jennys Wohnung werde ich immer wieder von Schluchzern geschüttelt. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich war die ganze Zeit so blauäugig und naiv. Ich habe die ganzen Anzeichen nicht gesehen. Seine Zurückhaltung bei der Waschaktion. Sein Gejammer, dass sein Vater ihm fehlt. Wollte er mich damit hinhalten? Ich war so von meinen Gefühlen geblendet, dass ich mir sonst was bei unserem Kuss eingebildet habe.
Ich brauche mehrere Anläufe, um die Haus- und schließlich auch die Wohnungstür aufzuschließen. Mir fehlt die Kraft auch nur einen weiteren Schritt zu gehen und lasse mich an der Tür nach unten gleiten. „Um Himmelswillen, Ria!" Jenny eilt zu mir und kniet sich zu mir auf den Boden. Ich schlinge meine Arme um sie und zerdrücke sie damit beinahe. „Jenny...", schluchze ich auf. „Was ist passiert?", fragt sie und streicht mir meine Haare aus dem Gesicht. Ich schüttele nur mit dem Kopf, unfähig ihr zu antworten.
Irgendwie schafft es Jenny mich auf das Sofa zu manövrieren. Ich finde mich in einer Decke eingekuschelt und mit einem großen Eis Bottich auf meinem Schoß auf dem Sofa wieder. Rings um mich herum liegen zerknüllte Taschentücher. Ich weine und schluchze immer noch, aber ich habe es endlich geschafft Jenny alles zu erzählen. „Du kannst ruhig sagen, dass du mich vorgewarnt hast.", sage ich. Jenny greift nach meiner Hand. „Ja, ich war misstrauisch. Aber er hat mich genau so getäuscht wie dich. Mache dir aber deswegen bitte keine Vorwürfe." Ich zucke hilflos mit den Schultern.
„Weißt du, es stimmt alles, was Dad gesagt hat. Einfach alles." Ich halte mir vor Schock die Hand vor das Gesicht. „Oh mein Gott! Ich brauche eine Therapie! Ich habe mich in meinen Retter verliebt. Was wenn ich wegen eines Notfalls mal ins Krankenhaus muss? Verlieb ich mich dann in den netten Pfleger?" Ich schnappe verzweifelt nach Luft. Bin ich überhaupt in der Lage mich normal zu verlieben? Warum bekomme ich keine Luft? Ich versuche krampfhaft durch meine Nase Luft zu bekommen. „Ria, durch den Mund atmen. Deine Nase ist vom vielen weinen zu. Durch den Mund atmen.", weist mich Jenny an.
Ich nicke erleichtert. Das ist besser. „Bitte rede dir nicht so ein Schwachsinn ein. Du bist doch kein durchgeknallter Psycho. Menschen verlieben sich nun mal unglücklich. Das passiert andauernd.", versucht sie mich zu trösten. Es funktioniert aber nicht. Meine Augen füllen sich wieder mit Tränen. „Ach Süße!" Jenny umarmt mich ganz fest. „Es tut so verdammt weh.", gebe ich schluchzend zu und reibe mir über die Stelle meines Herzens.
Als mein Handy klingelt halte ich inne. Jenny ist so nett und steht für mich auf. „Oh.", stößt sie aus, als sie auf das Handy starrt. „Wer ist es?", frage ich. Sie hält mir das Display hin. Nathans lachendes Gesicht schaut mir entgegen. Ich hatte das Bild am Wochenende gemacht, als ich auf Emily aufgepasst hatte. Ich drücke ihn weg. Ich will keine weiteren Lügen von ihm hören. Ich schiebe mir einige Löffel voller Eis in den Mund. Vielleicht kann die Kälte den Schmerz betäuben. Das wäre doch mal ein interessantes Experiment. Wie viel Eis ist nötig, um den Liebeskummer nicht mehr zu spüren? Ich zweifele daran, ob es überhaupt genug Eis dafür auf der Erde gibt.
Es folgen mehrere Nachrichten von ihm. Ich bringe es nicht über mich sie zu lesen. Stattdessen schalte ich mein Handy aus. „Sag mal..." Jenny schaut mich aus amüsiert funkelnden Augen an. „Wie war es denn? Wie oft habt ihr? Und ist er groß?" Ich bin nicht so dumm zu glauben, sie meint seine Körpergröße. Ich werfe sie mit einem Kissen ab. Mein Gesicht fängt an zu glühen. „Du wirst ja ganz rot!", sagt sie lachend. Das ist ja auch kein Wunder, wenn ich an die vergangene Nacht denke. Er auf mir, ich auf ihm und das Wirrwarr aus verknoteten Gliedmaßen beim dritten Mal.
Ich erzähle ihr ein ganz kleines bisschen. Aber keine Details. Nur kurz darauf breche ich wieder in Tränen aus, weil mir klar wird, dass es keine Wiederholung geben wird. Wir kuscheln uns zusammen auf die Couch und schauen uns einen traurigen Film an. Ich ertrage gerade kein Happy End. Aber so fällt es wenigstens nicht auf, dass ich nicht nur wegen des Filmes heule. Gegen drei Uhr klingelt es an der Tür. Ich erstarre. Wagt er es wirklich und taucht hier auf? „Ich wimmele ihn ab.", sagt Jenny sofort und erhebt sich von der Couch.
Ich ziehe die Decke eng um mich. Als könnte sie mich von allem beschützen. „Äh...Ria?", kommt es von Jenny. „Das sind deine Eltern. Sie haben Kuchen mitgebracht.", sagt sie. Mir fällt brühwarm ein, dass ich sie zum Kaffee eingeladen habe. Ich kann ihnen doch kaum so unter die Augen treten, denke ich mir fassungslos. Und wie soll ich ihnen mein Erscheinungsbild erklären? Dass ich nur Zwiebeln geschnitten habe, werden sie mir wohl kaum glauben. Wenn mein Dad die Wahrheit erfährt, dann ist Nathan ein toter Mann.
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Inmitten... Teil 3 - Nathan & Ria
RomanceNathan hat Ria das Herz gebrochen und versucht mit allen Mitteln ihre Liebe zurück zu gewinnen. Ria dagegen will nichts mehr von seinen Lügen hören. Hinzu kommt der Prozessauftakt zu dem Überfall auf Ria. Dabei sieht sie ihren Ex-Freund wieder und h...