Völlig aufgelöst erreichte ich endlich meine Wohnung. Sobald ich die Tür aufgeschlossen hatte, konnte ich die ganzen Tränen, die ich in der Straßenbahn mit aller Kraft versucht habe zu unterdrücken, nicht mehr zurück halten. Sie flossen mir einfach ununterbrochen die Wangen herunter und ich schnappte verzweifelt nach neuer Luft. Meinen Rucksack feuerte ich in die nächst beste Ecke, setzte mich aufs Bett und vergrub das Gesicht in meinen Händen.
Ich schrieb meiner besten Freundin, die das ganze Spektakel heute selbst live mitbekommen hatte.
"Ich kann nicht mehr. Ich halte es nicht mehr aus. Du siehst es selbst ja auch - ich hab mich in seiner Nähe einfach nicht mehr unter Kontrolle. Ich mache nur unüberlegtes Zeug und hänge andauernd an ihm. Wie genervt muss es bitte von mir sein?"
"Denkst du es wäre sinnvoll mit ihm zureden?"
"Kann ich irgendwie nicht. Manchmal denke ich es wäre sinnvoll, dass ich die "Last" nicht mit mir rum schleppen muss, ich würde aber sooo viel riskieren. Kann mir vorstellen, dass er sich wirklich eher zurückziehen würde, weil ihm bewusst sein wird, dass es nie so weit gekommen wäre, wenn wir nicht so "eng" wären. Berufliches und privates trennen hin oder her. Die Zulassungsarbeit könnte ich so nicht mehr bei ihm schreiben. Macht mir ja dann auch keinen Spaß, wenn die ganzen Besprechungen oder so dann total verkrampft/professionell sind und gar nichts lockeres mehr dabei ist, was ich ja so am Sportstudium liebe. Wäre einfach ne ganz komische Situation. Aber auch verwirrend für alle außenstehenden. Die merken ja trotzdem, dass wir uns gut verstehen und wenn wir dann irgendwie gar nicht mehr miteinander Witze reißen oder so, werden die sich ihren Teil denken. Ich kann also eigentlich nur verlieren. Da steht viel zu viel auf dem Spiel. Das einzige gewinnbringende wäre, wenn er auch was für mich empfinden würde und das tut er definitiv nicht. Also warum mir die Qualen jetzt erleichtern um hinterher noch größere Probleme zu haben weil dann auch das Verhältnis zu ihn kaputt ist? Muss längerfristig denken und nicht nur für den Moment jetzt... Die sinnvollste Lösung nach einem Geständnis wäre ein Studienortwechsel."
"Du weißt, dass ich dich bei all deinen Entscheidungen unterstütze. Auch wenn es mehr als schade wäre, wenn du die Stadt wechselst, wenn es dir gut tun wird, solltest du es machen. Ich bin immer für dich da, das weißt du."
Bei Sabines's Nachricht fing ich noch mehr an zu heulen.
Ein paar Tage später stand ich vor seinem Büro und war kurz davor zu Klopfen, traute mich aber letzten Endes nicht. Ich konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen. Ich hätte es auch nicht verkraften können, wenn er zugegeben hätte, dass er nichts für mich empfindet und glücklich mit seiner Frau ist, was mir vorher eigentlich auch schon bewusst war. Aber ein kleiner Funken Hoffnung was da dennoch jeden Tag. Und die Hoffnung wurde leider nie kleiner, weshalb ich handeln musste. Es war die letzte Woche meines fünften Semesters. Lange musste ich nicht mehr durchhalten.
Von seiner Bürotür entfernte ich mich wieder und setzte mich an einen der Tische der Cafeteria. Dort schnappte ich mir mein Handy um ihm eine WhatsApp zu schreiben
"Hallo Stefan,
Ich wollte es Dir eigentlich persönlich sagen, schaffe es aber nicht. Mir fehlt sowohl der Mut als auch die Kraft. Du wirst es Dir vielleicht schon irgendwie gedacht haben und mit dieses Nachricht könnte sich Dein Verdacht bestätigen. Du gehst mir schon seit dem zweiten Semester irgendwie nie so wirklich aus dem Kopf. Da fande ich Dich schon wahnsinnig witzig und einfach unglaublich sympathisch und seit dem vierten Semester ist es einfach über mich geschehen - Ich hab mich Hals über Kopf in Dich verliebt. Ich wollte es die ganze Zeit nicht wahr haben und hab die Gefühle ignoriert, aber mit jedem neuen Tag wuchsen sie. Jeder Blick in deine Augen war so gefährlich für mich, jedes mal verliere ich mich in ihnen. In die ganzen Neckereien mit Dir habe ich immer viel zu viel hineininterpretiert und hatte das Gefühl Du könntest auch etwas für mich empfinden, was natürlich totaler Schwachsinn ist, das ist mir durchaus bewusst. Die Gedanken konnte ich aber nie abstellen und ich hab mich immer weiter hinein gesteigert. Großer Fehler, denn sonst würde ich hier jetzt nicht sitzen und diese Nachricht verfassen. Ich hätte direkt, nachdem ich mir meinen Gefühlen zu 100% sicher war, auf Abstand gehen müssen, tat es aber nicht. Der Kontakt zu Dir tat mir in diesen Momenten immer so gut. Ich bin Dir auch unglaublich dankbar für die ganze Unterstützung bei meinen vielen Verletzungen in letzter Zeit - die war wirklich Goldwert. Im Nachhinein hätte es aber nicht sein dürfen, denn auch darauf habe ich mir zu viel eingebildet und dadurch waren wir zu sehr im Kontakt. Aber wie vorhin schon erwähnt konnte ich auch einfach nicht auf Abstand gehen. Die Semesterferien waren die Hölle für mich, als ich nicht im Kontakt mit Dir stand. Ich hätte Dir so gerne einfach geschrieben, habe aber bei jeder Nachricht Panik, dass nichts zurück kommt und dann komme ich mir sehr dumm vor. Ich schaffe es auch einfach nicht mehr irgendwie unauffällig zu sein. Dass Deine Augen auf dem Bild krass sind und ich sie schön finde ist mir letztens einfach in diesem unpassend Moment rausgerutscht. Seitdem habe ich das Gefühl, dass Du distanzierter bist, was mich unglaublich traurig macht, mir aber auch zum Glück die Augen öffnet wie absolut unmöglich ich mich momentan in Deiner Nähe verhalte. Somit bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass das Geständnis hier die einzig richtige Lösung ist. Ich kann dieses Last nicht noch ein weiteres Semester mit mir herumtragen und mit Ach und Krach versuchen mich von dir fernzuhalten oder unauffällig zubleiben. Es funktioniert einfach nicht mehr und es macht mich kaputt. Es tut mir leid, dass ich hierbei jetzt so egoistisch bin und Dich einfach mit in die Sache hineinziehe indem ich es Dir schreibe. Ich habe echt Angst, dass sich unser gutes Verhältnis dadurch verändert und ich schätze die Beziehung zu Dir sehr. Du bist mir auch so wirklich wichtig und ich genieße Deine Anwesenheit. Es ist vermutlich aber das Beste, wenn ich meine Zeit in Frankfurt hiermit beende und das Studium in einer anderen Stadt fortsetze. Damit ist Dir ja auch bestimmt ein Gefallen getan, dass es Dir nicht komisch vorkommen muss, wenn wir uns in der Uni begegnet wären. Unangenehmen Fragen meiner Kommilitonen, warum wir auf einmal nicht mehr so eng sind, kann ich somit auch aus dem Weg gehen. War ja nie ein Geheimnis, wie gut wir uns verstehen. Ich hätte noch so viel, was ich Dir gerne sagen würde, aber diese Nachricht sprengt eh schon den ganzen Rahmen.
Ich wünsche Dir das Beste für Dich und Deine Familie.
War wirklich eine schöne Zeit mit dir!
Liebe Grüße
Liv"
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LehrerXSchüler Oneshots 2
Teen FictionDas ist der 2. Teil von "Kurzgeschichten: Lehrer, Schüler"