18~ Zahlen

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PoV Rezo

Ich schnappte panisch nach Luft, lag auf meinem Bett, vollständig angezogen und zählte. Zählte die Streifen auf meiner Bettwäsche, das Kopfkissen hatte 69 , die kuschelige Decke, die sich an mich schmiegte, 234. Zählte die Flecken in der Mitte meiner Zimmerdecke, einer nahe an der Wand, fast an der Beuge. Dort ging es weiter mit den weißen Farbklecksern, aus welchen meine Tapete bestand:  567 in der Länge und Breite des Bettes.

Um diese Zahl herauszufinden hatte ich nur erstaunliche 2 Stunden gebraucht. Zwar hätte ich die Zeit, in der ich gezählt hatte, mit etwas sinnvolleren verbringen können, wie zum Beispiel Arbeiten oder Streamen, doch ich konnte nicht. Hatte den Stream abgesagt, mich krank gemeldet. War unfähig aufzustehen, mich ansatzweise ausgehfertig zu machen. Meine Zwangsstörung fesselte mich seit Stunden auf diesem Bett, meine Atmung ging schnell, Schweiß auf meiner Haut. Zählen war die einzige Option, um mich von den kommenden Gedanken zu verschonen, mich abzulenken. Doch kaum hatte ich daran gedacht, ging es wieder los.

Aufkommende Panik, was wäre, wenn ich nie wieder loskäme? Wenn ich dann einen Herzinfarkt bekäme und meine Leiche hier für Tage, vielleicht sogar Wochen herumliegen würde, weil ich niemand in meine Wohnung ließ? Ich meine, Gäste würden meine Ordnung zerstören, Dreck hinterlassen, nicht auf die Kärtchen mit Zahlen achten, die ich überall aufgeklebt hatte, um den Überblick zu halten, Kontrolle zu besitzen.

Dreckige Fußstapfen würden sie hinterlassen, den Raum mit ihrem Geruch füllen. Alles müsste ich dann wieder aufräumen, alles musste an dem selben Platz wie immer sein. Nichts dürfte auch nur einen Zentimeter verschoben werden. Es brachte mich vollkommen durcheinander, wenn etwas nicht so war, wie es immer gewesen ist.

Dass mein Verhalten nicht normal war, war mir schon längst klar, doch ich weigerte mich, mir einen Arzt oder Psychologen zur Hilfe zu holen. Die gaben mir doch eh alle nur dieselben Tipps um Panikattacken auszuweichen und meine Besessenheit des Zählens unter Kontrolle zu kriegen. Doch es beruhigte mich, gab mir das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Kontrolle über mich, meine Wohnung, meine Zwangsstörung, es lenkte mich ab. Ich schien dann die Macht über alles zu besitzen, wenn ich wusste, wie viele Bücher im Regal standen, wie viele Blätter der Gummibaum im Flur hatte. Sicherheit, eine Sache, die mir bis jetzt keiner bieten konnte. Bis vielleicht auf eine Person. Doch rüberkommen konnte Ju nicht, mein Handy lag viel zu weit von mir entfernt, perfekt symmetrisch platziert in einer Ecke meines Nachttisches, als dass ich es hätte in die Hand nehmen können. Zwar sah ich immer wieder seinen Namen auf meinem Display aufleuchten, doch es motivierte mich nicht, aufzustehen. Ich konnte nicht. Denn heute half selbst das Zählen nichts, ich lag gelähmt auf meinem Bett, wünschte mir es würde vorbei gehen, einfach weg.

Ich hatte diese Krankheit schon so lange, ich erinnerte mich noch nicht mal mehr an den ersten Tag mit dieser. Nur dass es früher nicht so schlimm gewesen war, ich musste mir nur nach dem Anfassen einer Türklinke oder ähnlichen mehrmals die Hände waschen, dann fühlte ich mich wieder gut. Allerdings war 3 Mal den Wasserhahn kontrollieren Pflicht, kontrollieren, ob er wirklich zu war. Man konnte ja nie wissen, vielleicht war der Abfluss verstopft, dann lief das Wasser über, flutete alles und zahlreiche Menschen würden wegen mir sterben.  Das ich etwas in der Art hatte, es besaß, nicht loswurde, ja das hatten meine Eltern gemerkt. Aber sie hielten es nicht für nötig, mir Hilfe zu holen. Und dieser Fehler brachte mich in die momentane Situation. Wie lange würde ich hier noch liegen?

Noch die ganze Nacht, wie ich am nächsten Morgen feststellte. Anscheinend war ich gestern noch eingeschlafen, durch die Erschöpfung meiner Augen. Schließlich hatten diese die ganze Zeit etwas zutun gehabt. Nach einer kurzen Dusche, den 176 Fliesen auf dem Boden und einem Frühstück, was ich genau sortierte, machte ich mich auf den Weg zu meinem besten Freund, irgendwie musste ich ja arbeiten.

Also nahmen wir heute ein Video auf, nachdem er mir die Tür geöffnet und uns innig umarmt hatten. Wie immer spürte ich seine Wärme, die sich in meine Magengegend übertrug, wenn ich in engen Körperkontakt mit ihm stand, wie immer beruhigte mich seine bloße Anwesenheit, lenkte mich von meinen Problemen ab. Deshalb liebte ich seine Gesellschaft, bei Ju konnte ich meine Zählerei ablegen, für einen kurzen Moment innehalten.

Wir traten in sein Aufnahmezimmer, das aus einer roten Couch, einem Klavier und einer regelrechten Computerwand bestand, fettige Fingerabdrücke zierten sich auf den Bildschirmen. Rechts in der Ecke wuchs eine kleine Pflanze, die traurig den Kopf hängen ließ. Wie lange wurde sie bitte schon nicht mehr gegossen?!

Ich versuchte es zu ignorieren, doch als ich die Tischplatte des Schreibtisches sah, fiel mir sofort ein Becher, eine schmutzige Tasse ins Auge. Und sie triggerte mich, ließ mich Unbehaglichkeit fühlen. Sie gehörte dort nicht hin, sie war schmutzig, musste gewaschen werden und dann in den Schrank. Deshalb hasste ich es, in andere Wohnungen zu gehen, es gab immer etwas, was mich störte, mich triggerte und kam nicht gegen an. Krampfhaft versuchte ich den Impuls zu unterdrücken. Doch schließlich siegte der Zwang. "Ich... ich bring nur mal eben die Tasse weg, ja? Sonst sieht man die im Video", lachte ich künstlich, schnappte mir den Henkel und ignorierte den fragenden Blick Ju's, der gerade die Kamera einschaltete, die schief auf dem Stativ stand. Fuck.

Wenn ich diese nun gerade stellen würde, wüsste Ju alles, würde mich nicht mehr mögen, mich mehr...
"Eh... ich dachte du wolltest die Tasse wegbringen..?", fragte nun Ju, der relativ verwirrt im Raum stand. "Ja... äh. Natürlich", antwortete ich und sprintete aus dem Raum.

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Des gibt ne Fortsetzung. Sry, hat leider net für einen Oneshot gereicht, hoffe, hat euch trd gefallen :)
Hoffentlich bis zum nächsten Mal und
Byyye <3

{1037 Wörter}

Juzo ~ OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt