Kapitel 19

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Das Erste, was ich spürte, als ich wieder in meinen Körper zurückkehrte, war ein warmer Luftzug auf meinem Gesicht. In regelmäßigen Abständen blies die Luft über mich. Ich öffnete die Augen und blickte direkt in die grünen Augen von Lucas. Besorgt sah er mich an.

"Wie fühlst du dich?", fragte er und strich mir eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht. Irritiert schob ich seine Hand weg und setzte mich auf.

"Was soll die Frage? So wie letztes Mal."

Das stimmte nicht ganz. Zwar war es nicht angenehm gewesen, zurück in meinen Körper katapultiert zu werden, doch ganz so schmerzhaft wie beim ersten Mal war es nicht. Auch die Übelkeit, die ich schon das letzte Mal verspürt hatte, ließ schnell nach. Vielleicht lag es daran, dass ich dieses Mal nicht so lange weg gewesen war.

"Wie viel Uhr ist es?", fragte ich und deutete auf Lucas Armbanduhr.

"Halb zwei."

Ich hob erstaunt die Augenbrauen. Nach meinem Zeitgefühl hatte ich gerade einmal eine halbe Stunde in Etenia verbracht. Verging die Zeit dort anders oder hatte ich so lange gebraucht um zu sterben und wieder zurück in meinen Körper zu gelangen? Ich ließ mich von Lucas in den Stand ziehen und klopfte mir den Dreck von den Beinen. Während ich weg war, hatte Lucas meinen Körper irgendwo nach draußen getragen.

"Wo sind wir?", fragte ich und sah mich um.

"Auf dem Schrottplatz gegenüber vom Hotel. Der Rucksack steht hinter dir."

Ich drehte mich um und nahm den Rucksack hoch. Ich war so durstig, dass ich eine gesamte Flasche Wasser in einem Zug leer trank und auch dann verlangte mein Körper noch nach mehr. Ich wühlte im Rucksack.

"Fertig?", fragte Lucas amüsiert, als ich auch die zweite geleert hatte. Ich nickte. Es dauerte keine zehn Minuten, dann hatten wir das Geld in den Rucksack gestopft und uns auf den Weg zum Bahnhof gemacht. Der nächste Zug ließ noch fast eine Stunde auf sich warten, also setzten wir uns auf die grün lackierte Bank am Gleis.

"Weißt du was ich mich frage?", fragte Lucas nach einer Weile.

"Hmmm?", brummte ich.

"Die beiden, die ich gerade- du weißt schon- meinst du die sind jetzt in der Zwischenwelt?"

"Gute Frage." Ich überlegte. "Viel interessanter finde ich aber die Frage, ob dich das jetzt technisch gesehen zum Massenmörder macht. Ich weiß nicht, ob drei schon eine Masse ist, aber wenig ist es nicht."

Lucas Gesicht verfinsterte sich. Ich wusste nicht, ob seine Wut gegen mich gerichtet war, doch zur Sicherheit hielt ich lieber den Mund. Er stand auf.

"Wohin gehst du?", fragte ich.

"Ich kauf uns eine Fahrkarte."

Ich blinzelte überrascht, hielt ihn aber nicht auf, als er den Rucksack unter meinen Beinen hervorzog und einige Scheine rauszog. An so etwas banales wie eine Fahrkarte hatte ich nach all dem, was in den letzten Wochen passiert war, nicht gedacht. Tja. Vielleicht bekam man Lucas aus der Uniform, aber die Uniform wohl nicht aus Lucas. 

Als die Bahn eineinhalb Studen später in den Bahnhof fuhr, waren wir noch immer die einzigen Passagiere. Was kein Wunder war, wenn man bedachte, dass der Fahrplan vor dem Gebäude nichts anderes als eine allgemeine Schätzung der Fahrzeiten war, an die sich die Bahn wohl nur ausnahmsweise hielt. Ein willkommener Funke von Normalität, wenn ich ehrlich war.

Als die Bahn zum Halt kam, stiegen wir ein un wählten zwei Fensterplätze. Ich achtete noch nicht einmal darauf, welche Linie wir nahmen. Ich war zu müde. Sollte sich Lucas doch darum kümmern. Auf einmal fiel mir etwas ein. "Ach, hab ich dir schon von unserem neuen Plan erzählt?", fragte ich Lucas.

EteniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt