Kapitel 20

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Am nächsten Morgen gingen Lucas und ich zusammen in den Speisesaal und genossen ein ausgiebiges Frühstück. Das Buffet des Speisesaals hatte alles, was man sich nur wünschen konnte. Von frischen Früchten bis Pfannkuchen, Waffeln und Rührei, sogar ganze Gerichte konnte man sich nach Wunsch kochen lassen.

Ich füllte meinen Teller mit kleinen Pfannkuchen, Waffeln und Früchten und badete alles in Schokoladensoße. Dann ging ich zu dem Platz, an dem Lucas schon auf mich wartete. Er hatte sich ein gesundes Müsli gemacht. Skeptisch sah er zwischen mir und dem Teller hin und her.

"Was?", fragte ich und schob mir eine Erdbeere in den Mund. "Ich schaff das."

Doch meine Augen waren dann doch weit größer gewesen als mein Magen. Ich schaffte gerade einmal die Hälfte meiner Waffeln, dann gab ich auf. Seufzend zog Lucas den Teller zu sich und schnitt sich ein Stück vom Pfannkuchenrest ab.

"Meinst du, uns hört hier jemand?", fragte ich und sah mich um. Die Tische um uns herum waren komplett leer. Ein paar Meter von uns entfernt saß eine alte Dame, hatte den Rücken aber zu uns gerichtet. Ohne das Hörgerät, das neben ihrem Teller lag, würde sie uns bestimmt nicht belauschen können. Lucas schüttelte den Kopf und nahm ein Stück Apfel vom Teller.

 "Okay", begann ich. "Der nächste Schritt auf der Liste ist das Museum. Irgendwelche Ideen?"

"Hab ich dir den Plan nicht schon erzählt?", fragte Lucas mit vollem Mund.

Ich sah ihn fragend an. 

"Ach ne, muss ich wohl vergessen haben."

Ich verdrehte die Augen.

"Also, ich hab nen alten Schulfreund, der ist gerade auf Bewährung. Der sollte sich bei sowas auskennen. Ich bin mir sicher, er könnte die Alarmanlage für uns lahmlegen."

"Da wär dann nur ein Problem", sagte ich. "Wir dürfen mit niemandem sprechen, der uns kennt."

"Der uns für tot hält", verbesserte Lucas mich.

"Und wo ist da der Unterschied?"

"Max und ich haben seit fünf Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Es würde mich überraschen, wenn er überhaupt davon mitbekommen hat, dass ich vermisst werde. Er gehört nicht so zu der Sorte Leute, die sich für so etwas- interessieren würden."

Ich nickte langsam.

"In Ordnung. Ein Versuch ist es wert. Und wo finden wir diesen Max?"

"Wir könnten es bei seiner alten Wohnung versuchen. Ich weiß nicht ob er da noch lebt, aber sonst weiß es vielleicht der Nachmieter."

Er tunkte das letzte Waffelstück in die Schokoladensoße und schob es sich in den Mund.

"Wollen wir?"

Es dauerte gut eine halbe Stunde, bis Lucas und ich uns auf dem Zimmer fertig gemacht hatten. Gestern Abend hatten wir übers Hotel noch einen Haufen Klamotten bestellt, der bei unserer Rückkehr vom Frühstück frisch säuberlich im Schrank hing. Ich wählte eine helle Löcherjeans mit dunkelblauer Bluse, darüber einen grauen Mantel. Das Outfit erinnerte mich ein wenig an das, was ich.... Lucas zog eine einfache schwarze Hose, ein Hemd und darüber und einen dunkelgrünen Pullover an. Zum Schluss stopften wir uns beide noch ein wenig Geld in die Taschen, dann verließen wir das Zimmer.

"Wir brauchen dringend ein Portemonnaie", sagte ich, als wir die Eingangstür passierten und am Wasser entlang in Richtung U-bahn spazierten. Mit dem Daumen schob ich die Ecke des 50 Euro Scheins zurück, der gerade dabei war, aus meiner Manteltasche zu rutschen. 

Die Luft war frisch. Es war kurz vor halb neun an einem Samstag. Die ganze Stadt war voller Touristen und Leuten, die in einem der Einkaufspassagen schoppen gehen wollten. Am Wasser saßen einige Rentner mit ihren Hunden und unterhielten sich.

Auch die Bahn war proppevoll. Lucas und ich mussten den gesamten Weg stehen, doch das machte mir nichts aus. Irgendwann fuhr die Bahn aus dem Tunnel und wir erreichten unsere Haltestelle.

Ich hatte in letzter Zeit schon schlimmere Orte gesehen. Das Wohngebäude war zwar alt und dringend renovierungsbedürftig, doch von innen schien es einigermaßen sauber. Da es keinen Fahrstuhl gab mussten wir die fünf Stockwerke nach oben laufen. Dort angelangt musste ich ein paar Sekunden verschnaufen. Es war zu lange her, dass ich das letzte mal Sport gemacht hatte. Obwohl ich fand, dass sterben schon eine Sportart für sich war.

Lucas klingelte. Eine Minute lang passierte nichts, dann öffnete sich die Tür. Vor uns stand eine ältere Dame, ihren kleinen grauen Mops im Arm. Verwirrt sah sie uns an.

"Entschuldigen sie die Störung. Wohnt hier ein Max Rainer?", fragte Lucas sie mit einem freundlichen Lächeln.

Sie schüttelte den Kopf. "Nicht, dass ich wüsste. Ich wohne hier schon seit drei Jahren und von einem Herrn Rainer habe ich noch nie gehört. Ist er ein Freund von euch?"

"Genau. Ein Freund. Also haben sie auch keine Ahnung wo er hingezogen sein könnte?", fragte ich.

"Leider nein. Tut mir wirklich leid."

"Schade. Aber trotzdem danke", verabschiedete Lucas sich und drehte sich zur Treppe. Ich folgte ihm. Im ersten Stock rannte ich fast in ein junges Mädchen herein. Gefolgt von ihrem Vater kam sie uns entgegen. Sie kicherte, als ihr die Puppe aus der Hand rutschte und über das Geländer zurück ins Erdgschoss fiel. Lucas hob sie auf und trug sie zum Mädchen nach oben.

"Hier." Er reichte sie ihr. Das Mädchen lächelte schüchternd und rannte mit der Puppe im Arm weiter.

"Dein Karmakonto für heute hast du auf jeden Fall gefüllt, Alter", sagte eine Stimme hinter uns. Ich drehte mich um. Vor uns stand ein Typ Anfang zwanzig, mit grünen Haaren, Lederjacke und weit löchrigerer Jeans als ich sie anhatte. Er grinste uns schief an.

"Max?", fragte Lucas ungläubig. 

"Lucas, Alter. Was geht? Wolltet ihr zu mir?"

Lucas nickte. "Wohnst du nicht mehr hier?"

"Doch, doch, natürlich. Wie immer."

"Achso, die Frau im fünften Stock hat nämlich gesagt-"

"Ach die. Die Schmitt hat schon lange einen an der Klatsche. Ist dement oder so. Keine Ahnung. Wollt ihr reinkommen?"

Lucas nickte wieder und wir folgten Max in seine Wohnung. Mit dem Fuß trat ich einige Bierflaschen zur Seite und setzte mich auf den Sessel im Wohnzimmer. Max holte drei neue Bier aus dem Kühlschrank und reichte jedem von uns eins. Ich nippte kurz daran. Bier hatte ich nie gerne getrunken.

"Wo drückt der Schuh?", fragte Max und warf sich neben Lucas auf das braune Ledersofa.

"Wir brauchen dein Gehirn", sagte Lucas. "Wir müssen wo einbrechen."

Max lachte. "Ich bin auf Bewährung, Alter. Für mich läuft die nächste Zeit nichts."

"Wir wollen ja auch gar nicht, dass du mit reingehst. Wir brauchen nur jemanden, der sich um die Alarmanlage kümmert."

"Und wo genau willst du einbrechen?"

Max kippte den Kopf in den Nacken und nahm eine großen Schluck seines Biers.

"Ein Museum. Am Stadtrand."

"Und was zum Teufel willst du da? Hängt da die Mona Lisa oder was?"

"Wir brauchen ein Schwert. Ist etwas Besonderes."

"Hmmm", machte Max nachdenklich.

"Also? Hilfst du uns?"

"500 und ich bin drin."

Lucas tat so, als denke er über das Angebot nach. Doch zum Glück spielte Geld seit ein paar Tagen keine Rolle mehr für uns. Nur würde das nicht mehr lange halten, wenn jeder davon wusste mit wie viel Bargeld wir rumliefen.

"In Ordnung. Wenn wir das Schwert haben kriegst du 500 Euro."

Doch Max schüttelte lächelnd den Kopf. "Erst bekomm ich das Geld, dann helfe ich euch."

Lucas versuchte noch eine Weile zu verhandeln, doch Max blieb standhaft. Schließlich nahm Lucas das Angebot an und beide schlugen ein. Eine Weile blieben wir noch und unterhielten uns über die "guten alten Zeiten" und Computerkrams, dann schickte Max uns weg, um mit seiner Arbeit beginnen zu können.


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