Kapitel 21

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Es vergingen drei Tage, bis wir von Max hörten. Drei Tage, die ich im Speisesaal verbrachte, im Pool und in der Spa, mit dem Boot über die Alster fuhr und shoppen ging. Lucas sah ich nur abends, wenn wir beide auf unser Zimmer zurückkehrten. Es störte mich nicht. Im Gegenteil. Seit meinem Tod hatte ich 24 Stunden am Tag mit ihm verbracht. Ein wenig Abstand tat uns bestimmt beiden gut.

Mit Max vereinbarten wir den genauen Zeitpunkt der Aktion. Lucas und ich würden eine halbe Stunde vorher das Museum betreten und uns als Besucher ausgeben, damit wir, sobald die Alarmanlage deaktiviert war, das Schwert greifen und verschwinden konnten.

Es war riskant. Wir wussten nicht, wie das Personal oder die Besucher reagieren würden, ob wir überhaupt rechzeitig verschwinden konnten, bevor uns jemand festzuhalten versuchte. Doch ich versuchte nicht allzu sehr darüber nachzudenken. Mir jetzt schon den Kopf zu zerbrechen nützte auch nichts. Also nahm ich wieder meinen üblichen Tagesrhytmus auf, vermied es aber, das Hotel unnötig oft zu verlassen. Bevor ich mich jedoch an das sorglose Leben im Hotel gewöhnen konnte, war es so weit.

Das Museum war am Rande der Stadt, mit der Bahn gut eine halbe Stunde von unserem Hotel entfernt. Bis auf ein wenig Geld für die Eintrittskarten ließen wir das Geld im Hotel, stopften den Rucksack mit Handtüchern voll und versteckten die Pistolen unter unseren Mänteln. Ich hoffte, dass es nicht dazu kommen würde, doch für Notfälle konnten wir immerhin zurück schießen.

Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse, bei dem Gedanken an das, was ich geworden war. Ich war gerade wirklich dabei, mit einer geladenen Waffe in der Hand ein Museum auszurauben. Noch vor einigen Monaten hätte ich nicht gedacht, dass ich jemals etwas Illegales tun würde. Doch das war vor meinem Tod.

Am Eingang kaufte ich zwei Tickets, dann schlenderte ich neben Lucas durch die Ausstellung. Es war liebevoll gemacht, eine Reise durch die Zeit, von der Steinzeit bis in die Zukunft, mit aufwändig dekorierten Räumen und ausgestopften Tieren, die sprachen, wenn man auf einen Knopf vor ihnen drückte. Ich schluckte, als ich eine Schulklasse vor uns erkannte. Bei Kindern endete meine Bereitschaft, fremde Leben zu gefährden. Doch wir hatten Glück und sie verschwanden schnell in Richtung Ausgang.

Wir hatten noch eine halbe Stunde bis Max die Alarmanlage deaktivieren würde. Zeit genug, das Ticket auszunutzen und sich die Ausstellung anzusehen.

Die ganze Ausstellung hatte zehn Räume, die wie ein Labyrinth miteinander verbunden waren. Im ersten Raum war eine große Tafel mit allen Spendern und Mitwirkenden, dann ging es durch eine steinerne Wüste in den nächsten Raum. Begeistert zog ich Lucas am Arm.

Das Schwert von Nordgrab lag im sechsten Raum. Gehalten wurde es von einer hölzernen Frauenstatue, umgeben von alten Büchern und Schriften. Der ganze Raum war dekoriert mit Kunststoffpflanzen und Kunstrasen. An der Wand waren Häuser mit Strohdächern aufgemalt, Wiesen, Wälder und Schafherden, dahinter ein dunkler Gewitterhimmel. Man hatte fast das Gefühl wirklich in einem kleinen Dorf zu sein.

Ich trat vor die Statue und las die Plakette zu ihren Füßen.

Gerda.

Über diese Frau aus Norwegen im frühen Mittelalter ist kaum etwas überliefert worden. Einzig ein Schwert mit ihrem Namen und einige Schriften erzählen von ihrem bewegten Leben. So soll sie als junge Frau mit diesem Schwert einen Wolf getötet haben, als er eines der Schafe riss, ihn zurück ins Dorf geschleift und dort mit den Worten

"Soll er doch neben dem Schaf im Topfe schmoren."

auf dem Dorfplatz niedergelegt haben. Nach ihrem frühen Tod ist ihr das Schwert mitsamt eingraviertem Namen ins Grab beigelegt worden. Bis heute ist ungeklärt, ob es sich bei Gerda um eine wirkliche Person gehandelt hat, doch ihre Geschichte ist auf jeden Fall eine Erzählung wert.

"Siehst du? Das Ding hat schon einen bösen Wolf getötet.", flüsterte ich Lucas zu und tippte mit meinem Flyer auf die Plakette vor uns.

"Wenn man dem glaubt, was irgendein gelangweilter Typ hundert Jahre später aufgeschieben hat."

"Das weißt du nicht. Die Geschichte könnte wahr sein."

"Oder totaler Bullshit."

Ich schnaubte. Nachdenklich legte ich den Kopf schief und musterte das Schwert.

"Ich dachte irgendwie, das Schwert wird besonderer aussehen. Ich weiß nicht warum, aber ich hab mir immer vorgestellt dass es leuchtet, wenn man sich ihm nähert. Oder dass es voller Diamanten ist. Dass der Griff aus Gold ist. Oder irgendwas. Nicht-"

Ich deutete mit beiden Händen auf das Schwert.

"-das da."

"Ich weiß was du meinst. Für ein Schwert, das angeblich dazu in der Lage ist Geister zu töten, ist das ganz schön-"

Er suchte nach Worten.

"Gewöhnlich", beendete ich seinen Satz. Er nickte. Dann sah er auf die Uhr.

"Gut. Wir haben noch vier Minuten, bevor die erste Durchsage kommt. Kurz danach macht Max sein Ding und wir- du weißt schon."

"Bist du dir sicher, dass dein schräger Kumpel die Alarmanlage rechtzeitig abstellt? Ich hab nicht so das Bedürfnis morgen überall im Fernsehen zu sehen sein, wie ich mit dem Schwert in der Hand von der Polizei festgenommen werde. Owena wird das bestimmt auch nicht gerne sehen."

"Max ist ein schlauer Kerl."

Lucas klopfte mir ein letztes Mal aufmunternd auf die Schulter, dann drehte er sich um und schlenderte in Richtung Eingang. Ich sah ihm nervös, aber dennoch ein wenig belustigt nach. Gerade als er aus meinem Sichtfeld verschwand und ich mich zurück zum Schwert drehte, ging plötzlich das Licht aus und es war stockdunkel. Dann ertönten Schreie.

EteniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt