Kapitel 30

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"Ich würde ja gerne sagen, es freut mich, dich wiederzusehen, Arin. Aber diese Umstände geben mir dann doch ein wenig zu denken."

Lucas riss an seinen Fesseln. "Was wollen Sie von uns?", zischte er.

Navarro schritt langsam auf Lucas zu und beugte sich zu ihm hinunter.

"Lucas Brannigan, richtig?", fragte er.

Lucas schwieg.

"Sehr erfreut", sagte Navarro und reichte ihm die Hand. Lucas funkelte ihn wütend an, die Hände noch immer hinter dem Rücken zusammengebunden.

"Hmmm, ja", sagte Navarro mit einem Blick auf die Fesseln und ließ seine Hand sinken. "Vielleicht doch nicht."

Einer der beiden Typen hinter ihm reichte ihm ein Klappmesser. Langsam faltete Navarro es auf, den Blick noch immer auf Lucas gerichtet.

"So. Lucas", sagte er wie in Gedanken versunken und griff mit der freien Hand nach dessen Kragen. "Dann wollen wir doch mal sehen." Lucas warf panisch seinen Kopf zurück, doch das schien Navarro nicht im geringsten zu stören. Unbeirrt nahm er das Messer, setzte die Klinge an und-

Ich kniff die Augen zusammen. Doch es blieb ruhig. Als ich sie wieder öffnete, hielt Navarro das ursprünglich weiße, nun größtenteils dunkelrote Tshirt von Lucas in der Hand, betrachtete es kurz und ließ es dann achtlos neben sich fallen. Dann beugte er sich wieder zu Lucas hinunter und fuhr mit der anderen Hand über die Schusswunde an seiner Brust, die wie meine zu einer hellen Narbe verheilt war. Alles, war Lucas tun konnte, war, den Kopf wegzudrehen.

"Weißt du, Arin, wie überrascht ich war, als ich dich bei deiner eigenen Trauerfeier gesehen habe? Dabei habe ich deine Leiche mit meinen eigenen Augen gesehen. Ich habe gesehen, wie du verblutet bist. Ich war sogar derjenige, der dir die Augen geschlossen hat. Aber da warst du. Du und dieser Junge hier." Wieder nahm er das Messer und ließ es über Lucas Brust wandern. Lucas atmete scharf ein. Es war kein tiefer Schnitt, den Navarro auf seiner Brust hinterließ, nur so tief, dass eine schmale, blutende Linie entstand.

"Interessant", murmelte er. Mit ausgestrecktem Zeigefinger fuhr er über den Schnitt. Fast schon ungläubig betrachtete er seinen nun blutroten Finger.

"Ich habe lange überlegt, wie ihr es geschafft habt, Owenas langen Klauen zu entkommen. Aber das seid ihr nicht, habe ich recht?"

Er richtete sich auf und sah uns nachdenklich an. "Ihr seid gestorben. Und doch seit ihr hier, in euren eigenen, sterblichen Körpern. Will einer von euch mir ein wenig auf die Sprünge helfen, oder muss ich es aus euch rauskitzeln, wie ihr das angestellt habt?"

Ich sah zu Lucas. Der starrte Navarro nur trotzig an, während das Blut langsam aus dem Schnitt an seiner Brust lief. "Wir haben Ihnen nichts zu sagen", sagte er. "Töten sie uns halt, wenn Ihnen das nicht passt."

"Das ist aber schade" sagte Navarro mit übertrieben freundlicher Stimme. "Dabei hatte ich mir so Mühe gegeben, euch ein guter Gastgeber zu sein. Ich hab euch sogar die Heizung anschalten lassen."

"Wir haben-", begann ich, doch Lucas ließ mich den Satz nicht beenden.

"Sag nichts", rief er dazwischen. "Er-" Bevor er weiter sprechen konnte, hatte einer von Navarros Männern ihm einen gewaltigen Schlag in die Magengegend verpasst. Keuchend fiel Lucas nach vorne. "Was wollen Sie von uns?", zischte er. "Wir haben Ihnen nichts getan."

Doch Navarro antwortete nicht. Stattdessen gab er einen kleinen Wink mit der Hand und der Typ schlug wieder zu, dieses Mal direkt in Lucas Gesicht. Es knackte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kippte Lucas zur Seite, bis ihn seine Fesseln daran hinderten.

EteniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt