Kapitel 38

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Ein Ast verdeckte noch weitere Worte. Ich klemmte mir die Taschenlampe zwischen die Zähne und schob die Blätter zur Seite. Als ich die Schrift las, stockte mir der Atem. Die Taschenlampe fiel mit einem dumpfen Laut vor mir ins Gras, während mir mit einem Mal so einiges klar wurde.

"Lucas", rief ich leise in die Dunkelheit.

"Was ist-"

"Nimm deine Hände davon", unterbrach ihn eine harsche Stimme. Ich fuhr herum. Navarro stand dort, seine lange, schmale Gestalt nur spärlich beleuchtet. Erschrocken trat ich vom Stein. Dabei rutschte mir das Handy aus den kalten Fingerspitzen und landete mit einem dumpfen Aufprall neben der Taschenlampe im Gras.

Lucas handelte schnell, griff das Schwert und ging langsam auf Navarro zu.

"Vorsicht, Junge", ermahnte Navarro ihn. "Erinner dich daran, wie der letzte Versuch geendet hat."

Lucas schnaubte. "Hätten Sie eine Pistole, hätten sie die schon längst gezogen." Doch auch wenn er seine Unsicherheit äußerlich fast perfekt überspielte, wurde er merklich langsamer.

"Na dann, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig." Navarros Augen funkelten hämisch im Licht meiner Taschenlampe, als er seine Hände wie in Handschellen vor sich zusammen hielt.

Lucas schüttelte den Kopf. "Ich werde Sie nicht festnehmen. Über den Punkt sind wir schon lange hinaus."

Navarro entfuhr ein leises Kichern. "Also bringst du mich um?"

Lucas antwortete nicht. Wie ein Schwertkämpfer in der Arena hielt er das Schwert vor sich. Mit jedem seiner Schritte wippte es leicht auf und ab.

Schnell beugte ich mich nach unten, griff mein Handy und die Taschenlampe und leuchtete Navarro damit direkt ins Gesicht. Genervt kniff er die Augen zusammen und versuchte, den Lichtstrahl mit der Hand zu blockieren.

"Wir wollen dir nicht wehtun", sagte ich. "Bitte, geh einfach."

"Was redest du? Natürlich wollen wir das. Er hat es nicht anders verdient", fuhr Lucas mich an. 

"Siehst du, Arin, deswegen wollte ich den Jungen nicht ziehen lassen", sagte Navarro. "Kaum trifft man ihn wieder, will er einem das Schwert in den Rücken stechen."

Während Lucas Navarro langsam immer näher kam, versuchte ich fieberhaft, auf etwas zu kommen, was ich sagen konnte. Etwas, womit ich Navarros Aufmerksamkeit gewinnen würde.

"Meinst du, sie wäre stolz auf dich, wenn sie mitbekommen hätte, zu wem du geworden bist?", fragte ich schließlich.

Es funktionierte. Navarro drehte seinen Kopf zu mir. Von einem Moment auf den anderen schien der Friedhof noch stiller, noch dunkler zu werden, als er es ohnehin schon war. "Sei still. Du hast keine Ahnung", fuhr er mich an.

"Wovon redet ihr?", fragte Lucas unsicher, das Schwert noch immer vor sich ausgestreckt. "Beenden wir es, Arin. Denk an die zweite Chance."

Im nächsten Moment passierte so viel gleichzeitig, dass ich es erst richtig realisierte, als es schon vorbei war. Lucas holte aus, stürzte auf Navarro zu und zielte mit dem Schwert genau auf dessen Herz. Doch einen Augenblick später war das Schwert nicht in Navarros Brust versenkt, sondern in seiner Hand, die Spitze auf Lucas gericht. Mit der anderen Hand packte Navarro Lucas an den Haaren und zog ihn zu Boden.

Auch wenn Lucas alles andere als ein schlechter Kämpfer war, gegen Navarro schien er nichts ausrichten zu können. Erfolglos versuchte er, sich aus Navarros Griff und außerhalb der Reichweite des Schwertes zu winden, doch Navarro blieb eisern.

"Ihr habt es nicht anders gewollt", sagte er und drückte die Klinge gegen den Hals von Lucas. Der brüllte vor Schmerz, während seine Beine anfingen, wild hin und her zu zappeln.

EteniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt