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Ungefähr drei Wochen später geht es meinem Freund wieder total gut. Rita meint, dass er den Entzug jetzt ganz geschafft hat. Zwei Mal wäre er fast rückfällig geworden, aber das konnte ich zum Glück verhindern. Liam hat das Boxen für sich entdeckt und wir trainieren fast jeden Tag. Ich bin sehr stolz auf ihn. Nicht alle schaffen es, einen Entzug hinter sich zu bringen und auch noch clean zu bleiben. Eigentlich hätte alles perfekt sein können, wenn sich seine Eltern nicht wieder eingemischt hatten. Liam hatte seit ungefähr zwei Jahren keinen Kontakt mit ihnen. Sie sind stolze Mexikaner und dass ihr Sohn transgeschlechtlich ist, wollten sie nicht wahrhaben. Liam kam schon sehr früh in Kliniken, die ihn heilen sollten. Kleiner Spoiler, das hat nicht funktioniert. Liam hat keine Geschwister, denen er sich anvertrauen konnte, er war immer allein. Sein Vater hat ihn jedes Mal geschlagen, wenn er ihn in seinen Klamotten erwischt hat. Seine Mutter begann, ihren Sohn in Mädchenklamotten zu stecken. Liam hat sich natürlich geweigert, aber das hatte nur zur Folge, dass sein Vater noch aggressiver wurde. Er hat seinen Sohn grün und blau geschlagen, aber in der Schule hat das niemanden interessiert. Dort war es sogar normal, die Kinder zu schlagen, wenn sie nicht auf die Erwachsenen gehört haben. Irgendwann sind Liam und seine Eltern dann nach Australien ausgewandert, da in Mexiko immer mehr Drogenkartelle an die Macht kamen und es für die unschuldigen Familien immer gefährlicher wurde. Diese Menschen, die ihn so nie wirklich akzeptiert haben, wollen jetzt wieder Kontakt mit Liam haben. „Denkst du, ich soll mich mit ihnen treffen?", fragt er nachdenklich. „Willst du das wirklich?", entgegne ich zweifelnd. Mir ist es gar nicht recht, dass sich seine Eltern plötzlich wieder bei ihm gemeldet haben, andererseits ist mein Freund ein totaler Familienmensch. Er hat sich immer eine Familie mit Haus, Hund und zwei Kindern gewünscht.

Eine Woche später bekommt mein Freund also Besuch von seinen Eltern. Ein paar Minuten später, es müssen ungefähr fünfzehn gewesen sein, nachdem er in den Besucherraum gebracht wurde, kommt er wutentbrannt zurück und knallt die Zellentür hinter sich zu. Ich folge ihm vorsichtig. „Du kannst dir nicht vorstellen, was diese unglaublichen Vollidioten abziehen wollten!", ruft Liam aufgebracht. „Was war denn los?", frage ich und umarme meinen Freund. Dieser lässt sich demotiviert in meine Arme fallen. „Am Anfang waren sie wirklich sehr nett und haben gefragt, wie es mir geht und so weiter. Meine Mum hat mich umarmt und mein Dad hat mich angelächelt. Das war richtig schön. Sie waren schon lange nicht mehr so herzlich. Dann hat Dad mir versprochen, dass sie mich hier raus holen können, er hat wohl einen guten Anwalt gefunden.", erklärt Liam. „Das klingt doch super.", entgegne ich, obwohl mir bewusst ist, dass ich noch eine ganze Weile hier drinnen bleiben werde. Trotzdem will ich für meinen Freund nur das Beste. „Das ist es aber nicht. Meine Mum hat mir dann ganz stolz erzählt, dass sie einen jungen Mann gefunden hat, der sich für mich interessiert und sie wollte mich mit ihm verkuppeln. Kannst du dir so eine abartige Scheiße vorstellen?", fragt er wütend. „Was läuft denn mit denen schief?", erwidere ich sauer. „Die waren schon immer so. Wie dumm von mir, Ich dachte wirklich, dass sie sich geändert hätten. Sie sind noch genau so dumm und verbohrt, wie früher, als ich noch ein Kind war.", bemerkt Liam nachdenklich. „Vielleicht war das ein Zeichen, dass wir ohne unsere Eltern besser dran sind. Immerhin haben sie uns in diese ganzen Kliniken geschickt. Vermutlich war es in deren Kindheit normal, aber jetzt ist es einfach nicht mehr zeitgemäß.", versuche ich Liam aufzubauen. Ich will ihm zeigen, dass er daran absolut keine Schuld hat. Zum Glück versteht er das.

Am nächsten Tag werde ich zur Gefängnisleitung gerufen. „Was soll ich hier?", frage ich genervt. Eigentlich habe ich auch besseres zu tun, als bei der Gefängnisleitung abzuhängen. Ich wollte mit Liam trainieren und aufpassen, dass er nicht wieder rückfällig wird, denn darum mache ich mir immer noch große Sorgen. Außerdem habe ich eine gewisse Ahnung, warum ich jetzt in diesem Büro sitze. „Amy, Ihre Mutter möchte gerne mit Ihnen Kontakt aufnehmen.", erklärt die Gefängnisleitung. „Sie können ihr gerne sagen, dass ich sie nie wieder sehen will und dass sie es bitte unterlassen soll, mit mir Kontakt aufzunehmen.", entgegne ich. „Ich habe in Ihrer Akte gelesen, dass Sie kein gutes Verhältnis zu Ihrer Mutter haben, aber wollen Sie ihr nicht eine Chance geben?", fragt sie. „Eine Chance? Auf gar keinen Fall. Steht in meiner Akte auch, was meine Mutter mir angetan hat?", entgegne ich. „Ihre Eltern sind streng religiös. Die beiden sind in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen, das müssen Sie bedenken.", erwidert sie. „Das rechtfertigt dieses abgrundtief böse Verhalten trotzdem nicht. Mein Vater war immer liberaler, obwohl seine Eltern noch konservativer waren, als die Eltern meiner Mutter. Nein, das ist absolut keine Entschuldigung.", stelle ich klar. „Also steht Ihr Entschluss fest, Sie wollen keinen Kontakt mit Ihrer Mutter haben?", fragt die Gefängnisleitung. „Auf gar keinen Fall, unter keinen Umständen, nicht einmal, wenn sie sich bei mir entschuldigen würde und auch nicht, wenn die Hölle gefriert.", entgegne ich blitzschnell. „Überlegen Sie sich diese Entscheidung bitte noch einmal. Sonst werden Sie es irgendwann vielleicht bereuen.", erwidert sie. Ich habe das Gefühl, dass sie eher von sich spricht, statt von mir, aber solange sie mich jetzt damit in Ruhe lässt, ist es mir egal. „Deine Mutter will wieder Kontakt mit dir haben? Nach allem, was sie dir angetan hat? Weißt du eigentlich, was sie von dir will?", fragt Liam, als ich wieder zurück auf der Station bin. „Vielleicht will sie mich auch mit einem Typen verkuppeln, wie deine Eltern.", ziehe ich meinen Freund auf. „Erinnere mich bloß nicht daran.", entgegnet er genervt.

Am nächsten Tag laufe ich gedankenverloren zu den Duschen, bis ich ein leises Wimmern höre. Die ganze Sache mit den Eltern von Liam und mit meiner Mutter geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Aber jetzt werde ich von etwas anderem abgelenkt. „Jetzt stell dich nicht so an, immerhin habe ich dir auch dein Zeug besorgt, normalerweise mache ich so etwas nicht, denn ich hasse Drogen.", zischt die Fledermaus wütend. „Nein, ich kann das einfach nicht. Es tut mir leid.", flüstert eine junge Frau. „Dann hättest du mir keinen Deal anbieten dürfen. Jetzt trägst du eben die Konsequenzen für dein Verhalten.", entgegnet der eklige Beamte und stöhnt leise. Ich habe mich die ganze Zeit versteckt, aber von dort aus kann ich nicht sehen, was da genau passiert. Natürlich lassen die Geräusche nicht allzu viel Interpretationsspielraum zu, gerade weil ich dieses Stöhnen nur allzu gut kenne. Ich schüttle mich kurz, dann renne ich zu den Duschen, um der jungen Frau zu helfen. „Lass sie sofort los!", rufe ich. Die Fledermaus ist so erschrocken, dass er die Gefangene wirklich loslässt. Ich kenne sie nicht, sie muss also neu hier sein. „Schnell, lauf weg!", schreie ich sie an. Sie steht langsam auf und läuft weg. Die Fledermaus zieht schnell seine Hose hoch. „Was sollte das?", fragt er wütend. „Lass mich mal überlegen. Eventuell gefällt es mir nicht, dass du sie vergewaltigen wolltest.", entgegne ich sarkastisch. „Sie wollte das auch, also war es keine Vergewaltigung.", erwidert der Beamte. „Du kannst dich gerne selbst belügen, aber frag mal das Mädchen. Sie wollte das nicht und du hast trotzdem weiter gemacht.", erkläre ich. Er lacht hämisch und ich könnte kotzen.

„Amy, deine Solidarität zu deinen Mitgefangenen wird dir irgendwann noch das Genick brechen.", presst er zwischen zwei Lachern heraus. „Und dass du nur mit deinem Schwanz denkst, wird dir irgendwann das Genick brechen.", entgegne ich. Die Fledermaus packt mich an den Schultern. „Wenn du auch nur vorhast, mich zu verraten, dann bringe ich dich eigenhändig um.", droht er mir leise. „Das musst du erst einmal versuchen.", flüstere ich zurück. Die Fledermaus legt seine Hand um meinen Hals. Das hätte er besser nicht getan, denn wenn mich jemand am Hals berührt, entwickle ich ungeahnte Kräfte. Ich schubse den Beamten reflexartig nach hinten. Er rutscht aus, fällt nach hinten und knallt mit dem Kopf an eines der Waschbecken. Er sackt auf dem Boden zusammen und sofort bildet sich eine riesige Blutlache. Ich starre ihn fassungslos an. Das wollte ich eigentlich nicht. „Hey, Fledermaus. Mach keinen Scheiß, steh auf. So schlimm war das doch nicht.", fordere ich ihn auf. Er bewegt sich nicht mehr. Verdammt, der Idiot kann doch jetzt nicht einfach so abkratzen. Ich stupse ihn vorsichtig an. „Dich haut doch sonst nichts so schnell aus der Bahn.", flüstere ich. Er bewegt sich immer noch nicht. Ich glaube, er ist wirklich tot. Damit niemand auf die Idee kommt, dass ich etwas damit zu tun habe, versuche ich, mich langsam aus dem Bad zu schleichen. Linn durchkreuzt allerdings meinen Plan. „Was machst du hier?", fragt sie, als ich langsam die Tür hinter mir schließe. Verdammt, was soll ich machen? Soll ich ihr die Wahrheit sagen? Irgendwann wird sie es sowieso herausfinden. Vermutlich wird sie es auch innerhalb der nächsten Minute herausfinden, deswegen hat es eigentlich gar keinen Sinn, sie anzulügen.

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