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Niemals hätte ich gedacht, dass mein Leben sich so großartig ändern würde. Ich habe mich eigentlich auch schon damit abgefunden, für immer ein chaotisches Leben zu führen, aber das würde Maxine nicht zulassen. Nachdem ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, wusste ich erst einmal nicht, was ich eigentlich machen soll. Fast wäre ich deswegen depressiv geworden. Habe ich schon einmal erwähnt, dass es einen wahnsinnigen Vorteil hat, dass ich mit einer Psychologin zusammen bin? Sie hat natürlich direkt erkannt, dass irgendetwas nicht stimmt und gehandelt. Nach langem Hin und her überlegen haben wir beschlossen, dass es vermutlich das klügste wäre, wenn ich zuerst meinen Schulabschluss nachholen würde. Ich war schon seit Ewigkeiten in keiner Schule mehr und irgendwie fand ich den Gedanken, wieder in die Schule zu gehen, etwas befremdlich. Also haben wir beschlossen, dass ich den Abschluss an einer Abendschule nachholen werde. Das war vermutlich die beste Entscheidung. Es war wirklich ziemlich anstrengend, ich musste so viel lernen und das war ich einfach nicht mehr gewohnt. Trotzdem habe ich es irgendwie geschafft, den Abschluss zu packen. Eigentlich weiß ich selbst nicht einmal, wie das passieren konnte. „Du bist eben Super-Amy. Es war doch klar, dass du das schaffst.", hat mich meine Freundin bestärkt. Ich liebe diese Frau so sehr.

Das Merkwürdige an der Zukunft ist vermutlich die Vorstellung, dass man diese Zeit, die Gegenwart, irgendwann einmal die gute alte Zeit nennen wird und davor habe ich Angst. Ich habe Angst vor der Zukunft und irgendwie habe ich auch Angst vor der Gegenwart. „Die wahre Großzügigkeit der Zukunft gegenüber besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben.", zitiert meine Freundin Albert Camus. Nachdem ich den Abschluss geschafft habe, bin ich wieder einmal etwas planlos. Dieses Gefühl habe ich ziemlich oft in letzter Zeit und gut ist das definitiv nicht. „Komm schon, irgendwas musst du doch machen wollen. Gibt es irgendeinen Job, der dich besonders interessiert? Möchtest du studieren? Möchtest du einen Mini Job machen? Möchtest du eine Ausbildung machen?", fragt Maxine, langsam ist auch sie mit der Situation überfordert. Liegt es wirklich am Gefängnis oder bin ich generell ein hoffnungsloser Fall? Was studieren denn alle jungen Leute, die nicht wirklich wissen, was sie mit ihrem Leben machen sollen oder einen psychischen Knacks haben? Richtig, soziale Arbeit oder Ähnliches. Ich habe mich für soziale Arbeit entschieden, aber auch nur mit der Hilfe meiner Freundin. Das Studium ist wirklich anstrengend und anfangs hatte ich wirklich Angst, dass ich eine der älteren Leute sein werde, aber das stimmt gar nicht. In meinem Kurs sind viele Leute, die deutlich älter sind, als ich. Das nimmt den ganzen Druck etwas raus. Ich bin sehr perfektionistisch und als ich meine erste Klausur zurückbekomme, bin ich etwas enttäuscht, weil ich nur eine drei geschrieben habe. „Ich wäre fast durch mein Studium gerasselt, eine drei muss dir also gar nicht peinlich sein.", versucht meine Freundin mich zu trösten, aber ich bin wirklich enttäuscht von mir selbst.

„Hallo Amy, schön, dass du da bist.", empfängt mich Alice, die Mutter von meiner Freundin. „Na Dankeschön, findest du es nicht auch toll, dass ich hier bin?", entgegnet Maxine empört. „Nicht wirklich, wir kennen dich immerhin schon seit vierunddreißig Jahren. Amy ist im übrigen die erste Freundin, die du länger als zwei Monate hast und wir würden gerne wissen, was an ihr so besonders ist. Natürlich ist sie total süß und nett, aber was hat sie an sich, dass du nicht das Interesse verlierst?", fragt Frank, er ist der Dad von Maxine. Ich schaue ihn erschrocken an und bin ziemlich froh, dass er lacht. Auch die Brüder meiner Freundin, Bentley und Jackson sind total nett, ich habe die Familie direkt in mein Herz geschlossen. Vielleicht auch, weil meine Familie nie so perfekt war. Ein paar Tage später treffe ich mich mit meinem Bruder Jason. Ich habe ihn wirklich schon lange nicht mehr gesehen und ich bin froh, dass er noch immer zu mir hält. „Du solltest dein Leben jetzt genießen, du hast eine tolle Freundin, du hast sogar studiert, was niemand in unserer Familie getan hat und ich habe das Gefühl, dass du zum ersten Mal seit unserer Kindheit wieder richtig glücklich bist. Vergiss bitte niemals, glücklich zu sein.", flüstert er, als er mich zum Abschied umarmt. Mein Bruder hat wie immer recht, mein Leben ist perfekt und ich möchte auf keinen Fall, dass es jemals wieder anders ist.

True colors | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt