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„Und dann hat er sich das ganze Waschmittel über die Uniform gekippt!", rufe ich und lache. „Der Typ sah echt aus, als hätte er sich von oben bis unten vollge-", will ich ergänzen, aber Rita unterbricht mich. „Verdammt!", ruft sie erschrocken. In der Dusche liegt eine der neuen Gefangenen, ich glaube, sie heißt Jessica. „Ist sie tot?", frage ich. Rita, die sich zu ihr gebeugt hat, nickt. Am liebsten würde ich mich übergeben, das ist so schrecklich. Um mich abzulenken, lasse ich meinen Blick etwas kreisen und plötzlich entdecke ich etwas. Aufgeregt zeige ich auf eine Spritze, die neben Jessica liegt, denn durch den Schock habe ich keine Kraft mehr, zu sprechen. „Wer bringt hier schon wieder Drogen rein?", fragt Rita ungehalten. Als sie bemerkt, dass ich nervös werde, weil ich etwas weiß, schüttelt sie mich. „Amy, das passiert im Gefängnis manchmal. Du musst mit mir reden. Wer hat die Drogen rein gebracht?", fragt sie und ich komme langsam wieder aus meiner Schockstarre zurück. „Wahrscheinlich Tammy. Sie schleicht in letzter Zeit so verdächtig durch die Gänge. Vielleicht dealt sie wieder.", antworte ich. „Amy, ich glaube fast, es wird mal wieder Zeit für eine Zellendurchsuchung.", stellt Rita fest. Ich stimme ihr zu, obwohl ich Angst habe, dass unser Boss nicht nur die Zelle von Tammy durchsucht und dass sie dabei das Zeug von Liam findet. Sie durchsucht aber tatsächlich nur die Zelle von Tammy. Dort wird sie auch ziemlich schnell fündig. „Schau mal, das kann sie unmöglich alles selbst konsumieren.", flüstert Rita und zeigt mir ungefähr zwanzig Päckchen Heroin. Also hatte Liam das Zeug doch von Tammy. „Was wirst du jetzt mit ihr machen?", frage ich. „Linn soll sie nach der Pause zu mir bringen. Schau mich nicht so an, ich weiß, dass du mir helfen willst. Es soll aber niemand denken, dass du etwas mit dieser Aktion zu tun hast. Die Frauen haben Angst vor mir, vor dir nicht. Ich will es nicht riskieren, dass sie dich verletzen.", erklärt Rita und ich muss zugeben, dass ich sie verstehen kann. Linn bringt Tammy nach der Mittagspause in die Wäscherei, normalerweise ist sie in einer anderen Gruppe. „Du hast also wieder gedealt, obwohl ich dich schon einmal ermahnt habe. Du weißt doch, welche Konsequenzen das hat.", stellt unser Boss fest. Linn legt die Hände von Tammy unter die Bügelpresse und Rita drückt sie nach unten. Ein beißender Geruch entsteht und Tammy schreit vor Schmerzen. Als unser Boss die Bügelpresse wieder öffnet, erkenne ich, dass die Hände von Tammy total geschwollen und verbrannt sind. Die Dealerin rennt in ihre Gruppe zurück. In diesem Moment habe ich ein bisschen Angst vor Rita.

Die nächsten Tage ist die Stimmung viel gereizter, als sonst. Mich wundert das eigentlich gar nicht, immerhin kann niemand mehr Drogen von Tammy kaufen. Sie scheint wohl wirklich das halbe Gefängnis mit Drogen versorgt zu haben. Niemand traut sich, Rita anzugreifen, aber sie bekommt ein paar richtig böse Blicke ab. Auch mein Freund wird sichtlich nervöser. Die gute Stimmung zwischen uns ist verflogen, er blockt mich immer wieder ab. „Warum ist Liam in letzter Zeit so oft auf der Krankenstation?", fragt Rita verwundert. Ich zucke teilnahmslos mit den Schultern. „Amy, du kannst mir ruhig vertrauen. Hat es endlich mit den Hormonen geklappt?", fragt sie und lächelt mich freundlich an. Ich breche augenblicklich zusammen. „Du darfst ihn nicht bestrafen. Liam kann nichts dafür. Er kam nicht damit klar, was die Fledermaus ihm angetan hat, deswegen hat er angefangen, Valium und Heroin zu nehmen. Ich habe sein Zeug entsorgt, aber er hat sich immer wieder neue Drogen geholt.", sprudelt es aus mir heraus. Rita nimmt mich in den Arm. „Amy, du weißt ganz genau, dass ich hier keine Drogen dulde. Liam wird einen Entzug machen müssen. Da das aber vermutlich seine Chancen auf die Hormone noch mehr verringern wird, macht er den Entzug mit Linn und mir. Als seine Vertrauensperson darfst du auch dabei sein. Wenn es allerdings zu schlimm wird, musst du gehen.", erklärt unser Boss einfühlsam. „Liam wird da aber wahrscheinlich nicht freiwillig mitmachen.", gebe ich vorsichtig zu bedenken. „Doch, das wird er, versprochen.", entgegnet Rita. Wir machen uns auf die Suche nach meinem Freund. Als wir ihn endlich gefunden haben, bringen wir ihn in seine Zelle.

„Was soll das, verdammt?", fragt Liam ungehalten. Er schaut Rita böse an, trotzdem hat er noch Respekt und vielleicht auch ein bisschen Angst vor ihr. Mich funkelt er aber an, als würde er mich im nächsten Moment am liebsten töten. Ich habe diese Wut noch nie in seinen Augen gesehen. „Kannst du dir das nicht denken?", fragt unser Boss mit verschränkten Armen. Mein Freund zuckt mit den Schultern. In diesem Moment könnte ich ihm eine klatschen. Er treibt mich mit diesem blöden und teilnahmslosen Verhalten fast in den Wahnsinn. „Du hast sicherlich bemerkt, dass Tammy nicht mehr dealen wird. Mir ist aufgefallen, dass du schon öfter Drogen konsumiert hast.", erklärt Rita. „Willst du mich eigentlich komplett verarschen?", fragt Liam und funkelt mich wütend an. „Amy hat nichts damit zu tun. Ich weiß genau, wie es aussieht, wenn jemand konsumiert. Ich bin nicht erst seit gestern hier.", verteidigt sie mich. „Ich kann jederzeit damit aufhören.", entgegnet mein Freund. „Sagst du das zu uns, oder zu dir? Sich selbst zu belügen, ist auch ein Zeichen für eine Abhängigkeit.", bemerkt unser Boss. Mein Freund bricht zusammen. „Ich wollte das nicht, ich wollte doch nur alles vergessen.", stottert er. Ich umarme ihn. „Du wirst einen Entzug machen, mit Linn, Amy und mir. Es wird die Hölle, aber alles ist besser, als abhängig zu sein.", erklärt Rita. Mein Freund stimmt nur sehr widerwillig zu und Linn besorgt alles, was wir für unser Vorhaben benötigen.

„Bist du bereit?", fragt Rita. Mein Freund nickt entschlossen. Eigentlich hat er auch gar keine andere Wahl. Die ersten Stunden verlaufen relativ ereignislos, aber als es Zeit zum schlafen ist, wird Liam nervös. „Kann ich nicht etwas zum einschlafen haben?", fragt er vorsichtig. Rita schüttelt den Kopf. Mein Freund kauert sich zusammen, er zittert. Ich lege mich zu ihm. Unser Boss kocht Tee für uns. Liam bekommt nichts runter, nach einiger Zeit müssen wir ihn dazu zwingen. Als er dann endlich eingeschlafen ist, ziehen sich Rita und Linn in ihre Zellen zurück. Um drei Uhr morgens wacht Liam schweißgebadet auf. „Ich war wieder da, in der Klinik.", flüstert er. Ich nehme meinen Freund in den Arm. „Das ist vorbei. Du musst nie wieder in die Klinik.", verspreche ich ihm. „Ich habe auch von meinen Eltern geträumt.", entgegnet er leise. Liam hat kein besonders gutes Verhältnis mit seinen Eltern. Sie haben ihn hier noch nie besucht. Außerdem akzeptieren sie nicht, dass Liam ein Mann ist. Ich tröste meinen Freund und er lässt es zu. Am nächsten Morgen werde ich von Rita abgelöst und Linn übernimmt die nächste Nachtschicht. Ich bin den beiden so dankbar, ich kann es kaum in Worte fassen. „Das ist doch selbstverständlich, wir machen das füreinander. Im Gefängnis ist es oft ziemlich scheiße, aber wir halten besser zusammen, als irgendjemand da draußen.", erklärt Linn und umarmt mich. Am Sonntagnachmittag geht es Liam schon sehr viel besser. „Ich glaube, dass er es geschafft hat. Zumindest den körperlichen Entzug hat er jetzt hinter sich. Wir müssen nur noch aufpassen, dass er nicht rückfällig wird.", erklärt unser Boss und ich bin erleichtert.

„Rita, warum machst du das eigentlich für uns? Du hättest Liam doch auch einfach bestrafen können.", bemerke ich nachdenklich. „Weißt du, ich bestrafe lieber die Täter, statt die Opfer, denn sie haben es schon schwer genug.", erklärt unser Boss. „Ich hatte einen Sohn, sein Name war David. Er war ein sehr glückliches Kind, er hat viel Sport gemacht und er war gut in der Schule. Mit fünfzehn hatte er einen schlimmen Unfall. David lag wochenlang im Krankenhaus. Danach wurde uns gesagt, dass er nie wieder Basketball spielen darf. Für ihn war das schlimmer, als wenn er bei dem Unfall gestorben wäre. Ich habe alles versucht, um ihn wieder glücklich zu machen. Früher war ich sehr streng, aber danach war ich locker, vermutlich zu locker. Ich war so unglaublich froh, dass mein Junge bei dem Unfall nicht gestorben ist. David hat sich dann mit den falschen Leuten eingelassen. Ein halbes Jahr später war er tot. Einer seiner Freunde hat ihm eines Tages Heroin gegeben. Ich mache mir bis heute Vorwürfe, dass ich es nicht bemerkt habe. Mein Sohn hat sich eine Überdosis gespritzt und wurde tot auf einer versifften Bahnhofstoilette gefunden. Ich musste ihn dann in einer total kalten und deprimierenden Pathologie identifizieren. Seit diesem Tag scheint meine Sonne nicht mehr.", erzählt sie und hat Tränen in den Augen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also umarme ich unseren Boss und sie lässt es zu. „Deswegen bin ich so streng, wenn es um Drogen geht. Liam erinnert mich ein bisschen an meinen Jungen.", flüstert sie zwischen ein paar Tränen. Jetzt kann ich unseren Boss noch besser verstehen. Rita will für alle nur das Beste und es tut mir so unfassbar Leid, dass sie ihren Sohn verloren hat. Wir sitzen noch eine ganze Weile nebeneinander und schweigen uns an, aber das ist irgendwie auch ein bisschen beruhigend.

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