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„Bist du verrückt? Snape ist doch der eigentliche Held der Geschichte. Harry ist nur ein nerviges Kleinkind, das zufällig durch die Liebe seiner Mutter überlebt hat. Snape hat alles getan, um Voldy zu besiegen. Er hat sogar Dumbledore getötet. Das muss ihm so unheimlich schwer gefallen sein!", rufe ich empört. „Snape war ein blöder Doppelagent, der mal wie auf dieser und mal auf der anderen Seite gekämpft hat. Er ist jetzt nun wirklich nicht der Held der Geschichte.", entgegnet Maxine hitzig. „Blödsinn, außerdem sind die Rumtreiber sowieso viel besser, als das goldene Trio.", erwidere ich. „Stimmt, die Rumtreiber mag ich auch am liebsten. Trotzdem ist Snape nicht cool. Am Ende schwärmst du auch noch für Bellatrix, immerhin hat sie Sirius getötet.", regt sich die Therapeutin auf. „Naja, nicht unbedingt auf Bellatrix, aber Helena Bonham Carter ist schon verdammt attraktiv, das musst du zugeben.", versuche ich sie zu beruhigen. „Das stimmt schon.", sagt Maxine und lacht. Eine Weile lang blicken wir uns ganz tief in die Augen, alles fühlt sich so unrealistisch an. Im nächsten Moment kommen sich unsere Gesichter immer näher und schließlich küssen wir uns. „Fuck, es tut mir leid.", flüstert sie und schreckt zurück. Eigentlich finde ich, dass es da gar nichts zu entschuldigen gibt, der Kuss war nämlich total schön. „Wofür entschuldigst du dich?", frage ich verwirrt. „Amy, ich hätte das nicht tun dürfen. Ich habe die Zeichen falsch gedeutet und ich hätte die Situation nicht ausnutzen dürfen.", antwortet die Therapeutin und ich sehe, wie unwohl sie sich fühlt. „Wir sollten uns vorerst nicht mehr sehen.", ergänzt sie und ich mache mich geknickt auf den Weg zu meiner Zelle. Was soll denn daran falsch gewesen sein? Mir kam es zumindest so vor, als hätten wir es beide gewollt und als hätten wir beide den Kuss genossen. Ist es denn wirklich falsch? Ich meine, sie ist zwar meine Therapeutin, aber das hat doch nichts damit zu tun, dass ich sie als Menschen total toll finde.

„Amy, Mäuschen, was ist denn passiert? Wie war die Therapie? Worüber habt ihr denn geredet?", fragt Linn besorgt. „Über Harry Potter. Eigentlich war alles gut.", antworte ich. „Und warum bist du dann so seltsam drauf?", will meine Mitgefangene wissen. „Keine Ahnung, ich weiß es wirklich nicht.", lüge ich. „Ich weiß ganz genau, wann du lügst und jetzt könntest du mir es nicht deutlicher signalisieren. Sag schon, was ist los?", drängt sie mich zu einer Antwort. „Wir haben uns geküsst.", flüstere ich. „Ihr habt was getan? Amy, ist das dein Ernst? Warum bringst du dich immer in solche dämlichen Situationen?", fragt Linn bestürzt. Nach einer ganzen Weile habe ich sie davon überzeugt, dass Maxine eigentlich gar nicht so übel ist, wie sie vielleicht im ersten Moment gedacht hat. Nachdem ich gründlich über die ganze Situation nachgedacht habe und auch noch einmal mit Linn darüber gesprochen habe, fasse ich den Entschluss, noch einmal mit meiner Therapeutin zu reden. Mir ist eigentlich ganz egal, was bei dem Gespräch rauskommt, ich möchte mich einfach nur mit ihr vertragen und die Therapie fortsetzen. Wobei ich schon zugeben muss, dass ich mich in sie verliebt habe. Das würde ich aber nicht zugeben, wenn ich bemerke, dass es ihr unangenehm ist. Also mache ich mich auf den Weg in das Büro von Maxine. Sie bittet mich herein und ich sehe, wie unangenehm ihr die Situation ist. Vorsichtig liege ich meine Hand auf ihre Hand. Nach einem klärenden Gespräch, aus dem sich herausstellt, dass Maxine auch Gefühle für mich hat, küsse ich sie ein weiteres Mal, sie erwidert den Kuss und diesmal schreckt sie nicht zurück. Es ist das schönste Gefühl seit langem.

Ungefähr zwei Monate später finde ich mich vor Gericht wieder. Diesmal aber nicht, weil ich irgendetwas dummes gemacht habe, im Gegenteil. Heute findet mein Bewährungsprozess statt. Es wird geprüft, ob ich nach drei Jahren Haft soweit bin und man mich wieder auf die Gesellschaft loslassen kann. Die Anstaltsleitung sagt für mich aus, was ich schon sehr seltsam finde. Das tollste ist allerdings, dass Maxine eine Aussage für mich macht. Sie hat ein positives Gutachten geschrieben und mir versichert, dass es vollkommen unabhängig davon ist, dass wir eine Beziehung führen. „Hohes Gericht, Amelia ist eine junge Frau, die durch sehr schwierige Umstände im Gefängnis gelandet ist. Dort hat sie sich immer gut geführt. Trotzdem ist ihr dort schreckliches widerfahren, ihr bester Freund nahm sich das Leben. Er war Trans und deshalb nicht besonders beliebt. Eines Morgens fand sie ihn tot in seiner Zelle. Das hat Amelia sehr traumatisiert. Trotz allem hat sie sich aufgerafft, sie kam regelmäßig zu mir in die Therapie und ich kann glaubhaft bestätigen, dass diese Frau nichts benötigt, außer die Freiheit. Sie war viel zu lange eingesperrt und auch wenn sie einen schrecklichen Fehler begangen hat, den man nicht wieder in Ordnung bringen kann, leidet sie noch immer sehr darunter, was sie damals getan hat. Amelia hat sich geändert, sie ist eine ganz andere Frau, als das junge Mädchen, das vor drei Jahren ins Gefängnis kam.", beendet meine Freundin ihre Aussage vor Gericht. In der Verhandlungspause zwinkert sie mir zu. Ich liebe diese Frau so sehr. Das Gericht entscheidet sich dafür, mich frei zu sprechen, ich soll nur noch für eine Nacht ins Gefängnis, danach darf ich wieder nach draußen, für immer. Eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass das wirklich klappt. Mit der Hilfe der Anstaltsleitung und dem positiven Gutachten von Maxine wäre ich auch mit Sicherheit nicht freigesprochen worden. In dieser Nacht schlafe ich so gut, wie schon lange nicht mehr.

Es kommt also, wie es kommen musste. Am nächsten Morgen muss ich mich von Rita und Linn verabschieden. Die beiden waren in den letzten drei Jahren wie Mütter für mich. Sie waren die Mütter, die ich so dringend gebraucht habe und die ich nie hatte. Rita und Linn haben mich aus jeglicher blöden Situation gerettet, die ich verbockt habe. Und in den meisten Fällen waren sie mir nicht einmal böse, das rechne ich ihnen hoch an, weil ich wirklich ganz schön viele, dumme Sachen gemacht habe. „Pass auf dich auf. Die Welt ist ein ganz schön fieser Ort und auch wenn wir beide länger im Gefängnis sind, wissen wir, dass sich die Welt da draußen verändert hat. Du musst aufpassen, denn die Welt hat sich tatsächlich weiter gedreht, als du hier drinnen warst. Es wird sich vieles verändert haben und anfangs wirst du nicht damit klarkommen. Du bekommst Unterstützung und sei bitte nicht zu stolz, um sie anzunehmen. Ich weiß, wie verdammt stolz du bist, lass dir davon aber nicht das Genick brechen.", rät mir Rita, die tatsächlich ein bisschen weint. Natürlich würde sie das nie zugeben, deswegen nimmt sie mich schnell in den Arm. „Amy, du musst wirklich aufpassen. Bitte vergiss uns nicht ganz, du kannst immer zu uns kommen, wenn du traurig bist oder wenn du Hilfe brauchst.", ergänzt Linn. Sie gibt sich gar nicht erst Mühe, ihre Tränen zu verstecken, sie heult wie ein Schlosshund und dafür habe ich sie verdammt lieb. „Ich werde euch so wahnsinnig vermissen. Es tut mir leid, dass ich so viel Blödsinn gemacht habe. Ich bin wohl doch noch etwas zu jung, um im Gefängnis alleine klar zu kommen.", flüstere ich und grinse. „Das stimmt.", bemerkt Rita und lacht schallend los. Auch Linn muss grinsen. „Schau nicht zurück!", ruft sie mir hinterher.

Als ich durch die Straßen laufe, schaue ich zuerst, was sich alles verändert hat. Kleiner Spoiler, es ist ziemlich viel. Ich finde mich kaum noch zurecht und muss mich herumfragen. Die Bewährungshelferin hat mir zwar erklärt, wie ich zum Übergangsheim komme, aber durch mein neurodivergentes Gehirn, habe ich alles direkt wieder vergessen. Manchmal hasse ich es, ein seltsames Gehirn zu haben. Es hat schon seine Vorteile und in gewissen Situationen ist es auch wirklich cool, aber in einer solchen Situation möchte ich mir einfach ein Gehirn von jemand anderem ausleihen. „Junge Dame, kann man Ihnen helfen? Sie sehen so verloren hast.", spricht mich jemand aus einem sehr schicken Cabrio an. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich bemerke, dass es Maxine ist. „Ist das jetzt wirklich dein Ernst?", frage ich, denn meine Freundin hat nie erwähnt, dass sie ein Cabrio besitzt. Eigentlich hat sie immer nur von ihrer alten Rostlaube, einem alten VW Golf gesprochen. „Jetzt, wo wir beide in unser neues Leben starten, dachte ich mir, gönne ich mir ein neues Auto. Meinen alten Schatz habe ich noch einmal reparieren lassen und sobald du deinen Führerschein hast, kannst du ihn fahren.", erklärt sie und grinst mich wie ein Honigkuchenpferd an. Autofahren kann ich natürlich, ich kann sogar Traktoren und Wohnmobile fahren, das habe ich von meinem Dad gelernt. Aber für einen Führerschein war nie wirklich Geld da und außerdem war ich ja in der Psychiatrie, als ich in dem Alter war, in dem normale Teenager ihren Führerschein machen. Ich springe sofort zu ihr, in dieses schicke Cabrio und küsse sie. „Jetzt beginnt unser neues Leben. Du wirst natürlich bei mir wohnen, auf das Übergangsheim kannst du verzichten und ich kümmere mich darum, dass du einen Job bekommst.", erklärt Maxine und lächelt noch immer. Ich weiß wirklich nicht, womit ich das verdient habe.

True colors | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt