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Am nächsten Tag habe ich mich wieder etwas gefasst und sitze entspannt mit Liam, Rita und Linn beim Mittagessen, als eine neue Beamtin auftaucht. „Dürfen wir kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Das ist Miss Ducat, sie arbeitet ab heute hier und sie hat vorher in einem Hochsicherheitsgefängnis gearbeitet, Sie können sie also nicht verarschen.", erklärt Linda, die schon seit vier Jahren bei uns arbeitet. „Ist sie hetero?", fragt Jules sofort. Irgendwie kann ich das verstehen, Miss Ducat ist sehr attraktiv. „Halt die Klappe, Jules. Wo sind deine Manieren geblieben? Selbst wenn sie auf Frauen stehen würde, mit dir wird sie bestimmt nichts anfangen können.", schließe ich meiner Mitgefangenen entgegen. „Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen. Ich kann mich auch ganz gut selbst verteidigen.", entgegnet Miss Ducat und lächelt mich freundlich an. „Sie ist schon ziemlich hot. Oder wie sagt man heutzutage dazu?", fragt Linn, dabei grinst sie Liam und mich verschwörerisch an. Rita, Liam und ich lachen sofort laut los. „Was ist los? Ist es denn wirklich so abwegig, dass ich eine Frau attraktiv finde?", fügt sie hinzu. „Linn, es ist wirklich verdammt abwegig. Niemand würde auf die Idee kommen, dass du jemals etwas mit einer Frau anfangen, geschweige denn eine Frau attraktiv finden würdest.", antwortet unser Boss, noch immer lachend. „Jedenfalls finde ich, dass sie echt nett und sympathisch aussieht.", bemerke ich. „Ist da etwa jemand ein kleines bisschen verknallt?", zieht mich Linn auf. „Quatsch, das ist kompletter Bullshit. Ich finde sie einfach nur nett.", entgegne ich sauer. „Amy, Das ist absoluter Blödsinn. Sie mag vielleicht ganz nett aussehen, aber das sind meistens die schlimmsten. Das war in der Klinik auch schon so. Lass dich nicht von einem hübschen Gesicht täuschen.", gibt mein Freund zu bedenken. Die gute Laune an unserem Tisch kippt augenblicklich. Linn und Rita wissen zwar nicht, was uns in der Klinik passiert ist, aber sie wissen, dass es nicht gut gewesen sein muss und deswegen schauen sie uns nachdenklich an.

An diesem Wochenende besucht mich wieder einmal mein Bruder Jason und ich bin ziemlich glücklich, denn hier ist es am Wochenende total langweilig. Diesmal ist auch meine kleine Schwester Jamie dabei. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen und ich habe diese kleine Chaotin total vermisst. „Na, wie geht es meiner kriminellen Schwester? Bist du etwa immer noch vom Teufel besessen?", fragt sie und lacht. Auch mein Bruder muss lachen, dann nehmen mich meine Geschwister in den Arm. Jason wird allerdings direkt wieder ernst, während Jamie mich noch eine Weile zum Lachen bringt. Das hat sie früher schon getan und ich bin ihr wahnsinnig dankbar, dass sie mich wie einen normalen Menschen behandelt. „Und was zum Teufel ist jetzt wieder dein Problem?", frage ich, als ich den Blick meines großen Bruders nicht mehr aushalte. „Es geht um unsere Mutter. Ich weiß, dass ihr nicht das beste Verhältnis habt, aber vielleicht kannst du sie noch einmal besuchen. Sie vermisst dich wirklich sehr.", antwortet Jason. „Nicht das beste Verhältnis, das ist echt witzig. Ich würde sie vielleicht wirklich besuchen, wenn ich wüsste, dass sie sich geändert hat, dass sich ihre Denkweise verändert hat. Sie wird aber noch genauso verbohrt und scheinheilig sein, wie sie es früher schon war. Jason, sie hat mich in so viele Kliniken eingewiesen. Ich bin innerlich daran zerbrochen, weil ich dachte, ich wäre wertlos und falsch. Jetzt kenne ich meinen Wert und habe Wünsche und Pläne für die Zukunft. Dort kommt unsere Mutter aber nicht vor.", erkläre ich und mein Bruder schaut betreten auf den Boden. „Vielleicht hat sie sich ja wirklich geändert. Sonst würde sie dich wahrscheinlich gar nicht sehen wollen.", entgegnet Jason, dem es offenbar sehr wichtig ist, dass wir uns aussprechen. Ich bin davon allerdings nicht besonders überzeugt. Der Rest des Besuchs verläuft eigentlich super, ich verspreche meinem Bruder sogar, darüber nachzudenken, meine Mutter zumindest einmal anzurufen.

Da ich immer noch ein verdammt schlechtes Gewissen habe, sowohl Linn gegenüber, die ich einfach so in meine Probleme verwickelt habe, als auch Rita gegenüber, die ich jetzt schon seit Wochen belüge. Aber mein schlechtes Gewissen Liam gegenüber, bringt mich fast um. Vorsichtig betrete ich am Sonntag die Zelle von meinem Freund. „Schatz, ich muss dir etwas wichtiges erzählen.", flüstere ich betreten. „Was ist denn los?", fragt mein Freund verwirrt. „Ich weiß gar nicht, wo ich überhaupt anfangen soll. Es ist einfach so verdammt viel passiert.", antworte ich. „Baby, was ist denn passiert? Hast du mich etwa betrogen?", fragt Liam und lacht. Ich schaue ziemlich schuldig auf den Boden. „Nein, natürlich nicht. Was denkst du denn von mir? Aber ich denke, das ist etwas schlimmer.", entgegne ich sichtlich nervös. Das Lächeln auf dem Gesicht meines Freundes verschwindet augenblicklich. „Amy, das ist jetzt nicht dein Ernst. Du bist doch sonst nicht so schüchtern. Was zum Teufel ist passiert? Du kannst du mit mir reden. Hast du etwas mit dem Tod der Fledermaus zu tun?", fragt er und schaut mich ernst an. In diesem Moment denke ich darüber nach, ob es wirklich eine gute Idee ist, meinem Freund davon zu erzählen. Ich könnte ihm auch irgendeine blöde Geschichte erzählen, die ich mir spontan überlege. Aber ich bin nicht wirklich gut darin, irgendwelche belanglosen Lügen unter Stress zu erfinden. Außerdem bringt mich mein schlechtes Gewissen sowieso schon fast um, ich wollte ihm doch unbedingt die Wahrheit erzählen, also entscheide ich mich für die Wahrheit und nicke betreten. Liam fällt fast die Kinnlade herunter und er schaut mich fassungslos an.

True colors | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt