„Ach, hier ist eigentlich gar nicht so viel passiert. Die Arbeit ist langweilig, wie immer. Jules ist nervig, wie immer. Ich darf immer noch nicht mit dir reden und mache es trotzdem. Also, es ist wirklich alles, wie immer.", flüstere ich Liam durch die geschlossene Zellentür zu. Trotz dem Verbot von Rita und Linn, rede ich nachts leise mit meinem Exfreund. Ich sehe ganz genau, dass Linn mich dabei beobachtet, komischerweise unternimmt sie aber nichts dagegen. Ich bemerke auch, dass sich meine Mitgefangene mit unserem Boss unterhält „Wenn wir ihr das verbieten, geht es ihr vermutlich wieder schlechter. Das will wahrscheinlich niemand von uns. Eigentlich würde ich auch gerne mit Liam sprechen. Diese verdammten Regeln gehen mir doch manchmal selbst auf die Nerven, aber gerade als Boss muss ich mich doch daran halten.", bemerkt Rita frustriert. „Ich weiß doch, dass du nicht so herzlos bist. Aber gerade als Boss und weil wir eben so lange im Gefängnis sind, müssen wir uns an die Regeln halten. Ich bin auch nicht immer dafür, aber wir haben wohl keine andere Wahl. Trotzdem, dass wir es zulassen, dass Amy und Liam miteinander sprechen können, macht es ein kleines bisschen besser.", entgegnet Linn und legt dem Boss eine Hand auf die Schulter. Die beiden Frauen lächeln sich an, dann verschwinden sie in der Zelle von Linn und beobachten den Vollmond. In dieser Nacht können wahrscheinlich weder Liam, Rita und Linn, noch ich schlafen. Ich versuche noch eine Weile mit meinem Exfreund zu reden, der sich mittlerweile wieder etwas zurückgezogen hat, aber er blockt mich total ab. „Ich möchte nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst, denn du hast schon genug Stress bekommen.", erklärt er. „Darauf kommt es jetzt wirklich nicht mehr an.", entgegne ich lachend. Liam macht ein paar Schritte zurück und ich vermute, dass er sich in sein Bett gelegt hat. Frustriert verschwinde auch ich in meiner Zelle und versuche, zu schlafen.
Am nächsten Morgen bin ich ziemlich gerädert, in dieser Nacht hatte ich wahnsinnig schlimme Albträume, wie ich sie schon lange nicht mehr hatte. „Was ist denn los mit dir?", fragt Rita mitfühlend. „Ach, ich weiß es nicht. Ich hatte einen richtig schlimmen Albtraum, kann mich aber nicht wirklich daran erinnern. Ich weiß nur noch, dass es einer der schlimmsten Träume war, die ich bis jetzt hatte.", antworte ich nicht ganz wahrheitsgemäß. In meinem Traum ging es um Liam. In diesem Traum wurde er von Jules getötet und ich habe wahnsinnige Angst, dass das jetzt auch in Wirklichkeit passieren könnte. Beim Frühstück bekomme ich kaum etwas runter und als wir am Nachmittag dann wieder auf der Station sind, ist die Zellentür von Liam offen. Das wundert mich, denn eigentlich ist er ja in Einzelhaft. Miss Ducat erklärt, dass Liam ab sofort wieder im Normalvollzug ist. „Warum das denn, so plötzlich?", frage ich verwundert. „Das ist jetzt ebenso. Sollte Liam etwas passieren, werde ich Sie persönlich dafür verantwortlich machen. Lassen Sie bloß ihre Finger von ihm, er hat ihnen nichts getan.", entgegnet Miss Ducat und blickt Rita provokant an. Sie weiß genau, dass Rita ihm nichts tun wird, aber dass es Jules und ihre Gang sehr wohl tun werden. „Wäre es nicht besser, Liam in Einzelhaft zu lassen? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass Rita ihm nichts tun wird. Vor den anderen muss er allerdings beschützt werden und da es in diesem Gefängnis Regeln gibt, kann Rita ihn nicht beschützen.", werfe ich ein. Die Beamtin lächelt fies, und ich bemerke, dass sie das mit Absicht getan hat. „Das kann doch wohl nicht wahr sein! Diese blöde Kuh weiß ganz genau, was mit Liam passiert, wenn Jules und ihre blöde Gang ihn alleine erwischen. Weil er vogelfrei ist, kann ich ihn nicht zu mir nehmen und auf ihn aufpassen.", rege ich mich bei Linn auf. „Ich weiß, das ist eine ziemlich doofe Situation, aber ich hoffe, dass du es Rita nicht übel nimmst. Sie konnte auch nicht damit rechnen, dass Miss Ducat so eine fiese Aktion abzieht.", entgegnet meine Mitgefangene und streichelt mir über den Kopf. Schüchtern betritt mein Exfreund die Station, ich erkenne ganz genau die Angst in seinen Augen. Ich mache ein paar Schritte auf ihn zu, aber Rita packt mich direkt am Hoodie. „Du weißt doch, dass du keinerlei Kontakt mit ihm haben darfst.", erinnert mich unser Boss und schweren Herzens bleibe ich stehen. Auch Liam scheint es sehr schwer zu fallen, dass wir keinen Kontakt haben dürfen. Er lässt den Kopf hängen und läuft wieder zurück in seine Zelle.
In den nächsten Wochen versuche ich meinem Exfreund wieder näher zu kommen, im Rahmen der Regeln von unserem Boss, natürlich. Aber Liam blockt total ab. Ich bin wahnsinnig frustriert und weiß nicht, was ich mit ihm machen soll. So wie er jetzt gerade ist, gefällt er mir gar nicht. Ich mache mir wahnsinnige Sorgen um ihn. Vor lauter Angst, Ahnungslosigkeit und Frustration, fange ich wieder einmal an, vor seiner Zellentür zu schlafen. Das mache ich auch, weil ich befürchte, dass Jules ihm mitten in der Nacht etwas antun könnte. Inzwischen hat auch Rita bemerkt, was ich da tue, aber sie kann rein gar nichts dagegen sagen, denn sie hat mir zwar verboten, mit Liam zu sprechen und ihm Nachrichten zu hinterlassen, ihn zu umarmen oder über ihn zu sprechen, aber sie kann mir nicht verbieten, vor seiner Zellentür zu schlafen. „Ach, Amy. Du bist wirklich schlauer, als ich dachte. Nicht, dass ich dich damit beleidigen will, aber ich habe dich wirklich unterschätzt. Ich weiß ganz genau, wie sehr dich die ganze Sache mitnimmt, aber findest du nicht, es ist an der Zeit, ein bisschen loszulassen?", fragt unser Boss eines Morgens, als ich mein Bettzeug nach einer schlaflosen Nacht wieder in meine Zelle bringe. „Definitiv nicht, zumindest nicht so lange ich noch Angst haben muss, dass ihm etwas passiert.", entgegne ich ungehalten. Rita schaut mit tief in die Augen und seufzt. Ich weiß ganz genau, dass ich sie an sich selbst erinnere, ich bin mindestens so stur wie sie und das gefällt ihr nicht. Gleichzeitig schwelgt sie mit Sicherheit in Erinnerungen, das erkenne ich an dem Lächeln, das kurz nach dem seufzen auf ihrem Gesicht erscheint. „Wenn du noch ein bisschen weiter lächelst, dann könnte man fast denken, dass du gute Laune hast. Und ich glaube, sie hat gemerkt, dass ihr euch ähnlicher seid, als ihr beide zugeben wollt. Du solltest aufpassen, dass sie das nicht in Zukunft zu ihrem Vorteil nutzen wird. Das traue ich ihr eigentlich nicht zu, aber wenn es um Liam geht, dann ist sie quasi blind. Wir müssen jetzt ganz besonders auf sie aufpassen. Nicht, dass sie noch Blödsinn anstellt. Amy ist eigentlich schlau, sehr schlau sogar, aber ihre Liebe zu diesem jungen Mann wird sie irgendwann noch in Teufelsküche bringen.", flüstert Linn unserem Boss zu. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Über diese Unverschämtheit rege ich mich jetzt ganz besonders auf, aber ich versuche natürlich, ruhig zu bleiben. „Mal ganz davon abgesehen, dass ich hier gar nichts ausnutzen werde, ich liebe Liam nicht. Er ist mir einfach nur wichtig und das solltet ihr langsam echt begreifen.", erwidere ich sauer und marschiere dann wortlos zum Frühstück. Aus dem Augenwinkel kann ich allerdings noch ganz genau erkennen, wie sich Rita und Linn anschauen. Beide verdrehen zum Spaß die Augen und lachen dann. „Na super, irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich hier die einzige Erwachsene bin.", flüstere ich mir selbst zu. Rita und Linn prusten laut los, sie haben mich gehört. „Dürfen wir denn nicht auch einmal wie Kinder sein? Das Leben hier ist nun wirklich schon ernst genug. Komm schon, ein bisschen Humor wäre doch echt einmal angebracht.", ruft Linn und ihre Augen funkeln vor Freude. Da ich jetzt nur noch mehr genervt und unruhig bin, lasse ich mich gar nicht erst auf weitere Diskussionen mit den Beiden ein und laufe weiter stur geradeaus. Ich ignoriere sogar Jules, die wieder blöde Sprüche über Liam bringt. Normalerweise würde ich ausrasten und ihr so richtig meine Meinung sagen, aber selbst dafür bin ich gerade nicht in der Stimmung.
Auch in den nächsten paar Tagen komme ich nicht an meinen Exfreund heran. Linn hat mir sogar erlaubt, kurz mit ihm zu reden, aber nur darüber, wie es ihm geht und um eventuell zu verhindern, dass etwas passiert. Vor unserem Boss müssen wir das ganze natürlich geheim halten. „Liam, bitte rede mit mir. Du bist mir so verdammt wichtig und ich habe das Gefühl, dass es dir gar nicht gut geht. Rede doch einfach mit mir, dann wird es dir auch besser gehen.", flüstere ich durch seine Zellentür, aber ich bekomme keine Antwort. „Rita kommt.", zischt mir Linn zu. Sofort verschwinde ich von der Zellentür und mache ein paar Schritte auf Rita zu. „Ich muss sofort mit dir reden! Liam geht es gar nicht gut, er braucht dringend unsere Hilfe. Ich weiß nicht, was passiert, wenn wir ihm nicht helfen können!", rufe ich aufgebracht. „Was erwartest du denn von mir? Ich habe dir mehr als einmal erklärt, dass er sich das selbst eingebrockt hat. Miss Ducat hin, Heroin her, er hatte die Wahl und er hat die falsche Entscheidung getroffen. Damit muss er leben und du leider auch. Ich werde die Regeln nicht wegen ihm ändern, es tut mir wahnsinnig leid, aber das geht nicht.", entgegnet unser Boss. Augenblicklich drehe ich mich um und verschwinde in meiner Zelle. Bis zuletzt hatte ich eigentlich gehofft, dass Rita wenigstens einmal die Regeln brechen wird, aber da habe ich mich wohl getäuscht.
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True colors | LGBTQ
Jugendliteratur»Erfahrung ist der Name, den wir unseren Fehlern geben.« Ich war nie so wie die anderen und ich wollte auch nie normal sein. Vielleicht waren Liam und ich deshalb füreinander geschaffen.