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„Amy, was zum Teufel ist hier passiert?", fragt Linn bestürzt. Mir wäre es natürlich lieber gewesen, wenn mich niemand entdeckt hätte, aber es ist besser, dass ich von Linn erwischt wurde, statt von irgendeiner anderen Person. „Das ist jetzt ziemlich doof. Wie soll ich dir das am besten erklären? Die Fledermaus ist ganz blöd ausgerutscht, mit seinem Kopf auf ein Waschbecken geknallt und naja.", druckse ich panisch herum. „Was, naja?", fragt Linn mit verschränkten Armen. „Wie soll ich das jetzt sagen?", entgegne ich verzweifelt. „Sag es einfach.", erwidert sie tonlos. „Verdammt, er ist gestorben. Ich wollte das aber nicht, ich habe ihn einfach geschubst und ich wollte doch nie, dass er stirbt. Natürlich habe ich gehofft, dass er vielleicht entlassen wird oder etwas ähnliches, vielleicht habe ich ihm auch manchmal den Tod gewünscht, aber ich wollte doch nie dafür verantwortlich sein.", versuche ich zu erklären. „Das hört sich jetzt ein bisschen unglaubwürdig an.", erwidert meine Mitgefangene. „Denkst du, ich weiß das nicht? Jetzt lass uns endlich verschwinden.", zische ich. „Bist du komplett bescheuert? Wir müssen die Leiche entsorgen.", entgegnet Linn. Sie zieht mich zurück zu den Duschen und beäugt die Fledermaus. „Er war wahrscheinlich noch nie so friedlich. Ich würde es absolut verstehen, wenn du ihn vorsätzlich getötet hättest.", bestärkt sie mich. „Wie oft noch, ich habe ihn nicht getötet, es war ein Unfall.", flüstere ich ungehalten. „Wie sollen wir ihn denn verschwinden lassen?", fragt Linn. „Woher soll ich das denn wissen? Du bist doch schon viel länger hier, als ich.", bemerke ich und schaue gedankenverloren nach oben. Plötzlich kommt mir eine Idee und ich stupse Linn aufgeregt an. „Die Decke ist doch aus diesen komischen Fliesen, die man bewegen kann. Die hatten wir in der Schule auch.", erkläre ich aufgeregt. Linn, die sehr viel stärker ist, als ich dachte, wirft den toten Körper über die Duschkabinen. Ich löse eine der Platten aus der Decke und gemeinsam verstecken wir die Leiche auf einer Art Dachboden, der sich über dem Bad befindet und von dem ich sicher bin, dass ihn noch niemand entdeckt hat.

Am Abend kommt Liam zu mir in die Zelle. Er sieht aus wie eine Leiche. Der Vergleich ist in dieser Situation vielleicht etwas makaber, aber er sieht fast so blutleer aus, wie die Fledermaus. Im nächsten Moment schäme ich mich für meinen Gedanken. „Was ist denn los?", frage ich erschrocken. „Ich weiß es nicht. Mir ist seit Tagen total schlecht und ich schlafe kaum.", antwortet er. „Hast du in letzter Zeit deine Tage bekommen?", frage ich nachdenklich. Mein Freund schüttelt den Kopf, sagt mir dann aber, dass er sich in den letzten Tagen öfter mal übergeben musste. Mir kommt ein schrecklicher Verdacht. „Liam, du müsstest sie aber vor ungefähr zwei Wochen bekommen haben. Kann es sein, dass du schwanger bist?", frage ich ganz vorsichtig. Mein Freund wird auf der Stelle noch viel besser, als er sowieso schon ist. „Glaubst du das wirklich?", entgegnet er ziemlich erschrocken. „ Der Idiot wird ja wohl kaum verhütet haben.", bemerke ich etwas unsanft, was mir aber im nächsten Moment wieder total leid tut. „Aber warum bist du denn nicht schwanger?", fragt mein Freund panisch. „Ich hatte wohl einfach Glück im Unglück. Aber jetzt kümmern wir uns zuerst um einen Schwangerschaftstest.", erkläre ich. Am nächsten Morgen lasse ich mich auf der Krankenstation untersuchen. Dabei lasse ich einen Schwangerschaftstest für meinen Freund mitgehen. Er macht den Test direkt nach der Arbeit und er ist tatsächlich positiv. „Fuck, was sollen wir jetzt nur machen?", fragt Liam. Er ist total aufgeregt, was ich absolut verstehen kann. Ich kann mich zwar nicht ganz in seine Lage versetzen, ich kann mir nur vorstellen, wie schlimm es ist, von einem solchen Typen ein Kind zu bekommen, aber ich weiß nicht, wie es ist, im falschen Körper geboren worden zu sein und dann auch noch schwanger zu sein. Ich stelle mir aber vor, dass es für meinen Freund in diesem Moment nicht noch schlimmer kommen könnte. „Ich weiß es nicht, aber wir bekommen das hin.", antworte ich und nehme meinen Freund in den Arm.

„Wir müssen Das Ding unbedingt loswerden, egal wie wir das anstellen.", stellt Liam fest. Sofort fallen mir die Worte meiner Mutter ein. Sie hat immer gesagt, dass jedes Baby ein Recht auf ein Leben hat, im Endeffekt bin ich auch der Meinung, aber wenn derjenige, der das Kind austrägt, daran zugrunde geht oder bei der Geburt sterben würde, dann bin ich nicht unbedingt dagegen, dass man das Baby verschwinden lässt. Mir kommt das Wort Abtreibung nicht über die Lippen, das liegt wahrscheinlich an meiner Erziehung. Dieses Wort existierte bei uns einfach nicht. Ich kann meinen Freund absolut verstehen, ich würde das Kind von der Fledermaus auch nicht austragen wollen. „Es ist noch kein Baby, es ist ein Zellklumpen.", entgegne ich und mir fallen diese Worte wahnsinnig schwer, aber ich will meinen Freund jetzt nicht mit meiner religiösen Erziehung aus der Fassung bringen. Als mein Freund abends eingeschlafen ist, schleiche ich mich zu Linn in die Zelle. „Was ist denn jetzt schon wieder los? Kann man nicht einmal, wenigstens eine Nacht schlafen, ohne dass irgendein Blödsinn passiert?", nuschelt sie verschlafen. „Liam ist schwanger.", flüstere ich. „Was?", ruft sie schockiert. „Ja, von der Fledermaus. Wir wissen nicht, was wir machen sollen. Liam will das Baby nicht, aber wie sollen wir es denn weg machen?", frage ich verzweifelt. „Was für eine Scheiße. Auf der anderen Station gibt es eine Gefangene, die früher in einer Klinik gearbeitet hat. Dort wurden Abbrüche durchgeführt. Ich kann sie mal fragen, ob sie uns helfen kann.", schlägt sie vor. Ich umarme Linn und erzähle meinem Freund gleich am nächsten Tag davon. Er ist zwar nicht so begeistert davon, dass ich Linn von der Schwangerschaft erzählt habe, aber er ist froh, dass sich das Problem vermutlich bald erledigt hat.

Am nächsten Sonntag ist es dann endlich soweit. Kim, die Frau aus der Klinik, kommt auf unsere Station. Da inzwischen aufgefallen ist, dass die Fledermaus verschwunden ist, herrscht ein Ausnahmezustand. Zwei Tage lang wurden wir in unsere Zellen gesperrt, bis die Beamten auf die Idee gekommen sind, dass die Fledermaus auch vergessen haben könnte, sich bei Dienstende mit seiner Karte auszuloggen. Linn, die vor dem Ausnahmezustand noch die Handtücher im Personalraum wechseln musste, hat die persönlichen Sachen von der Fledermaus an sich genommen und in verschiedenen Wäschelieferungen verstaut. Kim erlaubt nicht, dass jemand von uns bei dem Eingriff dabei ist, wir sollen aber vor der Tür stehen und aufpassen, dass in der Zeit niemand duschen geht. „Wie wurde er eigentlich schwanger? Soweit ich weiß, steht er doch auf Frauen.", bemerkt sie. Linn und ich schauen sie wortlos und mit verschränkten Armen an. Wir sind ihr sehr dankbar, dass sie uns in dieser Situation hilft, aber wir werden garantiert nicht herumtratschen, was meinem Freund passiert ist. Das würde er nicht wollen und außerdem würde es später den Verdacht auf uns lenken, wenn doch herauskommt, dass der Fledermaus hier im Gefängnis etwas zugestoßen ist. Eine halbe Stunde später transportieren wir Liam zurück in seine Zelle. Er ist ziemlich schwach und schläft direkt ein. Am nächsten Morgen möchte ich ihn wecken, aber er bewegt sich nicht. „Liam, was ist los? Hast du Schmerzen?", frage ich ängstlich. als mein Freund mir noch immer nicht antwortet, ziehe ich die Decke weg und blicke auf eine riesige Blutlache.

Panisch renne ich zu Rita und Linn. Ich hämmere gegen ihre Zellentüren, dann renne ich zum Notfallknopf, den man eigentlich niemals drücken darf, das ist mir in dem Moment aber total egal und ich drücke ihn. Ein Beamter schlurft müde auf die Station. „Was ist los?", fragt er verschlafen. „Es ist ein Notfall, Liam liegt in seiner Zelle und ist voller Blut!", rufe ich aufgebracht. „Hat er versucht, sich umzubringen?", fragt er angespannt und rennt sofort los. Ich mag den Beamten, er heißt Brian und arbeitet schon seit über zehn Jahren in diesem Gefängnis. Er ist auch sehr empathisch. „Er hat seine Periode bekommen.", lüge ich. „Verarschen Sie mich nicht, Amy. Das ist definitiv etwas anderes. Er ist Ihnen doch wichtig, also lügen Sie mich nicht an!", ruft er und nimmt Liam auf den Arm. Gemeinsam rennen wir zur Krankenstation. Zum Glück ist der Arzt schon da. „Liam muss sofort in ein Krankenhaus. Wer fährt mit ihm?", fragt der Arzt, nachdem er telefoniert hat. „Ich fahre mit!", rufe ich sofort. „Amy, du weißt genau, dass das nicht geht. Du musst dich jetzt beruhigen, so hilfst du ihm am meisten. Ich fahre mit und passe auf ihn auf, ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, was ich kann.", versucht Brian mich zu beruhigen, außerdem legt er mir noch eine Hand auf die Schulter und lässt mich nicht los, bis der Krankenwagen da ist.

„Lasst mich raus! Ich will zu Liam! Ihr könnt mich hier nicht einfach so einsperren! Ich habe gar nichts gemacht!", brülle ich und trete gegen die doppelte Stahltür im Bunker. Eine Kollegin von Brian hat mich dort eingeschlossen, obwohl ich wirklich nichts getan habe. Deswegen raste ich jetzt umso mehr aus. „Amy, du musst dich beruhigen.", flüstert Linn durch die geschlossene Tür. Sie hat eine besondere Position unter den Gefangenen, sie soll zwischen Beamten und Gefangenen vermitteln, was ihr meistens auch ziemlich gut gelingt. „Diese dumme Kuh hat mich hier einfach so eingesperrt!", rege ich mich auf. „Ich weiß, aber sie hatte wahrscheinlich Angst, dass du ausrastest.", versucht sie mich zu beruhigen, was aber nicht wirklich klappt. „Liam ist fast verblutet! Da würde jeder ausrasten!", brülle ich. Linn antwortet nicht mehr. Ich höre nur, wie einer der Beamten zu ihr sagt, dass sie nicht mehr mit mir sprechen soll. Wütend zerreiße ich die Papierdecke in der Isolationszelle und schlage gegen die Wände. Nach einem Tag werde ich wieder zurückgebracht. Die Anstaltsleiterin teilt uns mit, dass es Liam wieder besser geht. „Das ist absolut kein Grund, erleichtert zu sein. Ihr Mitgefangener wäre fast gestorben.", bemerkt sie wütend.

„Was sollte das? Warum hatte Liam eine Abtreibung?", fragt Rita. Ich zucke mit den Schultern. Unser Boss drückt mich gegen die Wand. „Ich habe wirklich sehr viel Verständnis, aber du musst endlich anfangen, mir die Wahrheit zu sagen. Was ist mit Liam passiert?", fragt sie und lässt mich los. „Er war schwanger, von der Fledermaus und er wollte das Baby nicht, also haben wir es wegmachen lassen.", erkläre ich. „Von einem Arzt?", fragt Rita mit hochgezogenen Augenbrauen. „Nein, von Kim.", antworte ich kleinlaut. „Na ganz toll. Liam war von der Fledermaus schwanger und anstatt mit einem Arzt zu reden, habt ihr das Baby von einer Engelmacherin wegmachen lassen und deswegen ist er fast verblutet. Ihr seid doch komplett wahnsinnig. Wusste sonst irgendjemand, dass Liam von der Fledermaus schwanger war?", fragt sie. Ich zucke beschämt mit den Schultern. „Amy, ihr hättet zu mir kommen müssen. Wenn das noch einmal vorkommt, muss ich dich bestrafen. Liam hätte sterben können. Er ist mir genauso wichtig, wie dir.", erklärt Rita. Ich fühle mich total schuldig und verspreche ihr, dass ich ihr in Zukunft alles erzählen werde. Auch Liam gegenüber habe ich starke Schuldgefühle. Er hätte wirklich sterben können und ich habe es nicht bemerkt. Rita tröstet mich, sie ist zwar sehr streng, aber sie ist auch wahnsinnig empathisch.

True colors | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt