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„Amy, warten Sie, ich muss mit Ihnen reden!", ruft mir die Krankenschwester über den halben Flur zu. Verwirrt bleibe ich stehen. Was will die denn jetzt von mir? „Was ist los?", frage ich. Sie bringt mich zur Krankenstation und nimmt mir Blut ab. Inzwischen klappt das sogar ohne Panikattacke, worauf ich doch schon sehr stolz bin. „Übrigens solltest du Liam nicht zu nahe kommen. Er ist jetzt mit mir zusammen und er hat absolut kein Interesse an dir. Das mit euch ist Vergangenheit und du solltest das endlich akzeptieren.", zischt sie mir böse zu. „Und möglicherweise sollten Sie lernen, die professionelle Distanz zwischen Ihnen und den Gefangenen zu wahren. Das soll wohl eine Regel sein, wenn man in einem Gefängnis arbeitet und eigentlich finde ich diese Regel ziemlich gut.", schieße ich sofort zurück. „Halt bloß deine blöde Klappe, sonst wirst du ein riesiges Problem mit mir bekommen.", droht mir die Krankenschwester mit funkelnden Augen. Um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen, verlasse ich die Krankenstation. „Wie kann Liam nur mit so einer blöden Bitch zusammen sein? Das ist doch unglaublich.", flüstere ich mir selbst zu, als ich zurück in meine Zelle laufe. Dort denke ich noch weiter über meinen Exfreund und diese dumme Kuh nach. Er hat eindeutig etwas besseres verdient. Ich liebe ihn gar nicht mehr, aber wir werden noch sehr viel Zeit hier miteinander verbringen müssen, deshalb sollten wir uns zumindest neutral gegenüber stehen. Von meiner Seite aus ist das absolut kein Problem, mehr will ich aber auch nicht. Diese dumme Bitch denkt doch tatsächlich, dass ich noch etwas von Liam will. Diese Tussi ist nicht gut für ihn, aber wenn ich ihm das sage, ist er bestimmt wieder total eingeschnappt. Langsam bin ich richtig verzweifelt, weil ich nicht möchte, dass er in sein eigenes Unglück rennt. Da ich früher schon nicht mit meinen Gefühlen umgehen konnte, fange ich an zu weinen. Ob das aus Wut oder aus Verzweiflung passiert, weiß ich allerdings nicht.

Habe ich eigentlich schon einmal erwähnt, dass man im Gefängnis absolut keine Privatsphäre hat? Und gerade in solchen Momenten, in denen es am wenigsten passt, klopft es an der Tür. Diesmal ist es Miss Ducat und die kann ich wohl schlecht wieder wegschicken. „Amy, was ist denn los mit Ihnen?", fragt sie. „Nichts, es ist alles in Ordnung.", antworte ich sofort. „Bei Ihnen ist gar nichts in Ordnung, das sehe ich doch. Sie können mir ruhig vertrauen.", stellt die Beamten fest und lächelt mich an. Ich zögere trotzdem. Soll ich ihr wirklich vertrauen? Kann ich ihr erzählen, was mich belastet? „In Ihrer Akte habe ich gelesen, dass Sie Antidepressiva nehmen müssen. Ich hatte auch einmal mit Depressionen zu kämpfen. Vielleicht kann ich Ihnen doch helfen.", ergänzt sie und legt mir eine Hand auf die Schulter. Trotzdem bin ich etwas misstrauisch. Soll ich ihr wirklich von der Krankenschwester erzählen? Damit würde ich vermutlich die Beziehung von Liam zerstören, aber so kann es auch nicht weitergehen. „Es sind gar nicht meine Depressionen. Eigentlich glaube ich, dass ich gar keine habe. Die Antidepressiva bekomme ich nur wegen dem Tod meiner Mutter.", erkläre ich. „Sind Sie sicher, dass Sie damit zurecht kommen? Wenn ein Elternteil stirbt, ist es immer sehr schwierig.", entgegnet Miss Ducat. „Es war eigentlich gar nicht so schlimm. Jetzt halten Sie mich bestimmt für einen schlechten Menschen, aber ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu meiner Mutter.", erwidere ich. „Das kann ich total nachvollziehen.", tröstet sie mich. „Weinen Sie deshalb?", fragt die Beamtin. Sie ist wirklich sehr nett. Zögernd schüttele ich den Kopf. „Liam und ich sind nicht mehr zusammen. Was ich Ihnen jetzt sage, darf aber nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden. Er hat nämlich gar keine Schuld daran.", stottere ich. „Natürlich nicht, solange er keine Straftat begangen hat.", entgegnet Miss Ducat. „Er hat eine Affäre mit der Krankenschwester. Ich glaube aber, dass es von seiner Seite nicht ganz freiwillig ist. Ich habe die beiden erwischt und Liam sah nicht besonders glücklich aus. Außerdem hat mir die Krankenschwester gedroht.", sprudelt es aus mir heraus. Miss Ducat verspricht mir, sich darum zu kümmern und legt mir einen Arm um die Schultern.

Am nächsten Morgen wird Liam in Isolationshaft gesteckt. „Was soll das? Ich habe gar nichts gemacht!", brüllt er. Rita und Linn schauen sich fragend an. „Warum wird er denn in die Iso gebracht?", fragt unser Boss verwundert. „Ich habe absolut keine Ahnung. Weißt du etwas darüber?", fragt mich Linn. Das muss wegen Miss Ducat passiert sein. Dabei hat sie mir doch versprochen, dass Liam deswegen keine Strafe bekommen wird. „Ich wollte das nicht. Miss Ducat kam in meine Zelle und hat mich manipuliert. Ich wollte ihr wirklich nichts verraten. Es tut mir so wahnsinnig Leid!", sprudelt es aus mir heraus. Unserem Boss klappt die Kinnlade herunter und auch Linn schaut mich erschrocken an. „Amy, das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?", fragt Rita schockiert. Beschämt lasse ich den Kopf sinken. „Ich wollte es wirklich nicht.", flüstere ich. „Du bringst dich wirklich in die dümmsten Situationen.", jammert Linn und schaut mich kopfschüttelnd an. „Es tut mir so Leid.", flüstere ich und fühle mich wirklich schuldig. „Dafür ist es jetzt zu spät, Amy.", bemerkt unser Boss und blickt mir tief und ernst in die Augen. „Du weißt schon, dass ich dich dafür bestrafen muss. Ich habe oft genug schützend meine Hand über dich gehalten, aber das geht jetzt nicht mehr. Du bist noch so jung und du bist auch noch nicht so lange hier, dafür habe ich Verständnis, aber Verrat geht gar nicht und das weißt du auch.", ergänzt sie. Da ich die Bestrafungen von unserem Boss kenne, erschrecke ich schon ein bisschen. Andererseits hat sie schon recht. Verrat ist hier drinnen schlimmer, als Mord. Wie sollen wir uns denn sicher fühlen, wenn wir nicht einmal den anderen Insassinnen vertrauen können?

Am nächsten Morgen will ich gar nicht zur Arbeit. Schon bei der Zählung bin ich sehr langsam. „Amy, beeilen Sie sich bitte ein bisschen.", bemerkt Miss Ducat mit einer sehr sanften Stimme. Ich würdige sie keines Blickes, beeile mich dann aber trotzdem. Ängstlich betrete ich die Wäscherei, aber der Vormittag verläuft ganz normal. Beim Mittagessen möchte ich mich alleine an einen Tisch setzen, aber Linn packt mich an der Kapuze. „Du sitzt trotzdem bei uns.", flüstert sie mir zu. Nach dem Mittagessen werde ich immer nervöser. Als wir wieder in der Wäscherei sind, schickt unser Boss alle, außer Linn und mich weg. Sie verstecken sich außerhalb der Wäscherei, damit die Wärter und Wärterinnen keinen Verdacht schöpfen. „Amy, komm bitte zu mir.", richtet Rita das Wort an mich. Ich laufe langsam zu ihr, sie steht an der Bügelmaschine und ich weiß, was jetzt passieren wird. „Gib mir deine Hand.", fordert mich Linn auf und legt sie unter die Bügelmaschine. Meine andere Hand hält sie zwischen ihren beiden Händen fest. Linn zittert mindestens so sehr, wie ich. „Amy, ich habe so sehr gehofft, dass diese Situation niemals eintreten wird. Leider hast du die Regeln gebrochen und diese Regel ist eine der wichtigsten. Ich bin mir zwar sicher, dass du keine bösen Absichten hattest, immerhin hast du ja eher die Krankenschwester verraten, aber leider ist dein Plan nach hinten losgegangen. Bevor ich wieder zu viel rede, werde ich dich jetzt bestrafen, aber eins sollte dir klar sein. Du gehörst nach wie vor zu uns. Du bist uns wichtig und wir werden auf dich achten.", beendet Rita ihren Vortrag. Dann drückt sie die Bügelmaschine für die längsten zwei Sekunden meines Lebens nach unten. „Bitte geh jetzt zur Krankenstation. Die neue Krankenschwester fängt heute an.", flüstert Linn. Ich mache mich sofort auf den Weg. Rita drückt die Bügelmaschine bei anderen Gefangenen länger nach unten, also kann ich eigentlich froh sein. Trotzdem tut es höllisch weh.

Jetzt weiß ich, wie sich die anderen fühlen müssen, die von Rita bestraft wurden. Die Schmerzen sind so stark, dass ich fast bewusstlos werde, also wäre es vermutlich doch besser, wenn ich zur Krankenstation gehen würde. Also schleppe ich mich dort hin, kurz vor meinem Ziel klappe ich allerdings zusammen. „Hey, können Sie mir sagen, wie Sie heißen?", fragt mich jemand in einem weißen Kittel. „Ich bin Amy und wie heißen Sie?", entgegne ich etwas benommen. „Ich bin Tara, die neue Krankenschwester. Sie sind vor der Krankenstation zusammengebrochen. Die Verletzungen an Ihrer Hand sehen ziemlich schlimm aus. Deswegen habe ich Ihnen etwas gegen die Schmerzen gespritzt und die Wunde behandelt. Was ist denn da passiert?", fragt Tara. „Ich war heute an der Bügelmaschine und bin irgendwie mit der Hand darunter gekommen.", lüge ich. Tara erklärt mir, wie sie jetzt weiter vorgehen wird. Sie ist so viel netter, als ihre Vorgängerin. Ein paar Tage muss ich noch auf der Krankenstation bleiben. Linn besucht mich täglich. „Rita macht sich Vorwürfe, auch wenn sie es nicht zugibt.", flüstert sie mir zu. „Das muss sie nicht. Immerhin habe ich es verdient.", entgegne ich leise. „Sie wollte das aber wirklich nicht.", teilt mir meine Mitgefangene mit. Wir unterhalten uns noch eine Weile über unseren Boss. „Das darf aber niemand erfahren, das ist nämlich Ritas größte Schwachstelle. Niemand darf es wissen, sonst macht sie sich angreifbar.", flüstert mir Linn eindringlich zu.

True colors | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt