„Eigentlich weiß ich gar nicht, wo ich überhaupt anfangen soll. Du weißt ja, dass meine größte Angst ist, wieder abhängig zu werden. Das weiß auch Miss Ducat. Vor einiger Zeit hat sie mir gedroht, mich wieder abhängig zu machen, da konnte ich den Stoff noch in die Toilette schütten, aber diesmal hat sie mir Heroin gespritzt. Ich habe jetzt zwar nicht unbedingt ein Verlangen nach dem Stoff, aber bevor sie mir noch einmal etwas spritzt, musste ich etwas tun. Miss Ducat hat mich erpresst. Wenn ich ihr nicht sage, wer für ihre Abmahnung gesorgt hat, wird sie mir noch eine zweite, dritte und vierte Dosis Heroin verabreichen. Und das ganze wird sie so lange tun, bis ich wieder abhängig bin. Wenn ich ihr aber sage, wer für die Abmahnung verantwortlich ist, wird sie mich ab sofort in Ruhe lassen.", erzählt Liam aufgebracht. „Oh mein Gott, was hast du bloß gemacht.", flüstere ich fassungslos. „Amy, ich hatte doch gar keine andere Wahl!", ruft er aufgeregt. „Ich weiß, aber jetzt sei leise. Wir müssen überlegen, was wir jetzt machen sollen.", flüstere ich meinem Exfreund zu. „Ich weiß es nicht. Du darfst aber auch eigentlich gar nichts davon wissen, sonst wirst du auch bestraft.", entgegnet er und nimmt mich in den Arm. „Aber-", beginne ich. „Nichts, aber. Du weißt nichts davon und jetzt reden wir nicht mehr über das Thema.", schneidet mir Liam das Wort ab. In dieser Nacht bin ich sehr unruhig, meine Träume handeln davon, dass Rita herausfindet, dass Liam sie verraten hat. In meinem Traum kommen auch noch rosa Aliens vor, aber das ist wohl ein anderes Thema. Mein Exfreund hält mich im Arm, um mich zu trösten. Um drei Uhr macht ein Beamter eine Kontrolle und sieht kurz nach, ob alles in Ordnung ist. Danach schlafe ich wieder ein und träume wieder komische Dinge.
Eine Woche später kommt Rita aus der Isolationshaft. Da sie Linn und mir die Bügelpresse überlassen hat, durften wir sie in den Angelegenheiten vertreten, die für einen Boss anfallen. Plötzlich steht sie wieder in der Wäscherei und ich renne auf sie zu. „Rita, ich habe dich vermisst, wie geht es dir?", frage ich leise. „Bei mir ist alles gut, die Isolationshaft kenne ich nur zu gut, für mich ist es keine Bestrafung mehr, obwohl es wirklich angenehmere Dinge gibt. Ist hier etwas spannendes passiert?", entgegnet unser Boss neugierig. „Nein, eigentlich nicht. Außer, dass die Beamten eine Wette abgeschlossen haben, wann Liam und ich wieder zusammen kommen.", erwähne ich beiläufig und Rita lacht. „Daran habe ich tatsächlich auch schon gedacht. Ihr seid euch in letzter Zeit wieder näher gekommen. Habt ihr etwa wieder Gefühle füreinander?", fragt sie. „Auf gar keinen Fall! Wir sind Freunde, mehr nicht. Liam und ich sind Vergangenheit.", entgegne ich sofort. „Was ist Vergangenheit?", fragt Liam, der neue Handtücher für die Küche holt. „Alle denken, dass wir uns wieder näher kommen und ich habe gesagt, dass wir Vergangenheit sind, aber offensichtlich glaubt mir das niemand.", antworte ich lachend. „Ernsthaft? Eher gefriert die Hölle!", ruft er und lacht ebenfalls laut los. „Ihr scheint euch ja richtig abgesprochen zu haben. Seid ihr sicher, dass da nicht doch etwas zwischen euch läuft?", gibt Linn grinsend zu bedenken. „Ach, dann glaubt uns eben nicht. Wichtig ist, dass wir die Wahrheit kennen und mir ist es echt egal, was ihr jetzt denkt.", entgegne ich schnippisch. Rita und Linn grinsen sich gegenseitig an. Mein Exfreund legt mir eine Hand auf die Schulter, weil er ganz genau weiß, wie schnell ich sauer werde. „Hey, das war doch überhaupt nicht böse gemeint. Was ist denn los mit dir? du bist ziemlich dünnhäutig.", bemerkt unser Boss nachdenklich und schaut Linn und Liam vielsagend an. „Sie bekommt einfach nur ihre Tage, warum sie diesmal so unausstehlich ist, weiß ich auch nicht.", erklärt Liam und ich bin froh, dass er sich diese Ausrede hat einfallen lassen. Eigentlich hätte ich auch nicht gedacht, dass mich die Sache so mitnimmt. Normalerweise bleibe ich in einer solchen Situation eher ruhig und Liam rastet aus, aber diesmal scheint es anders zu sein. Ich habe wahnsinnige Angst um ihn.
Den ganzen Tag über versuche ich, unserem Boss aus dem Weg zu gehen, was gar nicht so leicht ist, denn immerhin arbeiten wir zusammen in der Wäscherei. Also arbeite ich sehr viel im Lager, was ich eigentlich gar nicht mag, denn ich hasse es auf den Tod, etwas aufzuräumen, was ich nicht unordentlich gemacht haben. Eigentlich räume ich überhaupt nicht gerne auf und wenn ich es doch einmal tue, dann mache ich es auch nur, wenn ich ausdrücklich dazu gezwungen werde. Bei der Arbeit konnte ich Rita ganz gut aus dem Weg gehen, auf der Station geht das allerdings nicht. „Amy, was ist denn los mit dir? Du bist den ganzen Tag schon so komisch und ich habe das Gefühl, dass du mir aus dem Weg gehen willst.", bemerkt sie und schaut mich ernst an. Ich zucke nur teilnahmslos mit den Schultern. „Ich meine es wirklich ernst. Amy, ich mache mir Sorgen um dich, weil du mir wichtig bist. Und ich sehe, dass du dich mit irgendeiner Sache extrem quälst. Das möchte ich auf keinen Fall. Du bist noch so jung und du hast schon so viel erlebt. Rede bitte mit mir.", bittet mich unser Boss. „Es ist nichts, versprochen. Ich bin einfach momentan ziemlich schlecht drauf und ich weiß selbst nicht, warum.", antworte ich. „Das kannst du von mir aus deiner Oma erzählen, aber nicht mir. Ich bin nicht so leichtgläubig.", entgegnet sie. „Du sieht Gespenster. Ich habe einfach nur eine schwere Phase. Die hat jeder einmal und ich bin mir sicher, dass du sie auch schon hattest. Liam hatte sie auf jeden Fall und Linn hat mir auch gesagt, dass es ihr anfangs im Gefängnis nicht gut ging.", schieße ich sofort abwehrend zurück. Dann verkrieche ich mich in meiner Zelle und komme bis zum nächsten Morgen nicht raus. Rita steht noch eine Weile vor meiner Zellentür, das sehe ich. Irgendwann entfernen sich ein paar Schritte, die unserem Boss gehören, von meiner Tür und ich kann endlich etwas aufatmen. In den nächsten Tagen halte ich Abstand von Rita, damit ich mich auf keinen Fall verplappere. Mit Linn kann ich natürlich auch nicht darüber reden, denn sie kann genauso wenig schweigen, wie ein dreizehnjähriges Mädchen, das ein Geheimnis vor ihrer besten Freundin bewahren muss. Auch wenn es mir besonders wehtut, ich muss auch Abstand von Liam halten, denn das wäre vermutlich zu auffällig. Wenn, dann muss ich Abstand von allen meinen Freunden nehmen. Ich hoffe nur, dass mein Exfreund mitspielt und Rita auf eine falsche Fährte lockt. Ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen, aber ich muss Liam beschützen.
„Amy, ich muss jetzt endlich mal mit dir reden!", ruft unser Boss, aber ich knalle nur wortlos die Zellentür zu. Ahnungslos bleibt Rita vor meiner Zelle stehen. „Liam, was ist nur los mit ihr? Was hat sie? Ich bin so ratlos. Hat Amy in letzter Zeit mit dir gesprochen?", fragt sie. „Ich weiß es auch nicht. Vermutlich vermisst sie ihren Bruder Jason, der hat sie schon lange nicht mehr besucht. Etwas anderes kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Und nein, sie hat nicht mit mir gesprochen, ich mache mir aber auch ziemliche Sorgen.", antwortet mein Exfreund. Als Rita endlich weg ist, ziehe ich ihn in meine Zelle. „Dieses zickige liegt mir einfach nicht. Hoffentlich hat dieser ganze Blödsinn bald ein Ende. Lange werde ich das nicht mehr durchziehen können.", flüstere ich. „Aber das verlangt doch gar keiner von dir, am wenigsten ich. Außerdem will ich auch gar nicht, dass du dich wegen mir in Gefahr begibst. Und Rita so zu hintergehen, ist verdammt gefährlich.", entgegnet er. „Ach Quatsch, das schaffe ich schon. Mein größtes Problem ist, dass ich eben nicht so bin, wie ich gerade tue. Wir müssen uns langsam eine andere Lösung überlegen.", erwidere ich panisch, aus lauter Angst, Liam könnte auffliegen. „Amy, früher oder später wird es rauskommen und da ist es doch besser, wenn ich Rita davon erzähle. So kannst du wenigstens ohne Ärger aus der ganzen Geschichte rausgehen. Ich will doch nicht, dass du auch noch Stress bekommst.", flüstert Liam und streichelt mir über den Kopf. Das lasse ich normal bei niemandem zu, außer bei ihm. Das habe ich schon als Kind nicht gemocht, keine Ahnung, warum das so war oder auch noch so ist. Bei ihm hat es tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf mich, bei allen anderen regt es mich auf. In dieser Nacht schläft Liam bei mir und ich bin verdammt froh, dass er das tut. Am nächsten Morgen wache ich auf, als er sich gerade aus meiner Zelle schleichen will. „Was machst du?", nuschele ich verschlafen. Er lächelt mich an und verlässt wortlos die Zelle. Als ich mich noch einmal umdrehen will, um noch zehn Minuten zu schlafen, bin ich plötzlich hellwach. Verdammt, er will bestimmt zu Rita! Ich renne ohne Schuhe und ohne Socken durch die Gänge. Mir fällt auch gar nicht auf, dass ich gar keine Hose an habe. Ich war gestern Abend so müde, dass Liam mir meine Hose ausgezogen hat und mein Schlafshirt angezogen. Bevor er mir mit meiner Schlafanzughose helfen konnte, bin ich aber schon eingeschlafen.
DU LIEST GERADE
True colors | LGBTQ
Teen Fiction»Erfahrung ist der Name, den wir unseren Fehlern geben.« Ich war nie so wie die anderen und ich wollte auch nie normal sein. Vielleicht waren Liam und ich deshalb füreinander geschaffen.