Und so renne ich, nur mit einem T-Shirt bekleidet durch die Gänge und versuche, meinen Exfreund einzuholen. „Liam! Liam, verdammt, wo bist du?", brülle ich durch die Flure. Dieser Typ ist einfach viel zu schnell für mich. Das war aber nicht immer so. Früher war Liam eher der gemütliche Typ und auch ein bisschen dicker, irgendwann begann er allerdings, sich auf achtundvierzig Kilo herunterzuhungern. Er ist nicht besonders groß, deswegen ist das am Anfang gar nicht so wirklich aufgefallen. Irgendwann hat er sein Gewicht zum Glück stabilisiert und ein paar Muskeln aufgebaut. Dass er inzwischen so sportlich ist, wird mir jetzt allerdings zum Verhängnis. „Liam, wo bist du?", frage ich verzweifelt. Von meinem Exfreund ist allerdings keine Spur zu finden, er bleibt verschollen. „Amy, was machen Sie hier? Und warum haben Sie nichts an?", fragt Miss Ducat. „Alles gut, ich suche nur jemanden.", entgegne ich. „Wen denn, wenn ich fragen darf?", erwidert die Beamtin. „Natürlich dürfen Sie fragen, aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen antworten werde.", schieße ich zurück. Miss Ducat will etwas erwidern, aber zum Glück taucht Linn in diesem Moment auf. „Amy, da bist du ja. Ich habe gehört, dass du nach mir gesucht hast. Ich war doch nur duschen. Komm mit, wir gehen auf meine Zelle.", lügt sie, aber wir gehen tatsächlich zusammen auf die Station. Unterwegs sagt sie kein Wort. Als wir dann schließlich in meiner Zelle sind, starrt sie mich noch immer fassungslos an. „Sag mal, bist du jetzt vollkommen durchgedreht? Du weißt schon, dass sie dich für diese Aktion in die Psychatrie stecken können und das will wahrscheinlich keiner von uns.", stellt meine Mitgefangene fest. Ich zucke mit den Schultern. „Amy, du bist ja wirklich durchgeknallt. Jetzt sag mir doch endlich, was mit dir los ist.", bittet mich Linn und schaut mich ängstlich an. „Naja, ich habe etwas richtig schlimmes geträumt und wollte zu Liam. Er war nicht da und ich habe ihn gesucht. Irgendwie muss ich wohl durchgedreht sein.", erkläre ich beschämt.
Linn schaut mich noch immer zweifelnd an, bis plötzlich jemand auftaucht, den ich die ganze Zeit gesucht habe. „Guten Morgen, ihr beiden. Ich habe gehört, dass ihr mich sucht. Was ist denn passiert?", fragt mein Exfreund, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun. Ich bin kurz vorm ausrasten. „Sag mal, bist du eigentlich wahnsinnig geworden? Ich habe dich Ewigkeiten gesucht!", brülle ich wütend. „Reg dich nicht auf, Schnuckelchen. Ich war eben kurz weg.", antwortet er knapp. Ich ziehe ihn in meine Zelle und schaue ihn fragend an. „Reg dich nicht auf, ich war nicht bei Rita.", beruhigt er mich. Zumindest versucht er es, denn ich beruhige mich gar nicht. In den nächsten Tagen werde ich tatsächlich etwas ruhiger, aber ich bin trotz allem ein bisschen unsicher und versuche unserem Boss aus dem Weg zu gehen. Rita hat sich ebenfalls etwas beruhigt, aber ich traue der ganzen Situation noch nicht so ganz. Vorerst scheint zwar alles gut zu sein, aber ich bin wirklich noch sehr unsicher. „Linn hat mir von dem Vorfall erzählt. Was war denn da eigentlich los? Ich weiß zwar, dass du ziemlich dicke mit Liam bist, aber das war schon sehr komisch. Außerdem darfst du nicht so frech zu den Beamten sein, sonst wirst du irgendwann noch verdammt Ärger bekommen. Natürlich weiß ich, dass sie dich aufregen, mich regen sie auch auf, aber du bist im Gefängnis und da musst du dich eben an ein paar Regeln halten.", bemerkt Rita nachdenklich. „Das stimmt schon, du hast natürlich recht. Und was Liam angeht, er ist mir in der letzten Zeit einfach sehr wichtig geworden und wir haben in den verschiedenen Heilanstalten einfach sehr viel miteinander erlebt. Das kam jetzt einfach hoch und er ist meine Vertrauensperson.", entgegne ich vorsichtig.
In den nächsten Wochen ist eigentlich alles gut, ich werde langsam wieder ruhiger und eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass der Verrat von Liam an Rita herauskommen würde. Bei der Arbeit ist es total schön, Rita und ich arbeiten zusammen an der Bügelpresse. Mir fällt es zwar ein bisschen schwer, Linn nicht von der ganzen Sache zu erzählen, offenbar bin ich doch einer dieser Menschen, die alles direkt weiter erzählen müssen. Meine Mitgefangene bemerkt allerdings nichts, was mich schon ein bisschen wundert, denn Linn ist eigentlich ziemlich schlau. An einem kalten Sonntag im Winter, genauer gesagt im Januar, sollte unser aller Leben aber gewaltig auf den Kopf gestellt werden. Liam wird seit einiger Zeit wieder von Miss Ducat provoziert und heute hat er sich zum ersten Mal gewehrt. „Wissen Sie eigentlich, wer Ihren Boss vor ungefähr vier Wochen verraten hat? Ich kann es Ihnen gerne sagen, denn ich weiß es. Es war Ihr toller Freund Liam, der von allen so sehr geschätzt wird.", bemerkt die Beamtin, die sich inzwischen an uns alle gewendet hat. Rita, Linn und ich schauen uns an, dann blicken wir zu Liam, der panisch zu mir und dann zu unserem Boss schaut. „Verdammt.", flüstert Linn. „Das kann einfach nicht sein, ich will das nicht glauben, ich kann das nicht glauben.", entgegnet Rita fassungslos. „Ich kann das auch nicht glauben. Wer sagt eigentlich, dass Miss Ducat die Wahrheit sagt?", frage ich. „Welchen Grund hätte sie, uns anzulügen?", erwidert unser Boss. „Sie will unsere Gruppe auseinander bringen und sie möchte, dass du Liam bestrafst, weil sie ihn hasst. Miss Ducat ist eine sehr hinterlistige Person und würde wahrscheinlich alles tun, um ihn in Gefahr zu bringen.", verteidige ich meinen Exfreund sofort. Dabei muss ich natürlich aufpassen, dass es nicht zu auffällig ist.
An diesem Nachmittag, direkt nach der Arbeit, ruft uns Rita zu sich. Ich bin wahnsinnig nervös und auch Liam ist ziemlich durcheinander. „Was denkst du, passiert jetzt?", fragt mein Exfreund panisch. Ich lege ihm beruhigend meine Hand auf die Schulter. „Liam, du musst dich beruhigen. Vielleicht wird es gar nicht so schlimm. Jetzt gehen wir erstmal zu Rita und warten ab.", flüstere ich. Er beruhigt sich allerdings kein bisschen und ich habe das Gefühl, dass sein Puls gerade meilenweit in die Höhe schießt. Natürlich kann ich das einerseits verstehen, andererseits bringt das weder Rita etwas, noch ihm oder mir. Da Liam seinem Schicksal nicht weiter entgehen kann, machen wir uns auf den Weg zu unserem Boss. Rita und Linn warten schon mit verschränkten Armen auf uns. „Amy, komm bitte zu uns, immerhin bist du hier nicht die Angeklagte, sondern Liam.", eröffnet Linn das Gespräch. „Ist das hier jetzt wirklich eine Verhandlung, wie vor Gericht?", frage ich überrascht. Rita nickt ernst und lässt Liam nicht aus den Augen. „Amy, du bist jetzt bitte ruhig, wir erklären Liam die nächsten Schritte und dann beginnt die Verhandlung. Da er der Angeklagte ist, darf auch nur er Fragen stellen und beantworten. Ich weiß ganz genau, dass ihr Freunde seid und eventuell seid ihr auch mehr, aber du darfst ihn in dieser Situation nicht verteidigen, da du offensichtlich befangen bist. Die Verteidigung übernimmt Hannah, denn sie ist weder mit ihm befreundet, noch hasst sie Liam.", erklärt unser Boss. Rita und Linn halten also eine richtige Verhandlung ab. Mein Exfreund wird immer blasser und nach einer halben Stunde steht das Urteil fest. „Es tut mir so leid, aber du bist ab jetzt vogelfrei.", stellt Linn fest. „Was bedeutet das?", frage ich verwirrt. Liam blickt die anderen und mich teilnahmslos an. „Das ist ganz einfach. Durch den Verrat verliert Liam jeglichen Schutz. Wir passen nicht mehr auf ihn auf und wenn ihn jemand angreift, greifen wir nicht ein. Und bevor du jetzt sagst, dass er es nicht so gemeint hat, dass es ein Versehen war, dass er dazu gedrängt wurde, er hat den Verrat begangen und dafür muss er jetzt büßen.", antwortet Linn.
„Damit ist die Verhandlung beendet.", bemerkt unser Boss. Sie und Linn laufen in Richtung Hof. „Rita, es tut mir so leid! Bitte hör mir nur eine Minute zu!", ruft Liam und rennt den beiden hinterher. „Die Diskussion ist beendet, wir dulden hier keinen Verrat.", entgegnet sie und läuft weiter. Ich bin so schockiert, dass ich meinen Exfreund überhaupt nicht trösten kann, obwohl ich es natürlich gerne machen würde. In den nächsten Tagen versucht Liam öfter, mit unserem Boss zu reden, aber Rita blockt ab. „Oh Mann, das war eine ganz schön blöde Aktion. Da hast du wirklich Scheiße gebaut.", flüstere ich ihm zu. „Das stimmt. Ich würde es so gerne ungeschehen machen, aber das geht leider nicht. Jetzt muss ich eben für meine Tat bezahlen.", entgegnet Liam wehmütig. „Ich würde es dir gerne abnehmen, aber das geht leider nicht.", erwidere ich. „Ach Quatsch, ich habe die Aktion gestartet und ich muss dafür büßen. Das ist doch ganz normal. Ich bin wohl einfach zu blöd. Irgendwie kann ich auch verstehen, dass Rita nicht mehr mit mir sprechen will. Das ist eben eine Regel und daran muss sich jeder halten. Ich hätte sie wirklich nicht verraten sollen, ich hätte vorher über die Konsequenzen nachdenken sollen, die mein Verhalten auslöst.", bemerkt mein Exfreund. Dann bunkert er sich in seiner Zelle ein und lässt niemanden mehr zu sich. Nicht, dass jemand außer mir mit ihm reden wollte, aber dass er ausgerechnet mich aus seinem Leben aussperrt, gibt mir schon sehr zu denken.
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True colors | LGBTQ
Ficção Adolescente»Erfahrung ist der Name, den wir unseren Fehlern geben.« Ich war nie so wie die anderen und ich wollte auch nie normal sein. Vielleicht waren Liam und ich deshalb füreinander geschaffen.