„Wer hat denn dieses süße Ding hier untergebracht?", fragt eine ziemlich ungepflegte Gefangene, die eigentlich aussieht, wie ein Mann. „Ich stehe ja eigentlich nicht auf Frauen, aber die kleine ist echt süß.", bemerkt eine andere und zeigt auf Liam. „Schnauze, Liam ist weder klein, noch eine Frau.", verteidige ich meinen Freund. „Süße, die kleine ist eine Frau, sonst wäre sie wohl nicht hier. Das ist immer noch ein Frauengefängnis.", erklärt die ungepflegte Gefangene, die Jules heißt. „Liam ist ein Mann und das solltest du respektieren.", entgegne ich. „Bist du lesbisch?", fragt Jules und ich nicke. „Siehst du, hier hast du deine Antwort. Du kannst nicht sagen dass du lesbisch bist und gleichzeitig mit einem Mann zusammen sein.", mischt sich eine Gefangene namens Sky ein. „Ich zeige dir gerne, dass es toll ist, eine Frau zu sein. Und dich nehme ich dann als Nachtisch.", teilt uns Jules mit. Ich kann mich nicht mehr beherrschen und schlage der Gefangenen mit der Faust in ihr grinsendes Gesicht. Liam nimmt mich an die Hand und wir rennen weg. „Schnell, versteckt euch hier.", ruft eine etwas ältere Gefangene und zieht uns in ihre Zelle. Sie heißt Linn. „Vor Jules und Sky müsst ihr euch in Acht nehmen. Jules ist dauernd auf der Suche nach jungen und hübschen Mädchen. Sky würde dich für eine Zigarette verraten. Rita ist unser Boss, sie ist streng, aber gerecht. Sie ist der beste Boss, den wir bis jetzt hatten.", erklärt sie. Als Liam und ich alleine sind, beschließen wir, dass wir uns vorerst an Linn halten werden. Liam schläft nicht gut in dieser Nacht, das war alles zu viel für ihn. Ich lege mich zu ihm und er schläft langsam in meinen Armen ein.
In dieser Nacht mache mir ernsthafte Gedanken über meine Beziehung zu Liam. Ich liebe ihn mehr als mein Leben, aber auf Dauer wird es ein echtes Problem, vor allem, wenn er die Geschlechtsangleichende Operation hatte. Das wird aber vermutlich noch eine ganze Weile dauern, denn wir brauchen dafür 45000 Dollar. Ich fühle mich richtig schlecht, denn Liam will doch nur so sein, wie er ist, aber ich habe inzwischen ein kleines Problem damit. Ich habe auch schon überlegt, ob es eine gute Idee wäre, wenn Liam und ich nur Freunde wären, aber ich liebe ihn. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie in einen Jungen oder Mann verliebt, Liam ist da eine absolute Ausnahme. „Guten Morgen mein Engel, hast du gut geschlafen?", fragt mein Freund. Ich habe gar nicht geschlafen, mir geht es total schlecht, aber ich nicke. Linn zeigt uns alles, ich arbeite in der Wäscherei und Liam in der Küche. Das ist doch nicht deren Ernst!", rufe ich aufgebracht. Mich stört nicht nur die Tatsache, dass Liam und ich nicht zusammen arbeiten können, sondern auch, dass die eklige Jules auch in der Küche arbeitet. Ich habe Angst um meinen Freund. „Hallo Amy, schön dass du in unserem Team bist. Für dich wird das alles hier noch neu sein und wahrscheinlich willst du hier so schnell wie möglich wieder weg, das verstehe ich absolut. Ich habe Verständnis, dass du dich noch nicht ganz eingewöhnt hast, Linn wird dir unsere Regeln erklären und beim Mittagessen sitzt du bei uns. Ich würde gerne mehr über dich erfahren. Mein Name ist übrigens Rita, ich bin hier der Boss. Wenn du dich an unsere Regeln hältst, werde ich dich beschützen, aber wenn du unsere Regeln nicht befolgst, musst du mit sehr harten Strafen rechnen. Du wirst die Konsequenzen für dein Verhalten tragen. Wenn dir jemand etwas tut, kommst du zu mir und ich werde die Frau bestrafen.", erklärt Rita und lächelt mich an.
„Hey mein Schatz, wie war dein Tag?", frage ich, als ich Liam nach der Arbeit. Wir haben uns beim Mittagessen kurz gesehen, aber wir konnten nicht zusammen sitzen, Liam musste beim Küchenteam sitzen und hat wohl den gleichen Prozess über sich ergehen lassen müssen, wie ich. Mein Freund umarmt mich. „Ich habe die vermisst.", flüstert er. Beim Mittagessen am nächsten Tag sitze ich auch wieder bei Rita und Linn. Unser Boss ist total nett. Sie war Krankenschwester und kam ins Gefängnis, weil sie Sterbehilfe geleistet hat. Sie sitzt seit vier Jahren im Gefängnis. Damit hat sie noch nicht einmal ein Viertel ihrer Strafe abgesessen. „Jules spielt sich ziemlich auf, aber ich werde nicht zulassen, dass sie euch etwas tut.", erklärt Rita, die meinem Freund sofort einen Platz anbietet. „Oh man, Rita. Mach den Neuen doch keine Angst. Nicht dass die Süßen noch Angst bekommen.", bemerkt ein Beamter. Ich verziehe sofort angeekelt mein Gesicht. „Den müsst ihr einfach ignorieren. Er will die Neuen immer flachlegen. Wenn er euch Zigaretten oder etwas ähnliches anbietet, nehmt es nicht an.", flüstert unser Boss. Ab diesem Zeitpunkt lasse ich Liam nicht mehr alleine. „Na süße, kann ich etwas für dich tun?", fragt der Beamte und lächelt mich an. Ich wende mich mit einem verächtlichen Blick ab und mache mich mit meinem Freund auf den Weg zu unseren Zellen. „Urinkontrolle bei den Neuzugängen! Machen Sie sich auf den Weg zur Krankenstation.", ertönt es aus einem Lautsprecher.
„Das ist wahrscheinlich nur Provokation. Wenn ihr keine Drogen nehmt, müsst ihr euch gar keine Sorgen machen. Die Fledermaus hasst Drogen. Deswegen filzt er die Neuen besonders gerne. Vor Sky, sie gehört zu der Gang von Jules, nimmt er sich inzwischen aber besonders in Acht. Sie ist einmal mit einer abgebrochenen Parfümflasche auf ihn losgegangen. Aus diesem Grund dürfen wir Dinge wie Deo, Parfüm und ähnliches nur unter strenger Aufsicht benutzen.", informiert uns Linn. Die Fledermaus, so wird der Beamte genannt, der mich vor ein paar Minuten angesprochen hat. Ich lasse diese dämliche Urinkontrolle über mich ergehen, aber ich kann mir wahrscheinlich nicht mal ansatzweise vorstellen, wie schlimm das für Liam gewesen sein muss. Eine Beamtin hat mich permanent beobachtet. Für mich ist das gar kein Problem, zuhause haben wir uns zwei Bäder teilen müssen und wir waren zu acht. Da ist andauernd jemand reingeplatzt. „Hier hast du absolut keine Privatsphäre und keine Rechte, das ist unglaublich!", regt sich mein Freund auf. „Daran wirst du dich wohl gewöhnen müssen, mein Schatz.", entgegne ich und kann mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Liam ist ein Einzelkind und hatte zuhause sein eigenes Bad. „Mir ist das am Anfang auch ein bisschen schwergefallen. Es ist immerhin etwas anderes, ein Bad mit zwanzig anderen Frauen zu teilen, statt mit deinen fünf Geschwistern und deinen Eltern. Du gewöhnst dich aber bestimmt bald daran.", versuche ich ihn zu trösten. Rita und Linn nicken zustimmend.
Nach der Arbeit geht mein Freund wieder zur Krankenstation. Ich möchte ihn gerne begleiten, aber er geht lieber alleine. Als er dann zurück in unseren Block kommt, will ich ihn natürlich sofort fragen, wie es gelaufen ist, aber er scheint ziemlich schlecht gelaunt zu sein. Liam knallt die Zellentür zu und lässt niemanden rein, nicht einmal mich. „Wahrscheinlich ist ihm gerade alles zu viel. Lass ihn erst einmal eine Weile in Ruhe, damit er sich beruhigen kann.", versucht Rita mich zu beruhigen. Nach ein paar Minuten wird es verdächtig ruhig und Rita betritt vorsichtig die Zelle. Nach einer Weile kommt sie wieder raus und sagt mir, dass ich jetzt zu Liam gehen kann. Auch ich betrete die Zelle sehr vorsichtig. An der Wand klebt etwas Blut und die Sachen von meinem Freund sind überall in der ganzen Zelle verteilt. „Amy, ich bekomme keine Hormone, weil ich draußen mit keinem Psychologen gesprochen habe.", flüstert mein Freund und weint. Er möchte nie wieder mit einem Psychologen sprechen, da ihn die Aufenthalte in den vielen verschiedenen Heilanstalten sehr traumatisiert haben. „Diese blöde Ärztin meinte, dass ich erst mit dem Psychologen sprechen muss. Vorher kann ich keine Hormone bekommen.", regt er sich auf. Ich kann ihn total verstehen, mir sind Therapeuten auch nicht besonders sympathisch, aber ich muss zugeben, dass ich auch die Ärztin verstehen kann. Sie will, beziehungsweise muss sich sicher sein, dass Liam die Hormone nicht zum Spaß nehmen will und sie kennt ihn eben noch nicht gut genug. Natürlich würde mein Freund die Hormone nicht zum Spaß nehmen, aber das weiß sie ja nicht. Geschlechtsdysphorie ist eine Diagnose, die meines Wissens nach eben ein Psychologe stellt. Vorerst scheint das seine einzige Möglichkeit zu sein. Ich tröste ihn und warte, bis er eingeschlafen ist. In dieser Nacht schlafe ich wieder einmal nicht, ich mache mir Gedanken um Liam und seine Hormone. Mir kommt auch eine Idee, aber das kann ich nicht machen, das will ich nicht machen und ich weiß, dass Rita davon absolut nicht begeistert wäre.
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True colors | LGBTQ
Novela Juvenil»Erfahrung ist der Name, den wir unseren Fehlern geben.« Ich war nie so wie die anderen und ich wollte auch nie normal sein. Vielleicht waren Liam und ich deshalb füreinander geschaffen.