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Vielleicht hätte ich meine Mutter doch noch einmal besuchen sollen, am Mittwoch bekomme ich von unserer Gefängnisleitung die Nachricht, dass meine Mutter letzte Nacht gestorben ist und dass Jason bei ihr war. Das beruhigt mich schon ein bisschen, dass zumindest mein Bruder jetzt ein ruhiges Gewissen haben kann. Ich fühle allerdings nichts. Keine Trauer, keine Wut, absolut gar nichts. Wahrscheinlich liegt das an meinem gestörten Verhältnis zu ihr. Dafür bin ich aber weiß Gott nicht alleine verantwortlich. Meine Mutter war gerade mal zwanzig, als sie mich bekommen hat. Mit achtzehn Jahren hat sie schon meinen Bruder Jason bekommen. Sie war mit uns Kindern maßlos überfordert. Meiner Meinung nach, war das keine gute Basis dafür, noch drei weitere Kinder zu bekommen, aber das hat sich jetzt erledigt. Trotzdem war meine Kindheit und Jugend eigentlich sehr glücklich, bis ich zum ersten Mal in eine Klinik kam. Mein Opa, der Vater von meinem Papa, war Alkoholiker und schlug seine Frau, sowie seine Kinder. Mein Papa hat sich geschworen, nie so zu werden, wie sein Vater und ich denke, das hat er ganz gut geschafft. Meine Mutter ist leider komplett so geworden, wie ihre Familie, die sehr streng religiös war. Sie hat diese Verhaltensweisen auch nie angezweifelt. Es gibt eine Studie, die besagt, dass bei zwei Kindern, deren Vater Alkoholiker ist, eines der Kinder dieses Verhalten hinterfragt und das andere den gleichen Weg einschlägt, wie der Vater. In meiner Schule waren zwei Mädchen, deren Mutter Drogen genommen hat. Eines der Mädchen war die perfekte Einserschülerin und studierte irgendwann Jura. Das andere Mädchen nahm bereits im Alter von elf Jahren Heroin und starb mit dreizehn Jahren an einer Überdosis. Aufgrund dieser Erfahrung bestätigte sich zumindest für mich diese Theorie.

Als ich das Büro der Gefängnisleitung verlasse, laufe ich Liam über den Weg, zuerst weiß ich gar nicht, was ich überhaupt machen soll. Er tut so, als würde er mich gar nicht sehen, er beachtet mich auch nicht wirklich, aber ich sehe genau, dass es ihm mindestens genauso wehtut, wie mir. Kaum bin ich auf der Station angekommen, werde ich von Rita abgefangen, die nach meiner Beichte ziemlich schockiert war und erst darüber nachdenken musste, ob sie mich bestrafen wird. Ich denke sofort an die schlimmsten Strafen, die sie mir verpassen könnte und ich bekomme Angst. „Amy, ich habe nachgedacht und mich mit Linn beraten. Natürlich war es nicht richtig, was du getan hast, aber Linn hat mir gesagt, dass du sehr darunter leidest. Andererseits hast du uns einen sehr gewalttätigen Beamten vom Hals geschafft und soweit ich es verstanden habe, war es ein Unfall. Du wirst zu unserem Psychologen gehen und dir alles von der Seele sprechen, was dich belastet, zum Beispiel die Trennung von Liam. Von dem Unfall mit der Fledermaus erzählst du aber bitte nichts, sonst muss es gemeldet werden.", informiert mich unser Boss. Dann nimmt sie mich in den Arm. Durch diese Umarmung, die ich von meiner Mutter nie bekommen habe, breche ich komplett zusammen. Rita bringt mich sofort in meine Zelle und will wissen, was los ist. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, warum ich zusammengebrochen bin und jetzt weinend in der Zelle sitze.

„Was ist denn los?", fragt Linn besorgt. „Keine Ahnung, sie ist einfach so zusammengebrochen.", erklärt Rita, die ebenfalls sehr besorgt ist. Die beiden verfrachten mich in mein Bett, dort kauere ich mich zusammen. „Sie war bei der Gefängnisleitung. Vielleicht hat sie dort eine schlechte Nachricht bekommen.", überlegt unser Boss. „Amy, ist etwas mit deinem Bruder?", fragt Linn und streichelt mir über den Rücken. „Meine Mutter ist tot.", flüstere ich. „Oh nein, das tut mir leid.", entgegnet Rita betroffen. „Das ist gar nicht so schlimm. Wir haben uns sowieso nicht wirklich verstanden. Sie hat mich zum Beispiel nie umarmt.", erkläre ich. „Deswegen hast du so extrem auf meine Umarmung reagiert. Aber warum ist das nicht vorher schon einmal passiert?", fragt unser Boss verwundert, die mich ja schon vorher öfter umarmt hat. „Vermutlich ist das von meiner mentalen Situation abhängig.", erkläre ich. „Der Verlust deiner Mutter tut mir trotzdem leid. Vielleicht bist du jetzt noch ein bisschen geschockt. Willst du denn zu der Beerdigung gehen?", fragt Linn vorsichtig. „Ich denke nicht. Sie hat mir zumindest in den letzten Jahren nichts mehr bedeutet.", antworte ich.

True colors | LGBTQWo Geschichten leben. Entdecke jetzt