Als ich zurück bin, nehmen mich Linn und Rita in die Arme, ich fange sofort an zu weinen, aber nicht wegen meiner Mutter, sondern wegen dem Verhalten von meiner Schwester Linda. „War es so schlimm?", fragt Rita. „Mann Rita, du bist wirklich so ein unemotionales Schaf. Natürlich war es schlimm für sie.", herrscht Linn unseren Boss an und drückt mich mütterlich an sich. Rita entschuldigt sich und umarmt mich vorsichtig. Als wir wieder auf der Station ankommen, wartet Jules auf mich. „Es tut mir leid, also das mit deiner Mutter. Auch wenn wir uns nicht wirklich verstehen, so etwas sollte niemand erleben müssen.", erklärt sie und streckt mir ihre Hand hin. „Meine Gang und ich haben zusammengelegt.", ergänzt sie und überreicht mit ein paar Dinge aus dem Gefängnisladen, die ich mir nicht leisten kann, weil ich wie immer einmal chronisch pleite bin. Auch die anderen Frauen auf der Station sprechen mir ihr Beileid aus und ich bin sehr dankbar dafür. Liam schleicht ganz seltsam um uns herum, ich sehe ihn auf dem Hof, aber sobald sich unsere Blicke treffen, verschwindet er sofort. In letzter Zeit denke ich wieder oft an meine Kindheit zurück. Jason und ich haben oft mit unserem Vater gespielt, wir durften ihm immer helfen, die Tiere zu füttern und noch viel mehr. Unsere Mutter war nicht wirklich begeistert davon, sie wollte auch früher schon, dass ich die 'weiblichen' Aufgaben im Haushalt übernehme, mein Vater war da allerdings immer etwas lockerer. Auch Jason hat später nichts von diesen altmodischen Rollenvorstellung unserer Mutter gehalten. Dafür liebe ich ihn noch mehr. Mein Bruder und mein Vater waren mir immer die liebsten Menschen in meiner Familie, auch wenn ich meine Schwestern Jannis und Jamie auch sehr lieb habe, aber mein Vater und mein Bruder sind einfach perfekt.
Einen Tag später werde ich zur Krankenstation gerufen, ich bin ziemlich verwirrt, denn ich bin eigentlich nicht krank. Jetzt soll ich nach dem Tod meiner Mutter jeden Tag vorbeikommen, da ich starke Antidepressiva bekomme. Ich habe nicht darum gebeten, aber womöglich denkt die Anstaltsleitung, dass ich so nicht ausraste. Eigentlich habe ich auch gar nicht vor, auszurasten, aber die Beamten und die Anstaltsleitung wollen sich wohl sicher sein, dass nichts passiert. „Hallo, ist hier jemand?", frage ich. Plötzlich raschelt es hinter einem Vorhang. Die Krankenschwester kommt hinter dem Vorhang hervor, ich erkenne sofort, dass ihre Bluse falsch geknöpft ist. Vielleicht hat sie eine Affäre mit einem der Beamten. Da will ich nicht weiter stören und halte das Gespräch so kurz wie möglich. Als ich die Krankenstation verlassen möchte, höre ich ein kichern, dass ich nur allzu gut kenne. Es ist Liam. „Ernsthaft? Sie haben sich ausgerechnet mit ihm eingelassen? Hoffentlich haben Sie ein starkes Herz, denn er wird es vermutlich brechen.", bemerke ich und schaue die Krankenschwester kopfschüttelnd an. Außerdem wusste ich gar nicht, dass die Krankenschwester queer ist. Ob ich verletzt bin? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Liam tut mir nicht mehr weh, er tut mir nur noch leid. Vor allem mit dieser erbärmlichen Aktion hat er sich nicht gerade in ein positives Licht gerückt. „Nur weil du mal wieder extrem eifersüchtig bist, musst du nicht versuchen, mir alles kaputt zu machen. Das wirst du sowieso nicht schaffen. Und glaube bloß nicht, dass du mir das hier mit irgendeiner fiesen Tour versauen kannst.", flüstert mir mein Exfreund zu und grinst fies. „Ach, werde doch endlich erwachsen.", entgegne ich und schaue ihn genervt an. vielleicht hätte ich daran denken sollen, dass Liam etwas jünger ist, als ich. Er benimmt sich mal wieder ziemlich kindisch und er geht mir nur noch auf die Nerven.
Geknickt laufe ich zurück auf die Station. „Was ist denn mit dir los, Amy?", fragt Rita. Ich zucke nur teilnahmslos mit den Schultern und gehe wortlos in meine Zelle. Dort frage ich mich ernsthaft, ob ich Liam und diese blöde Krankenschwester verraten soll. Verdient hätte er es definitiv, aber Verrat ist natürlich absolut tabu. Rita würde mich wahrscheinlich umbringen oder zumindest sehr hart bestrafen. Das will ich unter gar keinen Umständen riskieren, also muss ich den Gedanken wohl vorerst verwerfen. „Amy, ich frage dich jetzt nur noch einmal, bevor du wieder irgendeinen Blödsinn anstellst. Normalerweise mache ich nicht einmal das. Bitte rede mit mir.", stellt unser Boss klar. Ich zögere noch kurz, aber dann vertraue ich mich ihr an. Zumindest erzähle ich ihr ein bisschen von dem, was gerade passiert ist. „Er wollte mich wahrscheinlich nur verletzen, so ein kindisches Verhalten habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Das kenne ich sonst nur von meiner Schwester Linda.", erkläre ich. „Liam ist vermutlich mindestens genauso verletzt, wie du. Am besten geht ihr euch in der nächsten Zeit einfach aus dem Weg. Und solltest du auf dumme Ideen kommen, um dich an ihm zu rächen, werde ich dich bestrafen müssen. An deiner Stelle würde ich es also lassen.", warnt sie mich eindringlich. Ich nicke ein bisschen beschämt, da ich wirklich kurz darüber nachgedacht habe, Liam zu verraten.
In den nächsten Tagen bin ich noch immer ziemlich geknickt, Rita und Linn versuchen mir natürlich Kraft zu geben, aber die Trennung von Liam und seine blöde Affäre setzen mir mehr zu, als ich dachte. „Amy, Liebes, du musst nachts schlafen oder zumindest einmal besser arbeiten.", flüstert Linn besorgt. „Denkst du ernsthaft, dass ich nachts wegen diesem blöden Idioten wach liegen und meine Gedanken verschwenden möchte?", entgegne ich leise. „So ist das eben nach einer Trennung. Aber es wird auch wieder besser, das verspreche ich dir.", erwidert sie und klopft mir aufmunternd auf die Schulter. Linn möchte gar nichts davon hören, dass ich nicht an Liam denke, sie weiß es einfach. Als Rita uns dann warnend anschaut, arbeiten wir natürlich sofort weiter, aber nach der Arbeit breche ich verzweifelt zusammen. Rita und Linn wollen mich trösten, aber ich schicke sie weg. Ein paar Minuten später bekomme ich Besuch, den ich nicht so einfach wegschicken kann. „Amelia, mir ist aufgefallen, dass Sie in letzter Zeit sehr müde sind. Beschäftigt Sie etwas? Hat es mit dem Tod Ihrer Mutter zu tun? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?", fragt Miss Ducat. „Nein, es ist alles in Ordnung. Ich komme schon zurecht.", antworte ich. Sie ist wirklich sehr nett. Ich glaube nicht, dass es einem der anderen Beamten aufgefallen wäre. „Naja, ich glaube nicht, dass bei ihnen alles in Ordnung ist. Sie können ruhig mit mir reden, ich werde es wirklich niemandem erzählen.", erklärt sie. Zögernd schaue ich ihr in die Augen, sie lächelt mich freundlich an. „Miss Ducat, es ist echt nett, dass Sie sich so um mich sorgen. Das ist aber gar nicht nötig.", entgegne ich. Die Beamtin schaut mich zweifelnd an. „Es ist aber wirklich alles in Ordnung.", ergänze ich. „Wenn Sie sich da so sicher sind.", erwidert sie noch immer zweifelnd und verlässt meine Zelle.
Ich bin so unendlich glücklich, dass mich mein Bruder Jason und meine Schwestern Janis und Jamie an diesem Wochenende besuchen. Es fühlt sich so an, als hätte ich sie jahrelang nicht gesehen, dabei waren es nur ungefähr zwei Wochen. Durch den Besuch meiner Geschwister muss ich zumindest für eine Stunde nicht an Liam und seine blöde Affäre denken. „Sei doch froh, dass du diesen scheiß Idioten endlich losgeworden bist. Jetzt kannst du dich zuerst einmal wieder auf dich konzentrieren und wer weiß, vielleicht verliebst du dich bald auch schon wieder.", versucht mein Bruder mich zu trösten und lenkt das Gespräch gleich wieder auf das leidige Thema, an das ich eigentlich gar nicht mehr denken wollte. „Aber eins verstehe ich nicht. Amy, sei mir jetzt bitte nicht böse. Bist du bisexuell oder ordnest du dich keinem Label zu?", fragt Janis, die sich vor einiger Zeit als pansexuell geoutet hat. „Auf keinen Fall, ich stehe nur auf Frauen. Liam war wohl nur eine Ausnahme und gleichzeitig der größte Fehler meines Lebens.", antworte ich. „Amypooh, verschwende deine Gefühle nicht und erst recht keine Tränen an diesen dummen Typen. Das ist er definitiv nicht wert.", bestärkt mich Jamie. Ich liebe meine Geschwister so sehr und ich bin total dankbar, dass ich es ihnen endlich wieder sagen kann. „Wie läuft es eigentlich auf der Farm?", frage ich, obwohl ich mir die Antwort schon denken kann. „Mama hat uns komplett aus dem Testament gestrichen, Linda hat alles geerbt.", antwortet Jamie. „Wir dürfen die Farm auch nicht mehr betreten. Das hat aber nicht Mama bestimmt, sondern unsere grenzdebile Schwester. Linda ist genau so, wie Mama früher war, streng katholisch und meiner Meinung nach total verblendet und abgrundtief böse.", ergänzt Jason. „Ich musste meine Pflanzen ganz schnell abholen und vernichten, sie in meiner Wohnung zu bunkern, wäre zu gefährlich.", beschwert sich meine Schwester Janis. „Die Welt wäre vermutlich besser, wenn Linda auch mal etwas rauchen würde.", erwidert Jamie und wir lachen.
Ich hasse Liam so sehr. Er wollte mich nur verletzen, das ist mir schon klar. Als ich von dem Besuch meiner Geschwister zurück komme, steht er an der Wand und grinst mich fies an. Genervt verdrehe ich die Augen, aber ich würde ihn keines Blickes, da er mir eigentlich total egal ist. Zumindest sollte er da sein. „Du bist gar nicht so gleichgültig, wie du es gerne wärst, oder?", fragt mein blöder Exfreund und grinst mich noch fieser an. „Vielleicht solltest du einfach mal deine Klappe halten und dich nicht wieder mal maßlos selbst überschätzen. Denn so wichtig bist du nicht.", entgegne ich möglichst kalt. Liam soll nicht merken, dass mir die ganze Sache noch ziemlich weh tut. „Lass mich überlegen, Amy. Vielleicht solltest du einfach mal leise sein und über deinen scheiß Charakter nachdenken.", entgegnet er mit verschränkten Armen. „Mein scheiß Charakter? Willst du mich eigentlich komplett verarschen?", frage ich wütend. Liam hat das erreicht, was er wollte. Ich bin wirklich kurz vorm ausrasten. Zum Glück taucht Linn rechtzeitig auf. „Das lässt du lieber sein. Ich weiß genau, was du vorhattest und das ist keine gute Idee.", flüstert sie und bringt mich in meine Zelle. Dort muss ich mich abreagieren und sie macht mir einen Kakao. „Er will doch nur, dass du auf ihn losgehst. Dann hätte er etwas gegen dich in der Hand.", versucht sie mich zu beruhigen. Ich muss ihr versprechen, ruhig zu sein, was ich dann auch äußerst widerwillig tue.
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True colors | LGBTQ
Fiksi Remaja»Erfahrung ist der Name, den wir unseren Fehlern geben.« Ich war nie so wie die anderen und ich wollte auch nie normal sein. Vielleicht waren Liam und ich deshalb füreinander geschaffen.