𝖈𝖍𝖆𝖕𝖙𝖊𝖗 𝖙𝖍𝖗𝖊𝖊

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Der Gang wirkte trostlos, als würde er eine dunkle Geschichte erzählen. Sechs Zellen gab es in der Wache, um genau zu sein, doch das Abteil, in dem sie sich befanden, war alles andere als einladend. Das Licht war fahl, es war mucksmäuschenstill. Naja, wenn man bedachte, dass Harvey im Moment der Einzige in den Zellen war, war es verständlich. Und lange würde er dort auch nicht mehr bleiben. Es war nur ein Übergang, bis er in ein Hochsicherheitsgefängnis überführt wurde.

Als Allison den Gang entlang schritt, kam ihr jeder Schritt viel lauter vor als sonst. Selbst das kleinste Geräusch, wie das Reiben ihres Waffengürtels an ihrer Uniform, hallte an den Wänden wider, machte die junge Frau nervös. Doch sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, als sie nach einer gefühlten Ewigkeit vor der Zelle Harveys ankam. „Guten Morgen, Zeit zum Aufstehen!"

„Es ist schon fast Mittag, so lange schlafe ich nun auch nicht!", kam es sofort zurück und Grayson, der sich bis vor ein paar Sekunden noch zur kahlen Betonwand gedreht hatte, richtete seine Aufmerksamkeit nun vollkommen auf die junge Polizistin.

„Dr. Clinton möchte mit Ihnen reden!", meinte Allison, ignorierte die Aussage des Mörders und deutete ihm, zu ihr zu kommen, damit sie ihm die Handschellen anlegen konnte.

Grayson stand auf, streckte sich einmal ordentlich durch und schritt dann langsam auf die Gittertür zu. Er hielt seine Hände durch das Loch zwischen den Gitterstäben, das für genau diese Verwendung eingebracht wurde und ließ den jungen Constable so ohne Widerstand ihre Arbeit erledigen. Ihr Blick fiel auf die vielen Tattoos, die die Arme des Insassen bedeckten. Es wäre interessant, die Bedeutungen dieser zu erfahren. Die Geschichten, die sich hinter dieser Kunst oft befanden, waren auch wirklich interessant.

Der Insasse zog seine Hände wieder zurück, bevor Allison die Zelle aufsperrte und Grayson auf den Gang gehen ließ. Er wartete, bis Allison die Zelle wieder zugesperrt hatte und ließ sich dann von ihr aus dem Trakt führen.

Normalerweise war der Weg bis zu den Verhörzellen nicht lange, doch sobald Grayson von einigen Schaulustigen entdeckt wurde, war die Hölle los und Allison brauchte Hilfe von ein paar Kollegen, um sich fortzubewegen. Es war etwas makaber. Eine Polizistin brauchte polizeiliche Unterstützung, um von A nach B zu gelangen.

„Ich scheine wohl sehr begehrt zu sein!", stellte Grayson fest, ein selbstsicheres Grinsen auf den Lippen. „Bilden Sie sich darauf ja nichts ein. Einen guten Ruf haben Sie auf keinen Fall!"

Damit öffnete Allison die Tür zu dem Verhörraum, in den sie Grayson bringen sollte und führte den Mann um den hölzernen Tisch herum, um ihn zu seinem Sitzplatz zu führen, bevor sie ein paar Schritte von dem Mann wegtrat und auf die Kriminalpsychologin wartete.

In dem Raum breitete sich Stille aus, die sogar das leise Surren des Stroms, der durch die Lampe floss, laut erscheinen ließ. Allison fühlte sich etwas unwohl, wollte der Situation am liebsten so schnell wie möglich entfliehen, doch da dies keine Option war, blieb sie einfach regungslos stehen, hatte ihren emotionslosen Blick aufgesetzt, der schwer zu durchschauen war. Sie mochte zwar gut in ihrem Job sein, aber das hieß nicht, dass sie keinen gebürtigen Respekt vor einem Mörder haben durfte.

Allisons Blick fiel auf den Insassen, der seinen Kopf schüttelte, bevor er, so gut es ging, mit seinen Händen durch seine Haare fuhr. Die Handschellen machten ein leises Geräusch während der Bewegung. Grayson setzte sich wieder gerade hin, ließ seinen Nacken knacksen, was den Constable die Miene verziehen ließ. Sie hasste dieses Geräusch.

Plötzlich öffnete sich die Tür und die Blicke der beiden schnellten zu der Person, die eingetreten war. „Guten Morgen, Mister Harvey! Sie sehen heute etwas munterer aus als gestern!"

„Der Schein trügt, ich habe keine Minute länger geschlafen. Wissen Sie, wie hart diese Matratzen sind? Fast schon härter als Stein!" „Finden Sie, Ihr Verhalten war so vorbildlich, dass Sie eine Luxussuite verdienen?"

„Warum nicht?"

Die etwas ältere Frau ließ sich kommentarlos auf den freien Stuhl gegenüber dem Mörder fallen, setzte ihre Brille auf und kramte in der etwas abgewetzten Ledertasche nach ihren Unterlagen. Diese ließ sie auf den Tisch fallen, was Allison leicht erschreckte.

„Wo sind wir denn stehen geblieben ...", murmelte Dr. Clinton mehr zu sich selbst, blätterte ihr Notizheft durch und las dem kurzen Text, um Anhaltspunkte zu finden, bevor sie wieder aufsah. „Genau. Das Letzte, was Sie mir gestern verraten haben, war, dass die Morde geplant waren."

Die Frau räusperte sich, fuhr fort. „Wenn Sie uns nur den Grund sagen würden, hätte sich das Ganze hier erledigt und Sie würden mich nie wieder sehen müssen!"

Grayson antwortete darauf gar nichts, er sah die Frau nur an, seine Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen. „Dann hätte ich aber auch nicht mehr die Möglichkeit, die junge Dame zu sehen, deren Name ich noch immer nicht kenne!"

Dr. Clintons Blick fiel sofort auf Allison, was Grayson ihr gleichtat, worauf die junge Polizistin ihre Augenbrauen nach oben zog. „Aber da ich mich nicht als Fallrelevant ansehe, ist mein Name unwichtig!"

Harvey zog einen kleinen Schmollmund, bevor er sich wieder der Kriminologin zuwandte. Diese hob nur die Augenbrauen, bevor sie fortfuhr: „Gab es sexuelle Hintergründe für die Taten?"

„Um Gottes Willen, nein! Ich mag zwar ein Mörder sein, aber ein verdammter Frauenschänder bin ich auch nicht! Denken Sie ernsthaft, jeder Mord hätte sexuelle Hintergründe?"

„Kommen Sie runter, Mister Harvey, dies war eine reine Routinefrage. Ihnen wird in dieser Kategorie nichts zur Last gelegt."

Grayson ließ sich mit einem empörten Schnauben zurück in den Sessel fallen; seine Blicke könnten Menschen töten. Allison ertappte sich dabei, wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen schlich, doch dieses verschwand sofort wieder, als sie etwas darüber nachdachte. Warum sollte sie sich darüber freuen, dass ein Mann Vergewaltigungen nicht guthieß? Sollte das nicht etwas Normales sein? Der Frau wurde erst jetzt so richtig bewusst, wie krank und pervers die Welt eigentlich war. Sich über so etwas freuen zu können, war wirklich traurig.

„Nun gut ...", begann Dr. Clinton nach einer kurzen Pause wieder „... ich schlage vor, wir betrachten für einen kurzen Moment Ihre Vergangenheit. Erzählen Sie mir ein wenig davon."

Grayson sah in die Luft, schien zu überlegen, während er sich etwas zu beruhigen versuchte, bevor er begann: „In meiner Jugend gab es nichts Spannendes. Ich war ein normales Kind, nicht auffällig. Zwar gab es manchmal Ärger, aber als Kind ist es normal, Blödsinn zu veranstalten!"

Die Frau nickte nur, schrieb sich die Informationen auf. „Haben Sie jemals irgendwelche Delikte begangen? Drogen? Diebstahl? Schlägereien?"

Der Mörder schüttelte den Kopf, hielt jedoch kurz inne. „Als ein Schulkollege meine Freundin für sich gewonnen hat, gab es ein paar Schläge, aber sonst ... sonst war ich ganz artig."

Dr. Clinton schürzte die Lippen, bevor sie fortfuhr: „Und wie sah es in Ihrer Familie aus? Gab es dort Probleme?"

Allison konnte sofort erkennen, wie sich Harvey anspannte. Sein Blick wurde finster, er sagte gar nichts. Nur die etwas schnellere Atmung war in dem kleinen Raum zu hören.

„Nun gut, das war bei weitem mehr, als Sie mir gestern erzählt haben. Wir machen für heute Schluss, aber machen Sie sich keine Hoffnungen. Irgendwie bekommen wir Sie zum Reden!"

Die unterschwellige Drohung prallte an Grayson ab, welcher der Frau finster dabei zusah, wie sie ihre Sachen packte. Allison trat nach vorne, sie ließ ihre Hand sanft auf der Schulter des Mörders landen, um ihm so zu zeigen, dass sie nun hinter ihm stand. Er schien sich etwas zu entspannen, was Allison verwirrte, doch sie sprach es nicht an.

Die Kriminologin verabschiedete sich, bevor sie aus dem Raum verschwand. Allison deutete dem Mann, aufzustehen, bevor sie ihn ebenfalls aus dem Raum führte. Wie sehr sie nur wissen wollte, was in dem Kopf dieses Mörders passierte.

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Was ist deine Meinung von Dr. Clinton?

Vorschläge, Anregungen und konstruktive Kritik - ab damit in die Kommentare. (:

Alles Liebe,
Laura x
[1279 Wörter]

The Whiterose Murderer | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt