2 ~ Reise nach Effero

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Ein leises Wimmern entwich ihren Lippen und holte sie in die wache Welt zurück. Getrocknete Tränen ließen ihr Gesicht unangenehm spannen und Cassandra rieb mit zitternden Fingern über ihre Wangen.

'Zwei Wochen', dachte sie und schloss müde die Augen. Sie hatte geschlafen und doch fühlte sie sich wie gerädert.

Blicklos starrte sie an die Decke, lauschte auf die Geräusche des neuen Tages. Sie konnte nicht länger jede Nacht in diesem Bett verbringen, mit Hoffnung einschlafen und mit einem Scherbenhaufen in Händen wieder aufwachen. Sie hätte sich für diese grässliche Schwäche hassen können, wenn sie nicht solche Angst verspürt hätte.

Als sie vor einigen Wochen aufgewacht war, nach diesem verwirrenden Traum mit dem schwarzen Kater, hatte sie gedacht er würde nur bluffen. Ein kranker Scherz, ein Streich, den ihr ihr Unterbewusstsein gespielt hatte und der rein gar nichts mit der Realität zutun hatte. Cassandra wusste selbst am besten, dass ihre Träume keinen Regeln folgten, nicht einmal ihrem eigenen Willen.

Aber dann war er wirklich nicht mehr gekommen, hatte sich nicht mit ihr getroffen. Jede Nacht war ihre Verzweiflung gewachsen, ihre Sorge um diesen Menschen, den sie noch nie getroffen hatte. Es war verrückt und vollkommen surreal und dennoch fühlte sie sich mit diesem Mann verbunden.

„Und jetzt ist er fort", wisperte sie und schloss die Augen. Tränen brannten hinter den Lidern, doch Cassandra würde nicht weinen. Sie war nicht der Typ Frau, der sich heulend hinter dem Ofen verkroch. Sie war alles andere als hilflos und wenn der schwarze Kater sie nicht um Hilfe bat, dann würde sie ihn suchen.

Entschlossenheit machte sich in ihr breit und vertrieb den verhassten Kummer. Selbst Marie hatte ihr gesagt, dass sie es wenigstens versuchen musste.

Deutlich sah sie das lächelnde Gesicht ihrer älteren Schwester vor sich, als sie gesagt hatte: „Du bist alles andere als hilflos. Cassie, wenn du wirklich das Gefühl hast diesem Menschen helfen zu müssen, dann tu es."

Schwungvoll schlug Cassandra die Bettdecke zurück und stand auf. Sie würde nicht länger tatenlos herumsitzen. Während sie sich ankleidete und ihr Haar kämmte, nahm ihm Plan immer weiter Gestalt an.

'Tu nicht so selbstlos', sagte ihr Gewissen und kräuselte die Nase. 'Du bist eine kleine Egoistin, so wie alle anderen Menschen auch.'

Heftiger als nötig schloss Cassandra die Türen ihres Kleiderschranks. „Sei still", zischte sie ungehalten in das leere Zimmer. Hätten die Leute in der Stadt das gesehen und gehört, sie hätten wieder angefangen hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln.

„Seht nur, da ist das verrückte Halbblut." Hätte Cassandra für jedes Mal, wenn sie diesen Satz gehört hatte, eine Münze bekommen, wäre sie schon längst von dem riesigen Berg Silber begraben worden.

Dennoch gestand sie sich ein, dass ihr Gewissen vielleicht Recht hatte. Vor Jahren hatte sie den Kater zum ersten Mal gesehen und war seither nachts nie wieder außer Kontrolle geraten. Diesen Frieden vermisste sie schmerzlich, aber ihr nächtlicher Gesprächspartner fehlte ihr im selben Maße.

Zum ersten Mal seit Wochen verspürte sie Tatendrang und öffnete schwungvoll die Tür ihres Zimmers. Sie würde ihren Eltern schon erklären, warum sie ausgerechnet jetzt ihren Großonkel besuchen musste. Ein sanftes Klopfen an ihrem Geist ließ sie innehalten, als sie die Treppe erreicht hatte.

„Wir sind im Garten, Cassie", sagte die Stimme ihrer Mutter. Warm und vertraut fühlte sich diese telepathische Botschaft an. Cassandra atmete tief durch und setzte ihren Weg fort. Ihrem Vater würde ihre Entscheidung nicht gefallen, doch er drängte sie schon seit Monaten dazu, mehr aus ihrem Leben zu machen.

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