Hinter sich hörte Cassandra leises Aufkeuchen und hätte sich gern umgedreht, gern in Joakims Gesicht geblickt und ihm gesagt, dass alles gut werden würde, doch das andere Ich ließ sie nicht. Kühl und präzise verfolgte es weiter seinen Plan, seine Aufgabe.
„Ergeben Sie sich", forderte es. Statt einer Antwort spuckte Natalia ihr ins Gesicht, doch der Speichel änderte kurz vor Cassandras Wange die Flugbahn und fiel zu Boden.
Erkenntnis und eine Spur Angst sickerten in die Augen der Ratsfrau. Langsam ließ die andere in Cassandras Körper ihre Magie, all die gesammelte Macht, aus sich heraus fließen. Gleichzeitig setzte sie die Schwerkraft außer Gefecht. Um sie herum stiegen Steine und Stöcke in die Luft, trieben umher wie schwerelose Spielzeuge. Es war berauschend und einschüchternd zugleich, dass Cassandra solche Energien scheinbar spielerisch lenken konnte.
„Ich gebe Ihnen noch eine Chance: Sehen Sie von Ihrer Flucht ab, nehmen Sie Ihre Drohung gegen meine Familie zurück oder ich sorge dafür, dass Sie nie wieder jemandem drohen können." Mittlerweile hatten sich die anderen Ratsmitglieder um sie aufgestellt, scheinbar bereit sie zu attackieren. Joakim wurde von dem Narbengesicht weiter festgehalten. Cassandra spürte jedoch seinen Blick wie Berührungen auf dem Rücken.
Die Sekunden verstrichen, dehnten sich zu Minuten aus, doch Cassandras anderes Bewusstsein wartete geduldig. Ganz im Gegensatz zu ihrer Aufregung und ihrer verzehrenden Sorge, schien dieses Ich keinerlei Emotionen zu empfinden. Es gab kein anderes Ziel, keine Ablenkung.
„Ich denke nicht einmal daran", spie Natalia hervor und verengte herausfordern die Augen.
Cassandra schloss die Augen und schwieg, doch in ihrem Kopf begann die wahre Cassandra zu schreien. Sie wusste genau, was die andere vorhatte. Ihre Gedanken waren eins und doch schauderte Cassandra vor der Grausamkeit ihrer ungleichen Zwillingsschwester.
„Nein, tu das nicht. Bitte!" Sollte die andere die gesamte Energie so einsetzten, wie sie fürchtete, wären sie alle verloren.
„Du weißt selbst, dass es keinen anderen Weg gibt", antwortete sie kühl. Ein letztes Mal zog sie alle Macht in sich, die ihre Umgebung bereit hielt, ehe sie sie in Form einer riesigen Flutwelle aus ihrem Körper schleuderte. Hitze breitete sich aus, schneller als ein Wimpernschlag. Die Flammen kamen erst danach, gaben der unsichtbaren Energie Gestalt und fegten wie ein Wirbelsturm über den gesamten Hügel.
Cassandra fühlte voller Entsetzen, welchen Weg ihre grausame Magie nahm. Unaufhaltsam fraß sie sich durch alles und jeden, ließ nicht einmal den kleinsten Grashalm unverschont.
„Hör auf, bitte!", flehte sie, hilflos in die letzte Ecke ihres Geistes gedrängt. Doch die andere reagierte nicht, ließ stattdessen diesen gewaltigen Feuersturm weiter lodern.
Schreie gellten in ihren Ohren und sie fühlte auf groteske Art, wie die Flammen an den Körpern der Menschen um sie herum leckten. Gierig fraßen sie sich durch Haut, Muskeln, Eingeweide bis hinunter auf die Knochen. Selbst der panischen Gedanken wurde sie gewahr, die in den letzten Sekunden durch die Gehirne rasten, ehe auch dieses Gewebe vom Feuer vernichtet wurde.
„Stopp, sofort! Du bringst Joakim auch um!" Cassandra hätte geschrien oder geweint, wenn sie ihren Körper dazu befehligen hätte können. Voller Schmerz und Gram spürte sie, wie das Band zwischen ihr und ihrem geliebten Kater von der gewaltigen Welle aus Magie ebenso davon gespült wurde wie alles Lebende in ihrer Umgebung.
Dann war alles so plötzlich vorbei, dass es Cassandra schwindlig wurde. Von einem Herzschlag auf den anderen erstarben die Flammen, löste sich die Magie in Luft auf und zog sich das andere Ich in ihr Innerstes zurück. Keuchend fiel Cassandra auf den Boden und konnte sich einige Augenblicke lang nicht rühren.
DU LIEST GERADE
Dream With Me
FantasyKönnen Träume wahr werden? Cassandra ist eine besondere junge Frau: Als Tochter eines Menschen und einer Emendi kann sie Magie wirken. Doch diese ist launisch und Cassie hat oft Probleme, ihre Kräfte zu kontrollieren. Der junge Telekinet Joakim mach...