30 ~ Schatten der Vergangenheit

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Für Ari war es schwer, nichts ausrichten zu können. Den halben Abend hatte sie am Bett ihrer Tochter gewacht, doch diese hatte ihre Augen nicht aufschlagen wollen. Zusammen mit allen Mitgliedern ihrer Familie und ihrer Freunde hatte Ari es geschafft, die Rauchvergiftung aus dem zierlichen Körper zu ziehen – doch Cassandra schlief noch immer.

Unruhig rang sie mit den Händen und ging zum Kamin, um das Feuer zu schüren. Sie wusste selbst, dass es nicht nötig war, doch diese ständige Warterei trieb sie in den Wahnsinn. Zudem spürte sie deutlich die Anspannung, die jeder einzelne im Haus in sich trug.

'Besonders ein junger Mann scheint mir eben so aufgelöst zu sein, wie ich es bin.'

Der Gedanke und vor allem die Person, die sie vor Cassandras Zimmertür fühlte, ließ sie schief lächeln. Ari mochte bereits älter sein, doch sie wusste genau, wie Gregori sich damals verhalten hatte, als er sich Sorgen um sie gemacht hatte. Wie bei ihm vor über zwanzig Jahren fühlte sie bei Joakim Arragan dieselbe Hilflosigkeit.

Es war nur ein kurzer Gedanke nötig, um die Tür aufzustoßen und dem junge Mann einen kurzen Schubs zu geben, damit er nicht länger auf dem kalten Flur herumstand. Mit schreckgeweiteten Augen stand der Perveo vor ihr und ihr Lächeln wurde breiter, fast herzlich. Sie mochte ihn und wusste immer mehr, warum das so war. Instinktiv spürte sie, dass ihre jüngste Tochter ihr Gegenstück in diesem Menschen gefunden hatte.

„Sie müssen nicht draußen stehen, wenn ich doch genau weiß, dass Sie viel lieber hier bei Cassie wären."

„Nun..." Verlegen rieb er sich über den Nacken, doch die Gramesfalten in seinem Gesicht sagten mehr als alle Worte der Welt.

'Er muss fast verrückt vor Angst sein', dachte Ari und wurde wehmütig. Etwas stimmte mit ihrer Familie nicht, dass sie schon wieder in einer solchen Lage waren.

Ohne Umschweife ging Ari auf Joakim Arragan zu und nahm ihn in die Arme. „Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt, dass Sie meine Tochter gerettet haben."

Deutlich fühlte sie unter ihren Fingerspitzen, dass seine Rückenmuskulatur schmerzhaft verkrampft war. Ari wusste, dass die meisten Menschen in ihr eher einen Mythos als eine normale Frau sahen. Manchmal war das hilfreich, manchmal überhaupt nicht.

„Gern geschehen", murmelte der junge Mann schließlich und drückte sie kurz an sich. Aris Magie in ihrem Inneren regte sich kurz, zeigte ihr das Bild eines einsamen Jugendlichen mit eigenartigen grünbraunen Augen, dessen Eltern aus dem Haus gingen, ohne sich von ihm zu verabschieden. Eisige Kälte ging von dieser kurzen Vision aus, die sie frösteln ließ.

Lächelnd ließ sie von ihm ab und erlaubte es sich, sein Hemd glatt zu streichen. Wie Gregori auch war Joakim um vieles größer als sie und Ari hätte vielleicht darüber gelacht, dass in der Menschenwelt scheinbar nur große Männer lebten, wenn die Sorge um ihre Tochter nicht so schwer auf ihr lasten würde.

Mit einem Kopfnicken bedeutete sie Joakim, dass er ihr zu dem Bett ihres Kindes folgen sollte. „Erzählen Sie mir, was passiert ist", bat sie, während sie sich an die Bettkante setzte. Als sie den Perveo zögern sah, fügte sie lächelnd hinzu: „Ich bin keine Närrin und weiß sehr wohl, dass ihr euch näher steht als man es auf den ersten Blick sieht. Setzen Sie sich ruhig zu mir."

Auffordern klopfte Ari auf den Platz neben sich und als Mr Arragan sich so behutsam setzte, als würde er neben einer filigranen Glasstatue Platz nehmen, sagte das viel mehr über seine Gefühle für Cassandra aus, als Ari jemals aus seinen Gedanken heraushören könnte.

'Cassandra muss aufwachen und mir versprechen, ihn nicht gehen zu lassen.'

Wehmütig und mit deutlichen Schuldgefühlen im Blick sah Joakim zu ihrer Tochter, ehe er in knappen Worten von den Geschehnissen des Tages berichtete. Als er geendet hatte, runzelte Ari irritiert die Stirn.

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