28 ~ Alte Meister

36 6 2
                                    

„Raphael. Raphael wach auf."

Mit kalten Händen zog Cassandra ihren Mantel enger um sich, während sie auf die Straße hinausging. Feiner Nieselregen machte die Luft unangenehm feucht und ließ die Kälte noch schneller durch Kleidung und Körper dringen. Irgendwo hinter der dichten Wolkendecke musste gerade die Sonne aufgehen, doch auf der Erde war noch alles tiefe Nacht.

Träge regte sich der Geist ihres Freundes, schälte sich aus den vielen Schichten des Schlafs und war doch nicht ganz wach, als er antwortete: „Cassie, was ist?"

„Warren und du, macht euch keine Sorgen, dass ich nicht da bin. Ich muss etwas Dringendes erledigen." Ein missmutiges Brummen wehte durch ihr Bewusstsein und ließ sie schief lächeln.

„Stell nichts an", murmelte Raphael, ehe er die Verbindung trennte.

Einige Herzschläge stand Cassandra regungslos vor dem Haus des ehemaligen Zunftmeisters. Adrenalin ragte durch ihre Adern und die Magie in ihrem Inneren summte und vibrierte wie ein hektischer Schwarm Insekten.

„Es hilft alles nichts", sagte sie sich leise. Sie atmete tief durch, zog die Kappe ihres Mantels über den Kopf und ging hinaus in den Regen.

Ihr Weg war nicht lang und dennoch erschien er ihr endlos. Sie hatte kaum ein Auge zugetan, denn ihre Nervosität und Ungeduld hatten sie kaum schlafen lassen. Zudem hatte Cassandra Angst gehabt im Traum auf Joakim zu treffen, der ihren Entschluss eventuell hätte ins Wanken bringen können.

'Vielleicht hätte ich aber auch so dumme Sachen gesagt, wie ich liebe dich.'

Der Gedanke wärmte sie und ließ sie gleichzeitig doch zittern. Nach den zwei Wochen war sie jeden Tag mehr in Versuchung gekommen, diese bedeutenden drei Worte auszusprechen. Doch bisher hatte ihr der Mut gefehlt und Angst, dass sie zurückgewiesen werden könnte, hatte ihr Herz verschlossen.

Cassandra schnaubte ungehalten und wisperte vor sich hin: „Sei nicht albern, du musst dich konzentrieren."

Sie konnte sich nicht mit diesen Dingen ablenken, seien sie auch noch so wichtig. Sie bog bereits in die Straße ein, in der ihr Ziel lag und sie musste all ihre Sinne beisammen haben. In der schlaflosen Nacht zuvor hatte sie sich Strategien und Möglichkeiten zu Recht gelegt, um Mr Perduerk das Handwerk zu legen.

Noch immer herrschte Zwielicht in den Straßen, als Cassandra vor dem unscheinbaren Haus stehen blieb. Es stand eher am Rand von Effero und verriet deutlich, dass seine Bewohner nicht in Geld schwammen. Die Fassade war spröde und die Farbe an den Fenstern blätterte bereits ab.

'Da kommt das Geld, welches er mit Joakims Erfindung machen könnte, gerade recht.' Ungehalten verzog sie bei dem Gedanken das Gesicht. Habgier war etwas, das sie noch nie hatte leiden können.

Innerlich gab sie sich einen Ruck und lockerte die Ketten, mit der sie ihre Magie unter Kontrolle hatte. Fest entschlossen, ihr Ziel zu erreichen, betrat Cassandra den winzigen Hinterhof und streckte ihre Sinne aus. Sie wusste genau, wie dieser skrupellose Mann sich anfühlte und dass er sich in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielt. Was ihr jedoch entging, war die dunkle Gestalt, die sich in eine Ecke des Innenhofs drückte und mit einem Schleier aus Magie vor ihren Sinnen versteckte.

Stunden später dachte sie, dass es ein seltsames Gefühl war, zu sterben.

~

Die imposante Standuhr schlug zwölf Mal und jeder einzelne Ton fraß sich regelrecht in Joakims aufgewühlte Gedanken. Er war unruhig und fürchtete, bei jedem unerwarteten Geräusch wie Glas in tausend Teile zu zerspringen, so sehr stand er unter Spannung. Doch das schlimmste war, dass er nicht wusste warum.

Dream With MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt