23 ~ Der Brief

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„Ungeduld ist ein Charakterzug, den kein Zunftmeister an den Tag legen sollte."

Jendrik Arragans Worte, mit verächtlicher Stimme gesprochen, surrten wie ein Bienenschwarm durch Joakims Kopf. Doch auch dieser Tadel half nicht, seine unruhigen Gedanken zu unterbinden. Er war nur froh, dass sein Großvater im Haupthaus Gäste empfangen hatte, denen Joakim nur kurz seine Aufwartung hatte machen müssen.

Jetzt saß er in seiner Werkstatt, starrte auf seine Aufzeichnungen und die halbfertigen Konstruktionen und fragte sich, ob sie überhaupt noch kommen würde. Wahrscheinlich hatte sie seine Nachricht ungeöffnet ins Feuer geworfen. Weil er es nicht mehr auf seinem Stuhl aushielt, setzte er zu einer weiteren sinnlosen Wanderung durch den hohen Raum an.

Hässliche Gedanken marterten sein Bewusstsein. Was wäre, wenn seine Faeli nun für immer für ihn verloren war? Druck baute sich daraufhin in seiner Brust auf und er musste sich eine Hand übers Herz legen, aus Angst es könnte aufhören zu schlagen. Aber was sollte er dagegen tun? Er konnte sie nicht zwingen, ihr Vertrauen in ihn zurückzuerlangen.

Aufgewühlt fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar. 'Weiß ich überhaupt, dass sie dasselbe wie ich empfunden hat?' Dieser Gedanke ließ ihn sich wie einen Narren fühlen. Selbstsicher hatte er angenommen, dass die Katze in seinen Träumen sich ebenso zu ihm hingezogen fühlte wie er zu ihr. Dass sie sich nach ihm sehnte und wünschte, ihr Leben mit ihm zu verbringen.

Er wollte gerade einige wüste Beschimpfungen ausstoßen, als es laut an der Scheunentür pochte. Wie erstarrt blieb er mitten im Schritt stehen und funkelte das dunkle Holz an.

„Ja?", rief er schließlich, von Anspannung zum Zerreißen gespannt. Wie in Zeitlupe öffnete sich ein Torflügel und eine blonde Frau mit gerecktem Kinn trat ein.

„Die Emendi hat gesagt, du wärst hier", informierte Cassandra ihn kühl. Dennoch konnte er deutlich die Abscheu heraushören, die sie für Magda empfand.

'Sie macht es einem aber auch leicht, sie nicht zu mögen', dachte er und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ganz ohne sein Zutun ging er auf sie zu und blieb dich vor ihr stehen.

„Es freut mich, dass du gekommen bist."

Überraschung blitzze einen Augenblick in Cassandras dunkelblauen Augen auf, ehe sie den Blick abwandte und langsam nickte. „Ich habe doch gesagt, dass ich mein Wort halte." Wie unter einer kalten Dusche wusch dieser Satz Joakims Freude beiseite, die er eben noch empfunden hatte.

'Ich habe keine Chance...', dachte er und hätte am liebsten sarkastisch gelacht.

Innerlich seufzend trat er von ihr zurück und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen. Wenn er schon nicht erreichen konnte, dass Cassandra sich ihm wieder öffnete, konnte er wenigstens die Bedrohung durch den Erpresser vereiteln.

'Wirst du ihr auch erzählen, mit was dieser Mann dich erpresst?', fragte sein Gewissen, doch Joakim ignorierte die Frage.

Stattdessen trat er an seinen Schreibtisch und deutete auf den Kristall, den er ihr schon einmal gezeigt hatte. „Ich hatte daran gedacht, eine Art Falle einzubauen, damit die Magie nicht missbraucht wird. Leider ist mir noch nichts Konkretes eingefallen."

Mit zierlichen Händen griff die Halbemendi nach dem Stein und drehte ihn behutsam hin und her. Neben ihm wirkte sie wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe und ihre Konzentration erlaubte Joakim, sie verstohlen zu beobachten.

„Als meine Schwester und ich als Kinder zu Besuch bei meiner Großmutter in der Emendiwelt waren, hat sie eine Art Netz um uns gespannt."

„Ein Netz?", fragte er irritiert und sah sie genauer an. Cassandra nickte, streifte ihn jedoch nur mit einem flüchtigen Blick, als wäre es ihr unangenehm ihn anzusehen.

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