4 ~ Wiedersehen nach vier Jahren

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Raphael sah auf Cassandra hinunter und fragte sich nicht zum ersten Mal, was in ihrem Kopf vor sich ging. Er liebte sie wie eine Schwester und würde viel für sie tun, doch manchmal brachte sie ihn dennoch aus dem Konzept.

'Sie kann so stur sein', sagte er sich und unterdrückte ein Seufzen. Manchmal fragte er sich, ob er seine Freundin wirklich kannte oder es nur glaubte.

Langsam entfernten sie sich vom Fluss und schlenderten zurück in die Stadt. War Raphael auch ein unbedeutender Magiebegabter, konnte er doch Cassandras Existenz neben sich wie ein Leuchtfeuer in seinem Kopf wahrnehmen. Während andere Emendi einer Laterne glichen, flackerte Cassandras Licht immer wieder wie eine Kerzenflamme. In den letzten Tagen häufiger als seit Jahren zuvor.

„Glaubst du, Sir Arragan bringt seine Emendi mit?" Cassandras halb gemurmelte Frage holte ihn in die Gegenwart zurück.

Bei dem Gedanken an diese schreckliche Frau verzog er das Gesicht. „Ich denke schon." Er riskierte einen Blick in die dunklen Augen seiner Freundin und fragte wachsam: „Soll ich mir doch eine Ausrede für dich einfallen lassen?"

Ein Glucksen löste sich aus Cassandras Kehle und sie tätschelte seinen Arm.

„Das ist lieb von dir Raphael, aber es würde nichts nützen. Es wird mir wohl nichts übrig bleiben, als diesem Drachen gegenüber zu treten." Finsternis senkte sich über ihr helles Gesicht und verwandelte die sonst so fröhliche Frau zu einer Griesgrämin.

Es geschah nicht oft, doch in diesem Moment empfand Raphael echte, tiefe Wut. Eigentlich war er immer der Streitschlichter und Ruhepol seiner Familie, der eher wortlos davonzog als einen Streit vom Zaun zu brechen. Seine Eltern und seine Schwester Freya hatten das gesamte Temperament geerbt.

„Magda Perranti ist eine Landplage", verkündete er.

Überrascht sah Cassandra zu ihm auf, offensichtlich erstaunt über die härte seiner Stimme. „Raphael, solche Worte aus deinem Mund?"

Ungehalten verzog er das Gesicht und bog mit ihr um die nächste Straßenecke. „Ich sage nichts als die Wahrheit. Du musst mir zustimmen, Cassie, dass diese Frau grausam ist."

Es dauerte einige Augenblicke, ehe sie nickte. „Ja, da hast du recht."

Zur Bekräftigung nickte Raphael und sie setzten ihren Weg schweigend fort. Ms Perranti war eine der wenigen Emendi, die sich noch dauerhaft an einen magiebegabten Menschen gebunden hatten. Durch diese spezielle Verbindung war es dem Menschen möglich, jeder Zeit auf die Magie des Emendi zugreifen zu können.

Schon seit Jahren wurde diese Praxis fast ausschließlich von den Zunftmeistern angewandt. Außer Gregori und Ari kannte Raphael sonst niemanden mit einem solchen Band. Sein Vater war schon seit Jahrzehnten mit Nathan verbunden, der bereits zu einem Teil der Familie geworden war.

„Warum können nicht alle so sein wie er?"

„Hm?", fragte Cassandra neben ihm und sah ihn erstaunt an.

Verlegen lächelte er und erklärte: „Ich habe nur gerade an Nathan gedacht und mich gefragt, warum nicht alle Emendi mit den Halbemendi so natürlich umgehen können."

Trotz huschte über Cassandras Gesicht. Doch Raphael wusste, dass sie dahinter ihre Verletzlichkeit verbarg. Sie waren von Kindesbeinen her Freunde und Cassie konnte nicht erwarten, dass er sie nicht so gut kannte.

„Es ist mir ganz egal, was andere über mich denken." Mit diesen harschen Worten sah sie wieder gerade aus. Sie befanden sich bereits auf dem Heimweg, denn die Septembersonne begann das Pflaster unbarmherzig weiter aufzuheizen.

„Ich weiß", erwiderte Raphael und lächelte melancholisch zu ihr hinunter.

Manchmal fragte er sich, wie seine Freundin es schaffte so viele Gegensätze in sich zu vereinen, ohne dabei zu platzen. Sie war unglaublich mächtig, geschickt, furchtlos und klug. Aber schon im nächsten Moment wirkte sie auf ihn hilflos, eingeschüchtert und ihrem Schicksals regelrecht ausgeliefert.

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