25 ~ Nacht am Fluss

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Joakims Magen glich einem harten, schmerzhaften Klumpen.

'Oder es ist mein nutzloses Herz, das gerade abstirbt', dachte er und versuchte, nicht vor Frustration zu schreien. Für ein paar Augenblicke hatte er geglaubt, dass der Abend sein bestes Flussfest aller Zeiten werden könnte. Doch dann hatte seine Begleiterin erwähnt, dass die halbe Stadt sie aufmerksam beobachtete - als hätte er das je vergessen.

Während ihrer telepathischen Verbindung hatte er sich gewünscht, ein Conex zu sein oder zumindest die Tricks zu kennen, mit denen man tiefer in das Bewusstsein anderer hineinlauschen konnte. Er wusste, dass das eine unverzeihliche Missachtung der Diskretion war, doch er hatte so dringend wissen müssen, ob Cassandra die Blicke der anderen störte, dass er um ein Haar keine Luft mehr bekommen hatte.

Doch dann war etwas so Unerwartetes geschehen, dass er es wohl nicht mehr vergessen würde: Sie hatte ihn mit einem fast liebevollen Lächeln angesehen und erklärt, dass die Gerüchte sie nicht interessierten. Er musste sie wie ein Idiot angegrinst haben, denn seine Erleichterung war tatsächlich grenzenlos gewesen.

Und jetzt ging er neben ihr über den improvisierten Festplatz, ihre zierliche Hand in seiner. Gierig forderte die Sehnsucht in ihm, er solle sich noch mehr von ihr nehmen, endlich den Hunger nach ihrer Nähe stillen, der ihn in seiner Einsamkeit erfrieren ließ.

'Sie vertraut mir noch nicht', besänftigte er sein Herz, das bei diesem Eingeständnis blutete.

Nach wenigen Minuten hatten sie einen freien Platz gefunden. Überall am Flussrand waren mit Kissen gepolsterte Bänke aufgestellt worden, von denen aus man das Schauspiel beobachten konnte, das sich zweimal im Jahr abspielte. Jeweils zur Tag- und Nachtgleiche verwandelte sich der Diacre, der Verbindungsfluss zwischen den Welten, in ein schillerndes, lebhaftes Band.

Wie flüssiges Nordlicht zog er sich durch die Landschaft, doch wenn man genau hinsah, konnte man in den wirbelnden Farben die jeweils andere Welt hindurchschimmern sehen. Während dieser besonderen Nächte im Jahr, die schon seit jeher mit Magie in Verbindung gebracht worden waren, verschwamm die Grenze zwischen Menschen- und Emendiwelt. Manchmal geschah es sogar, dass etwas von der allgegenwärtigen Magie der Emendi zu den Menschen hinüberschwappte.

„Ich frage mich, ob auf der anderen Seite meine Großmutter ebenfalls am Diacre sitzt." Cassandras Augen waren auf den Fluss gerichtet, während sie sich neben ihn setzte und ihr Kleid glattstrich. Joakim bekam eine Gänsehaut, wenn er daran dachte, dass Cassandras Großmutter eine Emendi war. Auf ihn hatten die Bewohner der anderen Welt schon immer eine ganz besondere Faszination ausgewirkt.

Mittlerweile verglühten die letzten Sonnenstrahlen am Himmel und Joakim wusste, dass jeden Moment das Knistern in der Atmosphäre den Beginn der Nachtgleiche ankündigen würde. „Vielleicht... Siehst es denn dort genauso schön aus wie hier?"

Cassandras dunkle Augen funkelten wie Edelsteine, während sie ihn ansah und lächelnd nickte. „Ja. Manche sagen, es ist sogar noch schöner."

Joakim war froh, dass er wusste wie man den Mund hielt, denn sonst hätte er sicher einen dieser schmalzigen Sätze gesagt, in denen er ihr beteuerte, dass nichts auf der Welt schöner sein konnte als ihr Anblick.

'Ich Poet', dachte er sarkastisch, lächelte jedoch versonnen. Er wollte sie gerade fragen, wann sie das letzte Mal in der Welt ihrer Großmutter gewesen war, als sich ein abwesender Ausdruck über ihr Gesicht legte. Aus Erfahrung wusste Joakim, dass sie sich mit jemandem unterhielt, der sich in einiger Entfernung befand.

Leise Eifersucht kratze an seinem Bewusstsein. Wer sagte ihm, dass es kein Verehrer war? Joakim war nicht dumm, denn allein schon wegen Cassandras Bekanntheit gab es sicherlich viele Männer, die sich für sie interessierten.

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