„Was bin ich für ein Narr." Die Worte kamen als kaum verständliches Knurren über Joakims Lippen, während er durch die Gassen von Effero hastete. Dämonen aus seiner Vergangenheit drohten ihn innerlich in Stücke zu reißen, ihn letztendlich doch in den Wahnsinn zu treiben. Er registrierte kaum, dass die Menschen auf seinem Weg regelrecht vor ihm zurückwichen.
Schuldgefühle, Wut und Scham tobten in ihm.
'Ich hätte niemals zu ihr gehen sollen', schalt er sich und verfiel in Laufschritt. Joakim war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass die Begegnung mit Cassandra so verlaufen könnte. Er hatte mit ihr über den Kristall reden wollen, denn er war die ganze Nacht keinen Schritt weiter gekommen. Doch als er sie gesehen hatte, war sein kompletter Kopf wie leergefegt gewesen.
Joakim war sich sicher, dass er ihr nie wieder unter die Augen treten konnte, ohne an seinen jämmerlichen Kontrollverlust erinnert zu werden. Er hatte sich gehen lassen, geplagt von den Erinnerungen an seinen toten Bruder und an die Schuld, die seither tonnenschwer auf seinen Schultern lastete. Aufgewühlt fuhr er sich durch die Haare und hätte am liebsten laut geschrien – was würde er darum geben, ein ganz gewöhnlicher Mensch zu sein?
Die Erleichterung, als das Haus seines Großvaters in Sicht kam, ließ ihm schwindeln und er konnte es kaum erwarten, in die Abgeschiedenheit seines Zimmers zu gelangen. Er wollte niemanden mehr sehen und Zeit haben, seine alten und neuen Wunden zu lecken. Doch Joakim sollte nicht einmal bis zur ersten Treppenstufe kommen.
„Joakim", rief eine Frauenstimme und er blieb mitten im Schritt stehen. Einige Meter von ihm entfernt stand Magda. Die Arme vor der Brust verschränkt, sah sie ihn mit ihren grauen Augen kühl an. „Dein Großvater will dich sehen."
Ein Schauer lief ihm über den Rücken und er erwog einen Augenblick, der Order nicht folge zu leisten. 'Aber das kannst du nicht tun', sagte ihm sein Unterbewusstsein.
Also nickte er stumm und ging hinter der Emendi her. Joakim musste keine Sekunde lang nachdenken, warum Jendrik ihn sehen wollte. Bei dem Gedanken an das kommende Gespräch zog sich sein Magen zu einem harten Klumpen zusammen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der noch nicht ganz trocken hinter den Ohren war und eine ordentliche Standpauke erhalten würde, während er in das Arbeitszimmer seines Großvaters trat.
Jendrik Arragan saß hinter seinem dunklen Schreibtisch, als würde er wie ein König eine Audienz gewähren.
„Du wolltest mich sprechen?", fragte Joakim, um Fassung bemüht. Eigentlich sollte er sich schämen, dass er vor einem klapprigen Greis derart katzbuckelte. Aber niemand, der den Zunftmeister einmal kennen gelernt hatte, ließ sich mehr von seinem gebrechlichen Äußeren täuschen.
Jendrik stieß ein leises Seufzen aus, ehe er sagte: „Ich habe von dem Unfall gehört, der sich gestern am Fluss ereignet hat."
„Geht es Thomas gut?" Ein ungutes Gefühl, dass die Verletzungen des Perveo doch schlimmer als gedacht gewesen sein könnten, schnürte Joakim die Luft ab.
„Ja, er ist bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Aber das bringt mich gleich zum Thema: Du solltest ihn ebenfalls entlassen."
Überrascht riss Joakim die Augen auf. „Warum denn das?"
„Es ist ganz offensichtlich, dass er selbst Schuld war, von den Holzbalken begraben worden zu sein." Magda trat neben Jendrik und legte eine Hand auf die Stuhllehne des alten Mannes. „Er ist nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch für seine Kollegen."
„Und wegen diesem Missgeschick soll ich ihm die Arbeit nehmen?", fragte Joakim, zu perplex um wirklich verstehen zu können, was hier genau vor sich ging.
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Dream With Me
FantasyKönnen Träume wahr werden? Cassandra ist eine besondere junge Frau: Als Tochter eines Menschen und einer Emendi kann sie Magie wirken. Doch diese ist launisch und Cassie hat oft Probleme, ihre Kräfte zu kontrollieren. Der junge Telekinet Joakim mach...