33 ~ Die Drahtzieher

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Kälte erfasste Cassandra, während sie die beängstigend frische Spur des Narbengesichts aufnahm. Es mochte sich wie das Verhalten eines Bluthundes anhören, doch im Prinzip war die Suche nach seiner schwachen magischen Fährte nichts anderes. Mit Joakims Hand fest in ihrer und dem Gemurmel seiner Gedanken in ihrem Kopf, wandte sie sich in die Richtung, die der verräterische Emendi eingeschlagen hatte.

Angestrengt rief sie sich die Details ihrer Vision ins Gedächtnis zurück und versuchte, etwas in ihrer jetzigen Umgebung wieder zu erkennen. Aliquas befand sich keinen Steinwurf von ihnen entfernt und Cassandra spürte trotz der frühen Stunde, dass die Hauptstadt bereits erwacht war. Wie oft sie hier gewesen war um ihre Großmutter zu besuchen, konnte sie nicht mehr zählen.

'Hoffentlich verschafft uns das irgendeinen Vorteil', dachte sie.

Unauffällig spähte sie zu Joakim hinauf, betrachtete sein Profil im jungen Licht des Tages. 'Er hat sich verändert.' Wenn Cassandra zurückdachte, wie steif und kühl er vor drei Wochen gewesen war, sah er trotz der vor ihnen liegenden Aufgabe sehr entspannt aus. Als hätte er ihren Blick gespürt, wandte Joakim den Kopf um und sah sie forschend an.

„Stimmt etwas nicht?" Die echte Besorgnis in seiner Stimme und sein Daumen, der kleine Kreise auf ihren Handrücken malte, brachten sie zum Lächeln.

„Nein, alles in Ordnung."

Grinsend schüttelte er den Kopf und sagte: „Du bist verrückt. Wir könnten bereits in einer Stunde tot sein und du sagst, es ist alles in Ordnung." Darauf antwortete Cassandra nichts, sondern schlang lediglich ihren Geist fester um seinen.

Eine halbe Stunde später kam der Hügel und das Gutshaus in Sicht, dass Cassandra bereits in ihrer Vision erblickt hatte. Vorsichtig drängte sie Joakim in ein kleines Waldstück, das parallel zur Straße auf das große Gebäude zuführte. Die allgegenwärtige Vibration der Magie in der Luft dieser Welt war nicht länger gleichmäßig, sondern schlug Wellen und Wirbel, als wäre hier etwas nicht so, wie es sein sollte.

„Das müssen die magieabsorbierenden Kristalle sein, von denen dein Onkel gesprochen hat." Selbst in ihren Gedanken flüsterte Joakim, als hätte auch er Angst, dass sie eventuell entdeckt werden könnten. Auch Cassandra hielt mit allen Sinnen Ausschau, ob sie vielleicht nicht so allein waren, wie es den Anschein hatte.

„Ja, das könnte es sein. Aber ich sehe das Narbengesicht nirgends." Diese Tatsache bereitete ihr Übelkeit.

Durch die seltsamen Verwirbelungen der Magie hatte sie bereits vor etlichen Metern die Spur verloren, die der Emendi unweigerlich hinterlassen hatte. Er konnte sich bereits mitten in dem unnatürlichen Kraftfeld befinden, dass das Gut umschloss oder aber auch direkt hinter ihnen lauern – sie konnte es beim besten Willen nicht sagen.

„Das gefällt mir alles nicht", sprach Joakim ihre Gedanken aus. „Trotzdem sollten wir uns weiter voran wagen, sonst sitzen wir hier ewig."

Kaum merklich nickte Cassandra und ließ, wenn auch widerstrebend, seine Hand los. Sie würden sich durch das Unterholz wohl kaum unauffällig vorwärts bewegen, wenn sie weiter Händchen hielten. Schweigend und so wenig Lärm wie möglich verursachend gingen sie durch die grüne Vegetation. Bei jedem Schritt, den sie näher an das Gutshaus gelangten, verstärkte sich Cassandras Unbehagen immer weiter.

Hundert Meter vor ihrem Ziel blieb sie plötzlich stehen, so unvorhersehbar, dass Joakim gegen ihren Rücken prallte und leise fluchte.

„Sch", machte Cassandra und spähte um einen Baumstamm herum auf die Straße. Dort bewegte sich ein Mann in braunen Kleidern, die aufgehende Sonne schimmerte auf seinem aschblonden Haar. Auch ohne ihren sechsten Sinn zu benutzen wusste sie, dass das der Emendi war, den sie gesucht hatten.

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