Kapitel 1

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Sam wusste, dass er es versaut hatte, in dem Moment, als er auf dem Boden aufschlug. Was hatte er sich auch dabei gedacht, einfach den Plan über den Haufen zu werfen, um selbst zu versuchen, an die Flagge zu kommen? Dreimal im Jahr traten die drei Oberstufen der Highschool in gemischten Teams gegeneinander an. Es ging darum die Flagge des gegnerischen Teams zu erobern. Es gab nichts zu gewinnen, es ging nur um die Ehre, aber wenn sechzig Werwölfe gegeneinander antraten, dann konnte man sich denken, dass es um viel mehr ging als nur die Ehre.

Sam war noch keine siebzehn, ging in die elfte Klasseder Shire Creek Highschool und hasste sein Leben. Es war nicht so, dass nichtjeder Sechzehnjährige sein Leben irgendwann mal hasste, aber Sams Leben waralles andere als leicht. In ganz Amerika, England und Teilen von Ost- undWesteuropa gab es Werwolfrudel. Sie lebten eigenständig unter den normalenMenschen, die um deren Existenz wussten, aber sie inzwischen akzeptierten. DieWerwölfe unterschieden sich auch nicht sonderlich von ihnen im Aussehen und Verhalten.Die Ammenmärchen, in denen Werwölfe bei Vollmond zu menschenfressenden Bestienwurden, waren alle samt eben Märchen. Werwölfe konnten sich jederzeit in ihrenWolf verwandeln. Mit ihrem inneren Wolf kommunizieren konnten sie zwar nicht,aber sie spürten dessen Gefühle durchaus. Untereinander konnten sie sichinnerhalb ihres Rudels telepathisch verständigen. Wer jetzt glaubt, dass das jabesonders in der Schule Vorteile bringen könnte, der täuscht. Denn die Lehrerachten genau darauf, dass bei Prüfungen niemand »linkt«. Wie sie das sehen? DieAugenfarbe der Schüler ändert sich, wenn sie den Rudellink nutzen, genau wiedann, wenn ihr innerer Wolf hervorkommt.

Werwölfe haben gegenüber den Menschen aber noch einen entscheidenden Vorteil, sie heilen sehr viel schneller und erkranken nur sehr selten an gewöhnlichen Krankheiten, die Menschen plagen. Innerhalb des Rudels gibt es eine feste Rangordnung. Der Alpha ist der Rudelführer und meist besonders stark, groß und dominant. Seine Gefährtin ist die Luna des Rudels und sorgt für den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe. Dazu kommen ein oder mehrere Beta-Wölfe, die dem Alpha direkt als Vertraute dienen. Ansonsten leben im Rudel neben den Welpen und Jungwölfen, die ihren Rang mit acht Jahren erfahren, noch mehrere Betas und auch Alphas, die das Rudel mit dem Erwachsenwerden verlassen, um eigene zu gründen oder sich anderen anzuschließen. Dazu kommen noch weibliche Omegas. Omegas sind die Letzten in der Rangfolge des Rudels und stehen meist sogar außerhalb der Rudelhierarchie. Trotz allem sind die weiblichen Omegas wichtige Pfeiler im Rudel und kümmern sich meist um die Kindererziehung und haben oftmals Heilerfähigkeiten. Nur sehr selten kommen männliche Omegas auf die Welt. Sie sind so selten, dass es kaum Aufzeichnungen gibt, denn viele dieser Omegas erreichen das fünfte Lebensjahr nicht, da sie sehr schwach und anfällig für Krankheiten sind. Nur wenige Rudel akzeptieren sie in ihrer Mitte, denn männliche Omegas können Kinder auf die Welt bringen und dies sehen viele Wölfe als widernatürlich an.

Sam war ein Omega und der einzige und erste in seinem Rudel. Bei der Geburt wäre er beinahe gestorben und hatte seine ersten Lebensjahre nur mit viel Glück überlebt. Seine Eltern hatten den schwächlichen Jungen von Anfang an abgelehnt. So wuchs Sam mehr oder weniger in der Gemeinschaft auf, ohne die Liebe seiner Eltern je zu spüren. Mit acht Jahren erfuhr er, dass er ein männlicher Omega ist. Niemand im Rudel wusste, was man jetzt tun sollte. Sams Eltern verstießen ihn nun endgültig und so stand man vor der Wahl den Jungen zu töten oder von der Gemeinschaft aufziehen zu lassen. Das Shire-Rudel und das benachbarte Creek-Rudel, waren nicht so groß wie andere Rudel in Neu-England und daher auf jedes Mitglied angewiesen. Also entschloss man sich Sam in die Obhut des Rudel-Alphas, Cameron Asher und seiner Frau Diana zu geben. Immerhin konnte Sam Kinder bekommen und würde, wenn er mit siebzehn seinen Gefährten fand, zum Fortbestand des Rudels beitragen können. Doch bis dahin ließen die anderen Wölfe ihn jeden Tag spüren, wie sehr sie einen männlichen Omega verabscheuten. Sam war der Prügelknabe für alle und besonders für Caden Asher, den Sohn des Alphas, der ebenfalls einen Alpharang hatte. Caden war bereits achtzehn, hatte aber seine Gefährtin noch nicht gefunden. Seinen Frust ließ er zu gerne an Sam aus, der im Alphahaus das Mädchen für alles war. Er musste kochen, waschen und putzen, bekam selbst nur wenig zu essen, meist nur das, was die Familie ihm übrigließ. Er schlief in einem Kellerzimmer ohne Fenster und hatte den Prügelattacken von Caden und dessen Vater nichts entgegenzusetzen. Er stand außerhalb der Gemeinschaft, das wurde ihm jeden Tag aufs Neue klargemacht. Er durfte den Schulbus nicht nutzen, sondern musste die 5 Meilen zu Fuß gehen. Er trug abgenutzte Kleidung und bekam kein Geld für das Essen in der Schulmensa. Trotz allem war die Schule eine Art sicherer Hafen für den jungen Omega. Die Lehrer machten keinen Unterschied zwischen ihm und den anderen Schülern. Im Gegenteil oftmals schützten sie ihn sogar, aber meistens war Sam, auf sich gestellt, denn Freunde hatte er auch hier in der Schule nicht. Die Mitglieder des Creek-Rudels, die ebenfalls die Highschool besuchten ließen ihn meist in Ruhe. Im Creek-Rudel gab es keinen männlichen Omega, aber trotzdem schien dieses Rudel ihm bei weitem nicht so abwertend gegenüberzustehen, wie Sams eigenes. Trotz allem würden aber auch sie nicht auf die Idee kommen sich mit ihm abzugeben oder sich gar mit ihm anzufreunden.

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