Kapitel 21

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Es dauerte nicht lange, da öffnete Michael White die Tür, sein Gesichtsausdruck zeugte nicht von Überraschung, sondern eher von einer erwartungsvollen Spannung.

»Guten Morgen«, begrüßte er die Männer. »Cameron hat mich bereits informiert, dass Sie kommen würden.«

Auf die Nachfrage von Caleb, was er denn erwarte, gab Michael an, er dachte, sie kämen in Bezug auf den Fall »Sam«. Richard schüttelte leicht den Kopf. »Nein, es geht um mehr als nur Befragungen. Ist Kathrin auch zu Hause?«, Michael, seine Verwirrung nun offensichtlich, nickte langsam.

»Ja, sie ist hier. Kommen Sie bitte rein.«

Er führte sie ins Wohnzimmer, eine einfache, aber gemütliche Einrichtung. Es gab viele Fotos, aber keines zeigte einen kleinen blonden Jungen. Michael wies auf den Esstisch und Richard und Caleb nahmen Platz.

»Kathrin! Die Herren sind hier!«, rief Michael und nach einem kurzen Moment erschien Kathrin White im Wohnzimmer, ein fragender Blick auf ihr Gesicht gezeichnet. Sie nickte Caleb und Richard zu, offensichtlich noch unsicher über den Grund ihres Besuchs. Richard richtete das Wort an die Whites.

»Es ist schön, Sie beide hier anzutreffen. Wir sind hier, um eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. Es geht um Sam und seine Zukunft. Und das betrifft vor allem Sie beide. Ich gehe davon aus, Sie wussten von den Dingen, die ihrem Sohn angetan wurden«, er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme wütend klang. Michael White reagierte sofort, seine Haltung war defensiv, als er versuchte, sich und auch seine Frau zu verteidigen.

»Wir wussten nicht alles, das schwöre ich,« sagte er und in seiner Stimme klang keinerlei Bedauern. »Nach Sams achtem Geburtstag hatten wir nur noch wenig Kontakt zu ihm«, Kathrin, die bis dahin still neben ihrem Mann gesessen hatte, nickte zustimmend.

»Es stimmt ...«, gestand sie leise. »Wir hatten nicht den vollen Überblick über das, was passiert ist«, Caleb, dessen Geduld offensichtlich am Limit war, ließ seinen Zorn in seinen Worten mitschwingen.

»Kein Überblick? Das ist keine Entschuldigung für das, was Sie selbst Ihrem Sohn angetan haben. Sie haben ihn verstoßen, ihn abgelehnt. Warum? Warum haben Sie Ihren eigenen Sohn verstoßen?«

Michael sah kurz zu Kathrin, bevor er wieder sprach, seine Stimme nun fester, aber immer noch unsicher.

»Er war widernatürlich, nicht das, was wir als normal erachteten oder akzeptieren konnten,« erklärte er, fast als würde er sich selbst noch in dem Moment rechtfertigen. Kathrin, deren Augen nun feucht waren, fügte hinzu: »Wir wollten eigentlich nie Kinder. Sam war ein Unfall. Wir waren überfordert und ... und ja ...«, Richard, der sichtlich Mühe hatte, seine Wut zu beherrschen, holte tief Luft, bevor er weitersprach.

»Das mag alles sein, aber es ist keine Entschuldigung für das, was Sam widerfahren ist. Doch wir sind nicht hier, um Sie für Ihre Fehler zu verurteilen«, sagte er mit nachdrücklicher Klarheit. »Wir sind hier, um über Sams Zukunft zu sprechen und sicherzustellen, dass sie besser wird als seine Vergangenheit. Sie wissen sicherlich bereits, dass Sam seinen Gefährten gefunden hat und dass es ihm nun, trotz aller früheren Misshandlungen, besser geht. Er wäre fast an den Folgen gestorben, aber er hat überlebt«, er machte eine kurze Pause, ließ die Worte im Raum wirken, bevor er fortfuhr.

»Meine Frau und ich möchten Sam ein richtiges Zuhause geben, ein Zuhause neben dem seines Gefährten. Wir möchten ihn adoptieren, ihm die Familie geben, die er verdient, die Liebe und Unterstützung, die ihm so lange verwehrt wurde«, Michael, der bis dahin ruhig zugehört hatte, warf nun trotzig ein: »Sam ist schon 17, fast ein Erwachsener. Wozu braucht er jetzt noch Adoptiveltern?«

»Sam mag fast volljährig sein, aber das ändert nichts an seinem Bedürfnis nach einem Ort, an dem er sich zugehörig fühlt, einer Familie, die er seine eigene nennen kann und auf die er stolz sein kann. Seine Vergangenheit war geprägt von Verlust und Leid. Was wir ihm bieten wollen, ist eine Zukunft, in der er sich sicher und geliebt fühlt, unabhängig von seinem Alter«, Richards Stimme war fest, aber hatte jede Wut verloren. Er wusste, dass er hier anders nicht weiterkam. Michael war offensichtlich noch nicht überzeugt von der Dringlichkeit oder Notwendigkeit einer Adoption. Er lehnte sich zurück und sah Richard und Caleb herausfordernd an.

VerstoßenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt