SECHSUNDZWANZIG

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SARINA

Meine Augen lagen auf dem Fernseher gegenüber von mir. Ein Film lief. Ich schenkte ihm keine Beachtung. Meine Gedanken lagen woanders und wollten davon nicht wegkommen. Mein Vater saß wegen mir im Gefängnis. Ich hatte meinen Vater hinter Gitter gebracht!

Cops waren im Gefängnis nicht sonderlich beliebt. Sollte Vater keine Schutzhaft bekommen, dauerte es nicht lange, bis er von anderen Insassen angegriffen wurde. So schlimm, wodurch er sterben konnte. Es tut mir leid Dad ...

Sein Tod würde auf mein Konto gehen, weil ich diejenige war, die ihn verraten hatte.

Ich hasste ihn, ja. Ich würde ihm seine Taten nie, verzeihen, ja. Ich wollte ihn nie wieder sehen, ja, aber er war mein Vater. Der Mann, der mich großgezogen und alles für mich getan hatte.

Meine Aussage zurückzuziehen, ihm dadurch das Leben zu retten, wäre eine Möglichkeit. Aber, das kam nicht in Frage. Meine Aussage war die Wahrheit, zumindest ein Teil. Außerdem ging das schlecht, wenn ich hier eingesperrt war. Nicht zu vergessen, dass Iván ebenfalls im Gefängnis saß.

Warum hatte ich ihm überhaupt geholfen? Er würde durch meine Aussage lebenslänglich bekommen. Entführung, Zwangsheirat, Mord. Da kam einiges zusammen. Ich wäre ihn losgeworden.

Irgendetwas hatte mich davon abgehalten. Nun hatte ich den Salat.

Mein Ehemann saß seit wenigen Tagen im Gefängnis. Mein Schwiegervater, meine Schwäger und der Anwalt der Familie, suchten vergebens nach einer Lösung Iván aus dem Knast zu holen.

Mir sollte es eigentlich egal sein, wie es Iván erging. Leider war das nicht der Fall. Immer und immer wieder spukte der Gedanke in meinem Kopf, ob es ihm gut ging. Er wurde angeschossen, war im Gefängnis und hatte viele Feinde. Was wäre, wenn er dort auf Feinde traf und er sich nicht verteidigen konnte?

Ich hasste mich für diese Gedanken. Iván sollte mir egal sein. Die Tatsache, dass das genaue Gegenteil der Fall war, machte mich verdammt nochmal verrückt!

Ich rutschte tiefer in die samtüberzogene Couch. »Scheiß Gedanken«, murmelte ich genervt.

Es verging Moment, da öffnete sich die Haustür. Von meiner Position aus konnte ich nicht sehen, wer die Villa betrat. War mir auch egal. Iván konnte um diese Uhrzeit nicht nach Hause kommen. Mittlerweile musste es Mitternacht, wahrscheinlich sogar später haben. Weder eine Uhr, noch ein Handy befand sich in meiner Nähe, wodurch ich nur schätzen konnte.

Dumpfe Schritte, die eindeutig von einem Mann stammten, wurden mit jedem Schritt in meine Richtung lauter. Nun interessierte es mich doch, wer um diese späte Uhrzeit kam.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite. Nach einem Augenblick kam Alvaro zum Vorschein. Er sah schrecklich aus. Mehrere Knöpfe seines schwarzen Hemdes waren geöffnet und der seidige Stoff steckte nicht richtig in seiner Chino. Doch das Schlimme kam erst noch. Sein schwarzes Haar war völlig zerzaust, als hätte er sie, ohne zu kämmen, geföhnt und wuschelig hinterlassen. Seine Augen waren gerötet und dunkle Ringe hatten sich unter ihnen gebildet. Dazu kam noch, dass er schwankte.

Er lief auf das Sideboard zu, auf dem zwei Whiskeyflaschen, anderer Alkohol und drei Gläser standen. Er wollte sich etwas einschenken, wovon ich in abhielt.

»Alvaro?« Mit Schwung drehte er sich um. »Querida«, brachte er lallend hervor und sah mich überrascht an. Er hatte meine Anwesenheit nicht mitbekommen.

»Du bist betrunken. Du solltest nicht noch mehr trinken.« Er zuckte desinteressiert mit den Schultern.

Anstatt sich, wie er zuerst geplant hatte, Alkohol in eins der Gläser einzuschenken, trank er nun direkt aus der Flasche.

Señora Hernández - Der Anfang vom EndeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt