DREISSIG

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SARINA

Wenige Minuten zuvor

Mit geschlossenen Lidern genoss ich die warme Mittagssonne, welche auf mich schien, und lauschte den Klängen der Vögel und dem leise Rascheln der Gebüsche.

Für den Frühling war die Temperatur heute hoch.

»Lass deine Hände von mir, ich weiß genau, was du vorhast«, warnte Sofia auf einmal jemanden.

Ich öffnete die Lider. Trotz der Sonnenbrille auf meiner Nase musste ich mehrfach blinzeln.

»Was genau habe ich denn vor?«, erwiderte Rico beabsichtigt dümmlich. Er hatte sicher etwas vor. So sah er auch aus. Er stand neben der Liege seiner Schwester und beugte sich zu ihr hinunter. Seine Hände umfassten ihre schmale Taille, ehe er sie mit Leichtigkeit hochhob.

Vorhin in Estebans Büro meinte Rico noch, er wollte Sofia ärgern. Nun tat er das.

Sie schrie erschrocken. Wie ein Sack Reis, warf ihr Bruder sie über seine Schulter.

»Du willst mich in den Pool werfen. Das ist doch offensichtlich!«, sagte sie bissig. »Ich will dich nicht nur in den Pool werfen, ich werde dich in den Pool werfen.«

Amüsiert beobachtete ich die zwei Geschwister. Gelassen, ohne ihr Gezappel zu beachten, lief Rico auf den großen, glitzernden Pool zu.

»Das bekommst du sowas von zurück, Ricardo Hernández!«

»Das glaube ich nicht.« Sofia krallte ihre Fingernägel in seinen Rücken. Er zuckte, zischte. »Fuck, lass das!« Sie machte weiter, zog eine Linie von seinem unteren Rücken bis hoch zu seinen Schulterblättern. Man konnte sofort die roten Kratzspuren sehen.

Meine Schwägerin lachte wie eine rachedurstige Hexe. Oder wie die Tochter des Teufels – hätte er eine Teufelsbrut.

»Jetzt freue ich mich erst recht, dich in das Wasser zu werfen.« Rico blieb vor dem Pool stehen. »Letzte Worte?«, fragte er sie ironisch. »Fick dich!«, zischte sie wütend. Er schnaubte belustigt. »Eigentlich bin ich mehr der Mann, der Frauen fickt, nicht sich ficken lässt«, informierte er sie in derselben Gelassenheit, in der er sie über die Schulter hob.

»Du bist ekelhaft.«

»Nein, ich bin nur ehrlich.«

Er warf sie in den Pool. In der letzten Sekunde schaffte sie es, den Unterarm ihres Bruders zu erwischen. Sie zog in mit ins Wasser. Er hatte keine Chance, den Sturz zu verhindern. Damit rechnete er nicht.

Es platschte laut. Das Lachen was darauf folgte, verschluckte das Geräusch.

Nach einem Augenblick tauchten sie wieder auf. Rico fuhr sich neben der Spur durchs Gesicht und Haar. Sofia neben ihm hustete. Ihr ganzes Haar klebte ihr wirr und schwer im Gesicht.

In meiner Brust kribbelte es vor Glücksgefühlen. In diesem Moment fühlte ich mich einfach gut, frei. Frei im Innern, immerhin durfte ich das Anwesen momentan nicht verlassen. Nicht einmal meine Schwägerinnen verließen das Anwesen. Daran war Matias Flores schuld.

Nur Sofia verließ es. Sie musste in die Schule. In eine Privatschule mit zu vielen Regeln, wie sie mir berichtet hatte. Die hässliche Schuluniform, die sie tragen musste, sah ich mit eigenen Augen. Oscar sah nicht schlecht in ihr aus. Das lag daran, dass ihm das Outfit stand. Aber Sofia ... sagten wir einfach mal so, man konnte ihre Schuluniform nicht mit der aus der Serie Elite vergleichen.

Ich fand, wenn man schon über 30.000 Dollar jährlich pro Kind für eine Privatschule ausgab, sollte man wenigstens für anständige Kleidung sorgen.

Wie auch immer, momentan fühlte ich mich wie eine Gefangene. Und ich saß nicht einmal in einem richtigen Gefängnis, im Gegensatz zu meinem Ehemann. Ich saß in einem goldenen Käfig.

Ich beobachtete die Geschwister, wie sie nicht gerade erfreut über ihren Zustand, pitschnass aus dem Pool liefen.

Mein Grinsen deswegen zerfiel auf die Sekunde, als ich eine bekannte Stimme hörte.

Verdammt, das durfte doch nicht wahr sein!

Señora Hernández - Der Anfang vom EndeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt