SARINA
Ich erwachte aus dem Schlaf. Ich fühlte mich ausgelaugt, erschöpft, müde. Von der ersten Sekunde an. Meine Augen brannten, weil ich nicht genug geschlafen hatte. Mein Kopf explodierte fast vor drückenden Kopfschmerzen. Jede Bewegung verursachte ein Ziehen in meinem Kopf.
Mein Vater durfte mich so nicht sehen. Der heutige Tag war wichtig für ihn. Seine einmal ungehorsame Tochter durfte ihm dabei nicht im Wege stehen – nur an seiner Seite. Still. Ein Grund mehr für mich, mich einfach tot zu stellen.
Wenn er wütend wurde, konnte er unausstehlich werden.
Schon seit fast einer Woche spürte ich seine Anspannung und bemerkte, wie schnell er sich wegen Kleinigkeiten aufregte.
Ich wollte nicht wissen, wie seine Laune heute war.
Stöhnend drehte ich mich zur Seite, um auf den elektronischen Wecker zu schauen. 13:38 Uhr.
Erschrocken riss ich die Augen auf, wodurch meine Augenhöhlen schmerzten, und setzte mich wie von der Tarantel gestochen hin. Wir hatten es bereits mittags. Ich erwartete 10:00 Uhr, nicht 13:38 Uhr!
Wieso um alles in der Welt wurde ich nicht von Vater geweckt? Wir wollten mir für heute Abend noch ein Abendkleid kaufen. Die letzten Male, als wir ein Kleid suchten, fand ich nie eins, das mein alter Herr für angemessen empfand.
Ich würde niemals rechtzeitig fertig werden. Ich musste duschen, frühstücken, ein Kleid kaufen und mich für die Gala hübsch machen. Dafür hatte ich keine fünf Stunden.
Ich stieg aus dem Bett, holte mir frische Klamotten und eilte aus dem Zimmer zur nächstgelegenen Tür. Dahinter befand sich das Badezimmer. Hoffentlich half mir, eine warme Dusche meine Muskeln zu entspannen und meinen Kater loszuwerden. Wenn das nichts brachte, blieb mir nur die Methoden meiner besten Freundinnen auszuprobieren.
Marta trank zwei rohe Eier. Allein daran zu denken, verschaffte mir Übelkeit. Pats trank Tomatensaft mit Salz. Dazu aß sie saure Gurken. Ihre Methode war mir deutlich lieber als die von Marta. Rohe Eier. Igitt.
Nach der schnellen Dusche, cremte ich mich ein, putzte meine Zähne und zog mich an. Meine Haare trocknete ich später. Sie konnten warten, mein leerer Magen, der mittlerweile knurrte und meine Schmerzen nicht.
Ich verließ das Badezimmer und lief geradewegs auf die Treppe zu. Innerlich bereitete ich mich auf eine weitere Ansage von Dad vor.
Von der Austrittsstufe aus sah ich ihn am Küchentisch sitzen. In seinen Händen hielt er eine aufgeschlagene Zeitung. Der Geruch des dampfenden Kaffees vor ihm umhüllte den ganzen Wohn- und Essbereich.
»Guten Morgen«, begrüßte ich ihn freundlich. Er erwiderte dasselbe, ohne von der Zeitung aufzusehen.
Ich lief in die offene Küche. Sofort sprangen mir die verschiedenen Sorten Brötchen ins Auge. Vater musste überraschenderweise gute Stimmung haben. Er kaufte selten Brötchen. Sonst aß er Bagel. Die hatten wir immer da.
Ich holte alles aus den Schränken, was ich brauchte. Auf dem Esstisch gegenüber von Dad, stellte ich die Sachen ab. Bei jedem Handgriff schmerzte meine Hand. Der Schlag hatte größere Auswirkung als gedacht. Wenigstens waren die Schmerzen nicht mehr so schlimm wie letzte Nacht.
Zurück in der Küche stellte ich mich an die Theke. In ein Glas füllte ich Tomatensoße. Wir hatten keinen Tomatensaft, somit musste die ungewürzte Tomatensoße aus dem Tetrapack herhalten. Das Salz kippte ich anschließend dazu und verrührte die Mixtur mit einem Löffel.
Zum Frühstück gab es heute mal keinen Orangensaft, Tee oder Kaffee mit einem Schuss Milch und einem Löffel Zucker. Sondern Tomatensoße mit Salz. Wirklich Lecker.
»Warum hast du mich nicht geweckt? Wir müssen noch mein Kleid kaufen gehen.«
Vater legte die Zeitung weg. Das erste Mal heute sah er mich an – wenn man die Nacht nicht mitzählte. Er wollte mir gerade auf meine Frage antworten, da unterbrach er sich selbst. Mit hochgezogener Augenbraue begutachtete er mein Glas.
»Ist das Tomatensoße?« Seine Augen wanderten zu meinem Teller auf dem Tisch. »Und seit wann ist du saure Gurken?«, fuhr er verwirrt fort. Ich überlegte, wie ich ihm den Grund erklären sollte. Ich wollte ihm nicht verraten, dass ich einen Kater hatte. Es genügte schon, dass er überhaupt wusste, wo ich letzte Nacht gewesen war.
Um länger Zeit zum Überlegen zu haben, trank ich einen großen Schluck von dem Gemisch. Angewidert verzog ich das Gesicht. Das sorgte wiederum für ein Ziehen an meiner Schläfe und meinem Hinterkopf. Fuck.
»Sag mir nicht, du bist schwanger!«, meinte er dann plötzlich ebenso panisch, wie er mich ansah.
Vor Schock verschluckte ich mich an der Tomatensoße, ehe ich hustend lachte. Schwanger? Ich?
»Sina, das ist nicht lustig!«, fuhr er mich an. Ich schmunzelte. »Ich bin ganz sicher nicht schwanger. Keine Sorge, Dad«, beruhigte ich ihn amüsiert. Er atmete erleichtert aus. »Du hast mir einen verdammten Schrecken eingejagt. Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen. Der Jüngste bin ich nicht mehr.«
»Du bist 46 Jahre alt. So alt, wie du behauptest, bist du gar nicht.« Aussehen wie 46-Jähriger tat er nicht, aber das musste man ihm ja nicht sagen. »Außerdem bist du fit wie ein Turnschuh«, schleimte ich mich bei ihm ein.
Er schüttelte grinsend den Kopf. »Das wird bei mir nicht funktionieren. Ich bin ein Cop.«
Er drehte sich ein wenig zur Seite und zog den Stuhl neben sich zurück. Auf ihm stand eine schwarze viereckige Schachtel aus Samt. Mit rotem Seidenband war sie wie ein Geschenk verpackt.
Vater schob mir die Schachtel über den Holztisch entgegen. Irritiert runzelte ich die Stirn.
»Was ist das?«, fragte ich ihn mit vollem Mund. Ich aß eine der sauren Gurken. »Deine Kleidung für heute Abend. Alles ist dabei. Kleid, Schuhe, Schmuck«, erklärte er mir. »Warum hast du das ohne mich gekauft?« Unsere Geschmäcker waren verschieden. Wie Tag und Nacht. Hoffentlich sah ich später nicht aus wie eine Lady aus den 60ern. »Es sollte eine Überraschung sein, deshalb habe ich dich nicht geweckt. Wenn ich mir so ansehe, was du gerade zu dir nimmst, war meine Entscheidung richtig. Ich gebe dir einen Rat: Eine Aspirin gegen einen leichten Kater reicht vollkommen aus.« Er zwinkerte mir zu und stand mit seiner Zeitung und dem Kaffee auf.
»Öffne die Box erst, wenn du fertig mit dem Essen bist. Ich will nicht, dass etwas davon dreckig wird.« Ich nickte als Antwort, auch wenn ich nicht darauf hören würde. Ich konnte nicht so lange warten. Meine Neugierde war zu groß.
Vater lief zur Treppe, womit wir uns gegenseitig den Rücken zeigten.
Ungeduldig öffnete ich die Schleife. »Was sagte ich dir, Sina?« Ich hielt inne und drehte mich zur Seite, um zu ihm zu sehen. Er hatte weder angehalten, noch sah er zu mir, trotzdem wusste er genau, was ich machen wollte. Er kannte mich einfach zu gut. Hoffentlich galt das Gleiche bei meiner Kleidung für heute Abend.
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Señora Hernández - Der Anfang vom Ende
Romance»Wer will schon einen Prinzen, wenn man das Biest haben kann?« Als ich eines Abends mit meinen Freundinnen einen angesagten Nachtclub unsicher machte, wusste ich noch nicht, was in 26 Stunden auf mich zukommen würde. Erst wurde ich im Club von einem...