2. Phil - ein Gefallen

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„Das ist jetzt nicht dein Ernst?!", seufzend ließ ich mich auf den Sessel sinken und starrte Marek fassungslos an. „Lehrlinge ja, aber sowas?!", dabei deutete ich auf den Schreibtisch, auf dem das Schreiben lag, welches für meine überaus bescheidene Laune verantwortlich war. „Ich bin für die Patienten zuständig und nicht für reiche Grünschnäbel, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen! Ich bin kein verdammter Babysitter. Du hast doch genug anderes Personal, denen du ihn aufs Auge drücken kannst", versicherte ich meinem Gegenüber und verschränkte wütend die Arme vor der Brust.

Auch wenn Marek am längeren Hebel saß, so hatte ich verdammt noch mal ein Mitspracherecht. Ich war schließlich hier, um zu arbeiten, und nicht, um den Aufpasser für einen wildfremden, außer Kontrolle geratenen Bengel zu spielen. Außerdem war mein Stundenplan voll. Voll für Wichtigeres! Da war keine Zeit für so einen Mist! Wie zum Henker kam Marek überhaupt auf so eine Idee? Seit wann, durfte irgendein fremder Schüler sein heiliges Reich betreten? Zumal dieser wohl überhaupt keinen Bock darauf zu haben schien. Das war doch absurd und sonst nicht seine Art!

„Ich schulde Sven noch einen Gefallen ..." Ahh ... da lag also der Hund begraben. „... zudem hat er sich sehr erkenntlich gezeigt. Es scheint ihm wichtig zu sein", erklärte er, schob mir einen Scheck über den Tisch und sah mich aus seinen großen grünen Augen an.

„Das hilft nicht!", knurrte ich ihm zu, weil er mich auf diese besondere Art und Weise ansah, zu der ich meist nicht ‚nein' sagen konnte. Wandte meinen Blick ab von ihm und besah das Blatt Papier. Zehntausend Euro. Ich schluckte. Zehntausend Euro als Spende für ein Praktikum in unserer Klinik. Für einen Monat! Alle Achtung! Da wusste wohl jemand, wie man Probleme aus der Welt schaffte. Solange Geld keine Rolle spielte, war das wohl eine Kleinigkeit.

Aber für uns war es leider sehr gutes Geld, das man investieren konnte. Das vielleicht meinen Kids zugutekommen könnte.

„Davon könnten wir die tiergestützte Therapie für deine Autisten ausbauen", köderte mich da schon mein Bruder, kaum, dass er meinen Blick richtig gedeutet hatte. Denn genau diesen Gedanken hatte ich auch. Aber ich wollte noch nicht nachgeben. Wollte mich nicht kaufen lassen. Schon gar nicht von meinem Bruder. Auch wenn das Angebot einfach nur verlockend klang. Dieser Therapieansatz war nun mal ein Traum von mir.

Seit unser Vater sich zurückgezogen hatte und nur noch gelegentlich Einzelsitzungen hielt, schwang inzwischen Dr. Marek Greisbeck, alias mein Bruder, das Zepter unseres Familienimperiums. Mein großer Bruder war sieben Jahre älter als ich und mit seinen vierunddreißig Jahren viel zielstrebiger. Ich hingegen war mehr der Praxismensch, also hatte es bei mir 'lediglich' zum Sozialpädagogen gereicht, statt Psychologie zu studieren, und meinen Doktor zu machen, wie mein Bruder, zuvor mein Papa und davor mein Großvater es gemacht hatten.

Aber es reichte mir. Ich hatte Spaß an meiner Arbeite und das Zepter der Familie wollte ich schon drei Mal nicht. Auch ohne hatte ich viele Freiheiten, konnte das tun, was mir wichtig war, solange es die Mittel hergaben, und überließ alle Probleme und schwerwiegenden Entscheidungen meinem Bruder. Ich hatte sozusagen das bessere Paket. Alle Vorzüge, ohne die Nachteile. Na gut, fast ohne Nachteile. Das mit diesem Praktikanten war ein Nachteil. Denn wenn mir mein Bruder einen Bengel an die Fersen haftete, musste ich das wohl ertragen, selbst dann, wenn er nicht garniert mit einem zehntausend Euro Scheck wurde. Aber ich schweifte ab.

Die letzten zwei Jahre hatte ich mich neben meiner Arbeit hier in der Klinik, im Selbststudium in der tiergestützten Sozialarbeit weitergebildet und wandt seit ein paar Monaten meine Therapieansätze bei meiner aktuellen Gruppe an. Mit gutem Erfolg. Aktuell begleitete zwar lediglich mein Golden Retriever Dante die Sitzungen, aber ich plante schon seit Wochen an einem Stall mit Alpakas und einem Kleintiergehege, um das sich meine Patienten kümmern konnten. Und wie das im Leben so war, brauchte man dafür Geld. Viel Geld, das nicht vom Himmel fiel. Da kam der Scheck wie gerufen.

„Ein Monat!", versicherte mir mein Bruder und zwinkerte mir zu. „Was ist schon ein Monat! Sehe ihn mehr als einen Patienten, als einen Praktikanten. Was ich so gehört habe, ist er sehr zurückgezogen, explosiv und kommt mit niemandem mehr klar ..." „Na, du machst mir Hoffnungen!", unterbrach ich Marek, und fragte mich, ob er glaubte ihn mir so schönreden zu können. „Ich will nur damit sagen, du hast bis jetzt jeden geknackt. Bist an jeden herangekommen, egal wie verschlossen der Patient war. Deswegen möchte ich, dass du dich um ihn kümmerst. Du bist der beste Phil und Sven ist wirklich sehr verzweifelt. Sonst hätte er nie gefragt."
„Was ist das nur zwischen dir und diesem Sven? Du hast ihn bis jetzt noch nie erwähnt. Und jetzt klingt es so, als wärt ihr beste Freunde", fragte ich nach und sah, wie sich Mareks Gesicht verdunkelte. „Montag um 14 Uhr kommt Leon. Ich hab deinen Tagesplan so umstrukturieren lassen, dass du mindestens eine Stunde hast, um ihn einzuführen", überging er meine Frage und ich rollte mit den Augen. „Ich muss jetzt auch los zu einer Gruppensitzung. Es ist ja alles klar!", erklärte er wie beiläufig und erhob sich aus seinem Sessel. Das Gespräch war beendet. Typisch mein Bruder! Das war immer seine Art mir zu sagen: „Das geht dich nichts an, also hör auf Fragen zu stellen und steck deine Nase nicht in Angelegenheiten, die dich nichts angehen. "

„Meine Alpakas?", fragte ich nach und respektierte seine subtile Art und Weise, das Thema fallen zu lassen, um sicherzugehen, dass auch ich meinen Nutzen aus dieser Sache zog. „Kümmer dich drum, und leg mir ein Angebot auf den Tisch. Wenn das mit diesem Leon gut läuft, kannst du anfangen es umzusetzen", sprach er und rauschte an mir vorbei. Mehr musste ich nicht wissen, aber auf sein Wort konnte man sich immer verlassen.

Eine Weile blieb ich noch sitzen. Lehnte mich in meinem Sessel zurück und dachte nach. Was war das nur mit diesem Sven? Ganz ließ mich diese Geschichte trotzdem nicht los. Mein Bruder war nicht der Typ, der Gefälligkeiten verteilte. Er hasste es, in der Schuld von jemanden zu stehen. Egal von wem. Wer auch immer dieser Sven war, er schien meinem Bruder einmal sehr wichtig gewesen zu sein. Zu gerne hätte ich die Geschichte dahinter erfahren, aber darauf würde ich wohl lange warten müssen. Erstens, war mein Bruder niemand, der viel über sein Privatleben sprach, oder etwas davon preisgab, nicht mal seiner Familie. Und zweitens, gab es in unserer Familie nur eine Regel und diese besagte, keine Familienmitglieder zu analysieren und zu therapieren!

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass auch ich losmusste und so erhob ich mich, pfiff nach Dante, der die ganze Zeit brav auf seinem Platz im Eck des Zimmers gelegen hatte und mir nun durch die Tür auf den Gang folgte. Ich hatte heute nur noch eine Sitzung, dann würde ich Feierabend machen können.

Müde streckte ich die Hände über den Kopf und drückte meinen Rücken durch, anschließend ließ ich einmal den Kopf kreisen. Vielleicht wäre es an der Zeit, mal wieder schwimmen zu gehen. Das würde sicherlich meine Muskeln lockern und mein Gemüt entspannen. Und gute Nerven würde ich wohl am Montag brauchen.

Unter VerrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt