3. Sven - zerrissen

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Ich wusste, es war gemein. Aber ich wusste auch, dass ich ihn damit hatte. Er würde nicht gehen. Nicht jetzt, da ich ihm vorgeworfen hatte, den gleichen Fehler zu begehen. Und ja, es war ein Fehler, sowohl damals zu gehen, wie auch heute zu bleiben. Und doch konnte ich nicht anderes.

Es war diese Sehnsucht. Bei der ich einfach wusste, sie würde nicht verschwinden. Nicht bevor ich ihn noch einmal berührte, noch einmal küsste, noch einmal nur für mich alleine hätte. Selbst, wenn es das letzte Mal war.

Vielleicht war es egoistisch. Ganz bestimmt aber war es verrückt und nichtsdestotrotz wollte ich, dass er mit mir kam. Nur dies eine Mal.

Bei der Tür blieb ich stehen. Er hatte immer noch meinen Schlüssel. Ich hatte lediglich die Schachteln mit dem Essen. Also wartete ich, gab ihm Zeit. Zeit sich richtig zu entscheiden. Richtig, für das Falsche. Hatte den Kampf in seinen Augen gesehen und wusste trotzdem, dass er verlieren würde.

Schritte ertönten hinter mir, und mein trauriges Lächeln wurde breiter. Ich hatte gewonnen. Ein Sieg, der sich gleichzeitig nach Untergang anfühlte.

Eine Hand erschien in meinem Blickfeld, als er hinter mich trat und an mir vor bei zum Türschloss griff. Seufzend lehnte ich mich zurück. Genoss seine Wärme an meinem Rücken. Wie oft hatte ich mich danach gesehnt? Schloss kurz die Augen und inhalierte seinen Duft. All das war so vertraut. So wie früher. Und doch anders.

„Ich mach dir einen Kaffee", sagte er streng, als er die Tür aufsperrte und sie nach innen aufschwingen ließ. Nur um mich hindurch zu bugsieren. Er war sauer. Ganz eindeutig. Aber warum auch immer, war es mir in diesem Moment egal. Er war damals gekommen und hatte sich genommen, was er wollte, jetzt war ich an der Reihe.
„Ich will keinen Kaffee", sagte ich stattdessen und drehte mich zu ihm um, nur um ihm meine Arme um den Hals zu legen und mich an ihn zu schmiegen, was sich etwas schwierig erwies mit den zwei Schachteln in der Hand. „Ich möchte dich", seufzte ich und streckte mich, um ihn noch einmal zu küssen, in der Hoffnung, dass er ihn jetzt erwidern würde. Doch bevor ich sie erreichen konnte. Griff er nach meinen Armen. Löste sich aus meiner Umarmung, nahm sich die Kartons und ging auf Abstand.
„Erst den Kaffee", sagte er streng und seine dunklen Augen sprühten regelrecht Feuer. Mein Mundwinkel zuckte. „Meinetwegen", sagte ich lapidar. Ließ ihn stehen und ging in die Küche. Dann eben erst den Kaffee. Ich wusste, was er damit bezweckte, aber es würde nichts ändern. Rein gar nichts.

Dort angekommen stellte ich zwei Tassen in den Kaffeevollautomaten und ließ das gewünschte Getränk hinunter.

Er war mir gefolgt. Ging hinüber zum Kühlschrank und stellte Pizza und Salat hinein. Brav so. Immerhin verlangte er nicht, dass ich auch noch vorher aufaß.
„Wieso?", fragte er, als ich ihm eine Tasse Kaffee reichte und mich ihm gegenüber an die Küchenplatte lehnte. Vorsichtig nippte ich an dem Kaffee, um mich ja nicht zu verbrühen. Ich wollte jede Sekunde und einfach alles von ihm spüren. Was ich hingegen so gar nicht wollte, war Reden, also zuckte ich lediglich mit den Schultern. Er verzog seinen Mund zu einer feinen Linie und ich musste schmunzeln. Auf der einen Seite war er mir fremd, auf der anderen, schienen die zehn Jahre nicht existiert zu haben. Ich kannte diesen Ausdruck, ich kannte jeden seiner Ausdrücke. Es war verrückt und faszinierend zu gleich.
„Weil wir es beide wollen", sagte ich schlussendlich und stellte meine Tasse beiseite. Seine Augen weiteten sich und er klammerte sich fester an seinem Kaffee, als ich auf ihn zuschritt. Überwand langsam die Distanz, die uns trennte und blieb vor ihm stehen.

„Lass los", bat ich ihn, als ich an der Tasse zog und er nicht loslassen wollte. „Komm schon, sei ein braver Junge", neckte ich weiter und schmiegte mich an ihn. Spürte, wie er verkrampfte und die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten.
Unter Gewalt zog ich ihm schlussendlich doch die Tasse aus der Hand und stellte sie auf den Tisch hinter ihm. Ganz ohne ihn dabei loszulassen. Schlang meine Hände um seine Mitte und schmiegte mich an ihn. Hart und unnachgiebig stand er da. Beide Arme herabhängend. Kam mir kein Stückchen entgegen und das provozierte mich noch mehr. Ich würde nicht betteln. Kam, was auch kommen wollte.
„Wenn du mich nicht willst ...", seufzte sich, hob meinen Kopf, sah ihm in die Augen, sah den verkniffenen Ausdruck in seinem Gesicht, den Kampf, den er immer noch ausfocht. Wusste gleichzeitig, welche Knöpfe ich drücken musste, um ihn fallen zu sehen. „... dann kannst du jeder Zeit gehen ...", murmelte ich, beugte mich vor, dass mein ganzer Körper ihn berührte, und schlag erneut meine Arme um ihn. Zog ihn an mich, berührte seine Nasenspitze mit der meinen.
„Das ist nicht fair", flüsterte er rau, verzog das Gesicht, als würde ihm jedes Wort schmerzen bereiten, legte aber sanft seine Hände auf meine Hüften.

Unter VerrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt