5. Leon - Marek

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Seinem irritierten Blick nach zu urteilen, hatte er wohl nicht mit dieser Frage gerechnet. Mir hingegen spukte sie schon seit Tagen durch den Kopf. Wer war dieser Kerl, den Sven zuvor noch nie erwähnt hatte? Denn jedes Wort, welches er im Zusammenhang mit Marek und der Klinik verloren hatte, schien ihm unendlich viel Geduld abzuverlangen und das lag zur Abwechslung verdammt nochmal nicht an mir. Sonst war er nämlich immer ruhig und hegte selten Groll, außer ich brachte ihn mal wieder auf die Palme. Aber dann tickte er aus, und beruhigte sich wieder, oder er schmollte wie aktuell und zeigte mir die kalte Schulter. Aber diese dunkle Wolke, die über ihm hing, und diese absurde Abneigung, wenn er von Marek sprach, ihn immer beim Vornamen nannte, löste etwas in mir drin aus. Ließ Alarmglocken läuten.

Ich musste wissen, wer dieser Kerl war und Sven konnte ich nicht fragen. Also saß ich da, biss mir zum wiederholten Mal auf die Unterlippe, die bereits weh tat und wartete ungeduldig, bis mein Gegenüber endlich anfing zu reden, statt mich unablässig zu mustern. Das tat er nämlich scheinbar wirklich gerne. Ich war nicht blind, um zu sehen, dass sein Blick immer wieder meinen Körper streifte, statt nur über mein Gesicht.

„Schon okay!", ruderte ich nach einer Weile zurück, weil dieses Blickduell langsam an meinen Nerven nagte. Auch wenn ich nur zu gerne eine Antwort auf meine Frage bekommen hätte. Sein Blick, der mich nicht losließ, machte mich langsam nervös und es bestand immerhin immer noch die Möglichkeit, dass er Marek nicht kannte.

„Marek ist mein Bruder", ließ er die Bombe platzen und meine Augen weitete sich. „Und er leitet die Klinik", fügte er hinzu und musterte weiterhin interessiert mein Gesicht. Immer darauf bedacht, dass ihm keine Regung entging. Ich hasste sowas, die meisten Menschen interessierte nur mein nettes Aussehen, doch hinter die Fassade blicken sie nie, da war es einfach sich zu verstellen. Hier musste ich höllisch aufpassen, um meine Gestik und Mimik immer unter Kontrolle zu haben. Das war auf die Dauer verdammt anstrengend. Irgendwie war ich nach zwei Stunden mit ihm schon fix und fertig.

„Wieso willst du das wissen?", fragte er mich nun seinerseits und ließ mich immer noch nicht aus den Augen.

„Neugier", erwiderte ich und zuckte mit den Schultern. Das musste genügen und es schien auch zu reichen, denn seine Gesichtszüge entspannten sich und er lächelte mich erneut an. Er schien ständig zu lächeln, was ihn jünger wirken ließ, als er wohl war.

„Okay ... hast du dir schon mal überlegt, an welchen Tagen du kommen magst? Mir würde es aber auch reichen, wenn du mir Freitag Bescheid gibst", wollte er wissen und lächelte immer noch.

Verdammt, es war so anstrengend es nicht zu erwidern, aber ich wollte einfach nicht. Wollte keine Hoffnung machen, wollte keine Bindung aufbauen. Ich würde meine Zeit hier absitzen, damit Sven glücklich war und dann würde ich hier verschwinden. Ich ging ihn nichts an und er mich genauso wenig.

„Montag und Freitag schätze ich, wären ok", erwiderte ich und sah weg, weil sein Blick ein Kribbeln in mir auslöste. Etwas, dass mir zu meiner inneren Unruhe gerade noch fehlte. Wenn ich könnte, wäre ich aufgesprungen und einfach nur davon gelaufen. So wie das Mädchen, das vorhin in mich gerannt war.

„Wer war das Mädchen vorhin, das dich liebt?", sprudelte die Frage auch schon aus mir heraus, bevor ich sie aufhalten konnte und biss mir zur Strafe gleich mal auf die Lippe. Wieder hing sein Blick an mir fest. Wie in Zeitlupe schien er sich von meinen Lippen zu lösen und wieder nach oben zu schauen, bevor er zum Sprechen ansetzte.

„Du meinst, Klara?"

„Ja, oder gibt es hier noch mehr Mädchen, die dich lieben ...?", konnte ich mir nicht verkneifen und hätte mir am liebsten auch noch auf die Zunge gebissen. Ich sollte wieder einfach nur die Klappe halten. Das wäre das Beste. Für uns beide. Sicher war er jetzt sauer und würde mich bei seinem Bruder verpetzten, der mich vor die Tür setzte und Sven anschließend genau da weiter machte. Das war doch zum Kotzen mit meinem beschissenen Leben. Wieso nur hatte ich weder mich noch mein Dasein auf dieser schönen Welt unter Kontrolle? Doch überraschenderweise zuckten nur seine Mundwinkel, bevor er: „Wer weiß ...", antwortete. Dann wurde er wieder erst. „Wie wäre es, wenn du sie die nächsten Tage, wenn du sie wieder siehst, und du wirst sie wieder sehen, einfach selbst fragst?", schlug er vor und seine rechte Augenbraue schoss in die Höhe. „Sie liebt mich übrigens nicht wirklich, sollte dir das irgendwie Kopfschmerzen bereiten!", setzte er nun doch grinsend einen darauf.

Unter VerrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt