Leon - Valentin (Bonuskapitel)

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„Bist du dir sicher, dass das so aussehen soll?", fragte ich Klara und hielt ihr die Schüssel mit dieser komisch aussehenden Masse unter die Nase. Ich hatte zwar noch nie selbst einen Kuchenteig angerührt, aber immer wieder welche in Kochsendungen gesehen. So hatte es bei den Sternchen definitiv nie ausgesehen.

Wenig begeistert ließ ich den Schneebesen durch den Teig fahren. Stand da nicht was von cremig, fluffig? Statt wässrig, flockig und undefinierbar.

„Klar. Steht hier doch so. Ich hab's dir ganz genau so vorgelesen", versicherte mir meine Küchenhilfe, schnappte sich nochmal das Tablet und überflog das Rezept. „Ich versteh' das nicht ...", murmelte sie noch und dann kam es. Dieses 'Oh oh', das nie, absolut nie etwas Gutes verhieß.

„Was ist los?", wollte ich wissen, während gerade ganz und gar alles an meiner Geduld kratzte. Stellte die Schüssel auf den Küchentisch und ließ mich, mit zuckendem Augenlid, auf einen der Hocker nieder.

Automatisch fiel mein Blick auf die Küchenuhr. Panik! In zwei Stunden würde Phil von der Arbeit kommen. Bis dahin sollte dieser verdammte Kuchen fertig sein. Die Küche aufgeräumt und ich frisch geduscht. Dante sah auch nicht so aus, als wolle er auf seine ausführliche Gassirunde am Nachmittag verzichten.

Stattdessen, war alles schiefgegangen, was überhaupt schiefgehen konnte.
Eier trennen, zum Beispiel. Wer zum Henker war auf diese bescheuerte Idee gekommen? Ich musste immerhin drei Eier aufschlagen, bis es mir gelang, dass ich zwei Hälften hatte. Und nicht ein Puzzle-Set von einhundert Teilen, pro Ei versteht sich. Dann kam das Trennen. Ganz schlechte Idee. Das konnte nur einem Idioten eingefallen sein. Bestimmt irgendeinem sadistisch Veranlagten. Um es abzukürzen, nachdem ich also vier weitere Eier fluchend misshandelt hatte, entschied ich für mich und mein Seelenheil, es mache keinen Unterschied, ob sie im Ganzen oder getrennt in die Schüssel kamen.
Das Abwiegen der restlichen Zutaten gestaltete sich dann überraschenderweise als ganz entspannt. Klara gab mir die Daten durch, ich konnte dank meines Abis immerhin fehlerfrei Zahlen von einem elektronischen Feld ablesen. Ich schöpfte also Hoffnung und wollte mir fast schon auf die Schulter klopfen. Nur FAST! Aber dann hieß es, mal solle den Teig schlagen. Mit dem Mixer. Auf höchster Stufe. Nicht gut! Überhaupt nicht gut. Schon gar nicht, wenn man sowas Ähnliches wie Wasser mit Brocken in der Schüssel hatte. Denn nun durfte ich definitiv duschen. Klara auch und eigentlich auch Dante, so wie wir alle drei aussahen. Und die Küche erst. Aber immerhin hatte mein mir liebster Hund auf Erden den Boden sauber geschleckt und wenn man von dieser apokalyptischen Schlacht nichts wusste, sah wenigstens dieser wieder ganz passabel aus.

„Da steht Öl oder Butter", seufzte sie. „Wir haben aber beides rein!", knurrte ich zurück. „Ja ... emmm ... sorry! Das ist noch nicht alles ...", setzte sie kleinlaut hinzu und versteckte sich hinter dem Gerät. „Da steht auch Milch oder Sahne." „Klara.....!", zischte ich, denn wir hatten natürlich sowohl als auch abgewogen. Kein Wunder, dass uns der ganze Mist davon schwamm. „Tut mir echt leid. Da ist nur diese kleine „O" mit einem Punkt. Ich war so konzentriert, dass wir nichts vergessen, dass ich das einfach übersehen hab. Was ist das denn bitte für ein grottiges Rezept? Wer schreibt denn sowas?", wollte sie wissen.
„Sag mir lieber, wie ich diesen Scheiß retten soll?", deutete ich niedergeschlagen auf die Schüssel. „Ich wollte Kuchen kaufen ...", seufzte ich. Ich hatte echt einen Plan, aber nein, das wäre nicht romantisch genug. Wieso hörte ich nur auf sie? „Das ist ganz einfach, ich helf' dir. Phil liebt selbstgemachte Kuchen. Meine Mama bringt immer extra einen für ihn mit und dann ist er völlig aus dem Häuschen. Das wäre doch die perfekte Valentins Überraschung!", schwärmte sie und irgendwie klang es gar nicht mal so übel. Es war immerhin unser erster Valentinstag zusammen und klar irgendwie hatte auch ich im Sinn, dass es was Besonderes werden sollte. Dabei hatte ich aber nicht besonders scheiße im Kopf.

„Ich würde mehr Mehl reintun. Damit es etwas fester wird", schlug mir Sherlock vor. Auf die Idee war ich glatt auch gekommen. Also erhob ich mich und löffelte frei nach Gusto Mehl in die Brühe. Klumpte es noch mehr? Ja. Redete ich mir ein, es musste so sein? Vielleicht.

So kamen wir tatsächlich an einen Punkt in dem die Pampe, Teig konnte man das echt nicht nennen, in die Form kam und anschließend in den Ofen. „Da steht nicht, ob Ober-Unterhitze oder Umluft. Da steht nur 200 Grad", fluchte ich und war mit meinen Nerven völlig am Ende. „Mach Umluft, das ist immer gleichmäßiger. Dann geht der Kuchen bestimmt gut auf", schlug mein Souschef vor. Was hatte ich denn noch zu verlieren?

So einiges, aber dieses Ausmaß konnte ich mir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ausmalen. Also fingen wir an, die Küche sauberzumachen. Immerhin etwas, was ganz gut vonstattenging. Bis zu dem Augenblick, als ich das Backpapier in den Händen hielt, was ich extra für die neue Backform gekauft hatte und eigentlich benutzen wollte. Noch originalverpackt.

„Vielleicht geht er ja trotzdem aus dem Form", meinte Klara noch, während ich sie mit Entsetzen in den Augen anstarrte. Dieser Valentinstag würde mich umbringen! Entwickelte sich zu meiner ganz persönlichen Hölle. Mein mentales Training, das tiefe Durchatmen, nichts, absolut nichts half gegen diese aufsteigende Panik in meinem Inneren.
„Das wird schon ...", versuchte sie mich zu beruhigen. „Komm, wir gehen schnell mal mit Dante, danach sieht die Welt schon viel besser aus."

Muss ich erwähnen, dass es keine gute Idee war, herauszugehen, während man einen Kuchen im Ofen hatte?
Das Ende vom Lied, eine Stunde später saß ich also vor diesem, sehr dunkel gebräunten, Etwas und bekam ihn nicht aus der Form. Spätestens jetzt hätte ich wirklich heulen können.

„Wir tun einfach den Schokoladenguss darüber. Dann sieht man nicht, dass er zu dunkel ist, und ihr könnt ihn mit zwei Gabeln aus der Form essen. Das hat doch auch was Romantisches", redete Klara auf mich ein, während ich mit hängenden Schultern auf den Küchentisch starrte.

Gesagt, getan. Wer hätte das gedacht, natürlich war das Wasserbad ein Arschloch! Aber mittlerweile hatte ich mit der Welt und meinem Leben abgeschlossen, nichts konnte mich mehr schocken. So, dass irgendwann die Schokolade auch da war, wo sie hingehörte. Und mit den Smarties, mit denen ich ein Herz darauf geklebt hatte, schief und krumm, weil die Schokolinsen durch die flüssige Schokolade und die Wölbung des Kuchens getrieben hatten, was sie wollten, sah das Ergebnis überraschenderweise gar nicht mal so schlecht aus.

Ich verabschiedete Klara und machte mich ans Duschen. Phil würde jeden Augenblick daheim sein, und ich, ich hatte keinen Nerv mehr. Vielleicht würde das kalte Wasser helfen.

„Leon?", ertönte es da auch schon kurze Zeit später. Ich schlüpfte in seinen Bademantel und machte mich auf den Weg zu ihm. „Hey!", begrüßte ich ihn und fiel ihm niedergeschlagen um den Hals. „Alles gut bei dir?", wollte er wissen und musterte mit eng stehenden Augenbrauen mein Gesicht. „Lass das!", knurrte ich und drückte ihn weg. Ich kannte diesen Blick. Hatte er noch nicht genug therapiert diese Woche, dass er bei mir weiter machen musste? Nein, wie man sehen konnte, hatte die Dusche wohl nicht geholfen. Meine Stimmung trieb gefühlt immer noch im tiefsten Höllenschlund umher. Und das alles, weil ich romantisch sein wollte. Ich sollte das in Zukunft echt lassen.

„Was riecht hier so gut?", fragte er und sah sich fragend um. Dieser Lügner ... Es roch immer noch verbrannt. Wem machte er hier was vor? „Nichts!", murrte ich und wäre am liebsten in die Küche, um diesen verfluchten Kuchen in die Tonne zu kloppen. Oder war das vielleicht schon Sondermüll? Ja, mein Gehirn war heute echt nicht mehr auf der Höhe.
„Hast du etwa gebacken?", wollte er da auch schon wissen und ein zauberhaftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Oh, Gott! Weiche Knie und der Wunsch loszustürmen gingen echt nicht gut miteinander einher. „Nein!", quiekte ich panisch, aber da machte er sich auch schon auf den Weg in die Küche und ich ihm hinter.

„Phil!", brüllte ich, während ich neben her damit beschäftigt war, den Bademantel unter Kontrolle zu bekommen. Ich wusste schon, warum ich die Teile hasste. Ständig rutschte der Gürtel, oder er klaffte auseinander. Natürlich war er somit schneller als ich.
„Oh ...", ertönte es und er blieb abrupt stehen, dass ich kurzerhand in seinen Rücken knallte. „Du hast wirklich gebacken. Für mich?", wollte er ehrfürchtig wissen und drehte sich langsam zu mir um.

„Ich ... also ... na ja ... ich ... emmm ... weil doch ...", fing ich an zu stammeln, und Gott sei Dank hatte er erbarmen, zog mich zu sich und küsste mich, dass ich nichts mehr sagen konnte. „Danke!", hauchte er, kaum, dass er von mir abgelassen hatte. Und setzte sich an den Tisch. „Darf ich ihn probieren?", wollte er wissen und blinzelte mich aus seinen warmen Augen an. Was sollte ich denn machen? Wenn er mich so ansah, konnte ich nur noch nicken, auch wenn er mir bereits jetzt schon furchtbar leidtat.

Er aber griff nach der Gabel. Stach mitten in den Kuchen und führte sich diesen Bissen zu den Lippen. Irgendetwas tropfte von der Gabel. Tropfte???????? Mein Herzschlag setzte aus. Er war roh? Zu allem Übel auch noch innen roh? Im Ernst jetzt??? Sämtliche Organe quittierten ihren Dienst. Herz, Lunge ... aber wer brauchte das schon?

„Hmm ... echt lecker!", seufzte Phil, während ich ihn nur noch mit weit aufgerissenen Augen anstarren konnte. Würde ich wohl zuerst ersticken, oder doch an dem Herzstillstand sterben? „Das ist der beste Kuchen, den ich je gegessen habe! Danke!", setzte er grinsend hinzu und leckte sich über die Lippen. Mein rechtes Auge fing wieder an zu zucken. Notaufnahme? Oder mich selbst einweisen lassen? Ich konnte mich echt nicht entscheiden.

„Leon?", flüsterte er und legte seinen Kopf fragend schief. „Probier doch selbst!", schlug er vor und hielt mir die Gabel hin. Es tropfte wieder. Reflexartig streckte ich die Hand aus und fing den Tropfen noch im Flug auf. Automatisch wanderte mein Finger zum Mund und ich schleckte den Teig hinunter. Überrascht weiteten sich meine Augen. Wie jetzt? Es schmeckte tatsächlich ...

„Hey ...", flüsterte er und war mir auf einmal wieder na. Legte seine Hände um mein Gesicht und zog mich zu seinem. „Happy Valentin ...", hauchte ich tonlos, da legten sich seine Lippen auf die meinen.

Unter VerrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt