5. Sven - unseren Träumen so nah

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„Was?", wollte ich scharf wissen, weil er einen dümmlichen Gesichtsausdruck angenommen hatte. Doch er schüttelte lediglich den Kopf. Augenrollend entzog ich ihm meine Hand und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Du denkst, du hast gewonnen!", sagte ich schließlich. „Nur, weil ich etwas für dich empfinde, heißt es noch lange nicht, dass ich bereit bin, diesen Schritt zu gehen. Mensch, Marek! Du hast mich verdammte zehn lange Jahre sitzen lassen. Wieso bist du nie zurückgekommen? Hast nie den Kontakt gesucht? All die Zeit ...", ich seufzte tief und fuhr mir mit beiden Händen durchs Haar. Ich war so kurz davor, zu fallen. Mich wieder auf ihn einzulassen. Aber allein der Gedanke, erneut durch diese Hölle zu gehen. Diesen Schmerz, diese Verzweiflung zu durchleben. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. War ich bereit, im Zweifel zu verlieren? „... Ganz ehrlich, hätte ich nicht den Kontakt wegen Leon zu dir aufgenommen, wärst du jetzt nicht hier." Und das bereitete mir am meisten Kopfzerbrechen. Er war nur hier, weil ich erneut in sein Leben geplatzt war. Wenn das mit Leon nicht gewesen wäre, würde er nicht hier sein. Hätte er mir nicht seine Liebe gestanden und wir hätten nicht möglicherweise eine gemeinsame Zukunft.

„Das ist alles wahr", sagte er schlicht. Griff nach meiner Hand, zog sie wieder zu sich. Verschränkte unsere Finger miteinander. Ich blickte darauf, sah, wie sich unsere Finger ineinander verflochten. Perfekt ineinander passten. Spürte seine Wärme und die wachsende Sehnsucht in meinem Inneren. „Ich hatte immer das Gefühl, nicht das Recht zu haben, dein Leben auf den Kopf zu stellen. Du warst so weit weg."

„Ich war auf der anderen Seite der Stadt!", gab ich mürrisch von mir, um wenigstens etwas Widerstand zu leisten, obwohl ich schon verstand, was er meinte. Völlig ruhig führte er unsere verschränkten Hände zu seinen Lippen und küsste meinen Handrücken.

„Für mich warst du unerreichbar. Die ganze Zeit", murmelte er traurig und etwas bröckelte in meinem Inneren. „Ich wollte dich. Immer. Aber ich konnte nicht. Ich war immerhin gegangen. Ich hatte nicht das Recht, zurückzukommen", flüsterte er und berührte erneut meine Hand mit seinen Lippen. Federleicht und kribbelnd.

Schnaubend lehnte ich mich zur Seite und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Suchte die Nähe zu ihm und fragte mich nicht zum ersten Mal, was wäre, wenn ich die Vergangenheit einfach Vergangenheit sein lassen würde. Einfach loslassen könnte.

„Es gibt keine hundertprozentige Garantie", flüsterte er rau. „Ich kann dir nicht versprechen, dass es mit uns funktioniert. Das kann dir keiner. Aber ich kann dir versprechen, dass ich wirklich, wirklich will, dass es funktioniert und auch alles in meiner Macht Stehende dafür tun werde."

„Ich weiß", erwiderte ich leise und blickte auf zu ihm. Seine großen dunklen Augen spiegelten so viel Wärme, so viel Verzweiflung, so viel Hoffnung wider, dass es mir das Herz zerbrach.

Ich löste mich von ihm, griff mit meiner freien Hand in seinen Nacken und zog ihn zu mir. Berührte seine Lippen, schloss die Augen und konzentrierte mich voll und ganz auf das Hier und Jetzt. Verdrängte die Vergangenheit, zumindest für diesen Augenblick und ließ die Hoffnung, die in diesem Kuss innewohnte, zu.

Er küsste mich sanft und bedächtig, fast schon so, als wäre ich zerbrechlich und mein Herzschlag setzte aus. Alles in mir drin schrie und sehnte sich nach ihm.

Langsam schlug ich die Augen auf und begegnete seinem brennenden Blick. Konnten diese Augen lügen? Nein, aber das haben sie nie. Auch damals nicht. Sein Kopf war das Problem gewesen. Aber vielleicht, ja vielleicht würde er diesmal auf sein Herz hören ...

„Wie wäre es, wenn wir ein bisschen schlafen?", schlug ich vor. „Und morgen ...", ich schluckte und er berührte erneut sanft meine Lippen. „Morgen schauen wir, was das Leben für uns bereithält", raunte ich mit zitternder Stimme gegen seine warmen Lippen. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht und ließ ihn wunderschön erstrahlen. Noch nie hatte er schöner ausgesehen.

Unter VerrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt