1. Sven - auf Pizza und Bier

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Herrgott nochmal! Genau das war der Grund, warum ich eigentlich nicht hier sein wollte. Was zum Henker sollte ich ihm antworten? Pizza und Bier. Das klang so unverfänglich. Locker. Der alten Zeiten wegen. Wollte ich das? NEIN! JA! Verdammt! Na gut. Vielleicht. Ja, einigten wir uns auf vielleicht. Zumindest wusste ich vorher schon, dass, wenn ich ihm wieder begegnete, ins Wanken kommen würde. So wie jetzt gerade.

Bis jetzt hatte ich es einfach ignoriert. Und ich war mittlerweile echt gut darin. Hatte mich in Arbeit gestürzt und ihn und seine bescheuerten Worte einfach ausgeblendet. Gut, ich schlief beschissen. Und wenn ich ehrlich war, war meine Laune es meistens auch. Aber das lag gewiss an dem fehlenden Schlaf. Vielleicht sollte ich mir mal was verschreiben lassen. Jetzt hatte ich doch glatt den Faden verloren.

Salami und Peperoni. Dieser Mistkerl! Er wusste ganz genau, dass ich für eine gute Pizza in dieser Kombi töten würde. Im selben Augenblick knurrte mein Magen verräterisch und ein Lächeln huschte auf sein Gesicht. Grübchen zierten seine Wagen und ließen ihn verdammt heiß aussehen.

Er war schon immer heiß gewesen und hatte diese bescheuerte Wirkung auf mich. Dass mein Mund trocken wurde, mein Kopfkino auf Hochtour lief und mein Körper verrückt spielte. Willkommen zurück in der Pubertät!

Was ich an unzähligen, schlaflosen Nächte damit verbracht hatte, mir auszumalen, wie es wäre ihn auszuziehen und zu vernaschen. Und das noch vor besagter Nacht. Danach wurde es nicht wirklich besser. Es war wie eine Droge. Er war meine persönliche Droge. Und jeder wusste doch, dass man von Drogen die Finger lassen sollte. Sie machten blind. Sie machten abhängig. Sie zerstörten am Ende alles. So war es auch mit ihm. Er würde mich wieder verletzten. Da war ich mir absolut sicher.

„Wann hast du das letzte Mal gegessen?", riss er mich aus meinen Gedanken. „Du hast ganz schön abgenommen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten."

Irritiert blickte ich an mir hinunter und zuckte mit den Schultern. Ja gut, neben dem nicht Schlafen, aß ich auch zu wenig. Das wusste ich selbst. Immerhin nervte mich mein mittlerweile Klugscheißer von einem Neffen in einer Tour damit. Ab und an hatte ich das Gefühl, wir hätten die Rollen getauscht. Nun war er der Vernünftige, der auf mich aufpasste. Ständig stellt er mir irgendwas Essbares neben dem Laptop. Aber ich hatte entweder keine Zeit dazu, oder keinen Hunger.

Da war es schon wieder, dieses Problem mit meiner ganz persönlichen Droge. Mir war durchaus bewusst, was ich da tat. Woran meine Stimmung bei jeder Gelegenheit kippe, ich nicht schlief, oder nicht aß. Aber zugeben, nein, das würde ich nicht. Ich hasste es. Hasse es so sehr, dass er immer noch so eine Macht über mich hatte. Dass er mir, nach all dem, was er mir angetan hatte, nicht egal war. Und vor allem, weil sich tief in meinem Inneren immer noch ein Teil nach ihm sehnte. Doch diesen verrückten Teil musste ich aussperren. Musste mich dagegen wehren. Musste ihn aus meinem Leben schließen und endlich vergessen.

„Nur eine Pizza und ein Bier", hörte ich mich selbst sagen und hätte mir am liebsten eine gescheuert. Was sollte das denn jetzt? Das war nicht der Plan! Das war gefährlich!
„Ich bin immer noch sauer auf dich! Aber ich habe wirklich Hunger", setzte ich hinzu und verkniff mein Gesicht mürrisch. Das war es bestimmt. Ich hatte einfach nur Hunger. Und für eine verdammte Salami Pizza mit scharfen Peperoni würde ich tatsächlich sogar töten. Was bedeutete, ich ging nicht seinetwillen mit. Nein! Es lag nur an der Pizza. Ich liebte Pizza. Und ihn ... nun ja, das sollte ich einfach nicht vertiefen.

„Ich weiß", sagte er schlicht, lief los und ich trottete ihm hinterher. Diese Situation beschrieb witzigerweise meine ganze Beziehung mit Marek. Er war immer ein Stück entfernt, eine Versuchung, ein Versprechen. Heiß und lecker und hinterher müsste ich laufen, um mein Leben und um die Folgen, die er verursachte, wieder loszuwerden.

„Mein Auto, oder deins?", wollte er wissen und blieb stehen, kaum, dass wir den Parkplatz erreicht hatten. Gute Frage. Auf der einen Seite war ich eigentlich viel zu abgelenkt, um zu fahren, auf der anderen könnte ich mit eigenem Wagen jederzeit flüchten.
„Wenn es dir nichts ausmacht, könnten wir auch laufen. Da vorne ums Eck gibt es einen guten Italiener.", schlug er vor und schien meine Gedanken lesen zu können. Gruselig. Das war früher nicht so gewesen. So hoffte ich zumindest. Da waren meine Gedanken bei seinem Anblick selten jugendfrei. Zu meiner Verteidigung, ich hatte echt ein schlechtes Gewissen. Sich ständig vorzustellen, den Schwanz seines besten Freundes zu lutschen, über ihn herzufallen und sich tief ihn ihm zu versenken, war nun mal nicht das, was man tun sollte. Außerdem war das der Klassiker und somit so richtig bedauernswert. Verknallt in seinen besten Freund. In seinen verdammt noch mal nicht schwulen besten Freund, der langsam anfing Interesse an Mädchen zu entwickeln. Statt an mir! Ja, das war damals echt nicht meine Zeit ...

„Emm ...", stotterte ich und überlegte kurz. Aber im Grunde war es wirklich ideal. Wenn er mir auf den Sack ging, könnte ich einfach aufstehen und abhauen. Ich war nicht von ihm abhängig und brachte weder sein noch mein Leben in Gefahr, wenn ich mich hinter das Steuer setzte und planlos und vor allem hirnlos durch die Gegend fuhr. „Gerne", bestätigte ich und kassierte erneut ein Lächeln. Kurz überlegte ich, wirklich zu sagen, dass er das doch bitte lassen sollte, aber dann wäre ich mir echt noch erbärmlicher vorgekommen. Also tat ich einfach so, als hätte ich es nicht gesehen, drehte mich in die Richtung, in die er gedeutet hatte, und lief los. Er folgte mir, schloss auf und lief dann schweigend neben mir her.

Na, das würde ja lustig werden ... Mir fiel nämlich absolut nichts ein, dass nicht nach Vorwurf klang. Und ich freut mich auf meine Pizza, also wollte ich mit Anklagen, wenigstens bis nach dem Essen warten.

Es war nicht mein Problem, beschloss ich kurzerhand. Er wollte Zeit mit mir verbringen, also sollte er auch reden. Ich konnte ja, hin und wieder antworten. Und wenn ich mich anstrengte, sogar ganz nett. Ja, das würde schon funktionieren.

„Danke, dass du Phil diesen Wunsch erfühlt hast", sagte er in die Stille und ich blicke kurz zu ihm hinüber. Diesmal lächelte er nicht, aber was machte ich mir vor, selbst wenn er ernst dreinschaute, wie gerade eben, war er gefährlich.

Der Marek von damals war schon hübsch gewesen. Vielleicht ein bisschen zu sehr Nerd. Aber um ehrlich zu sein, seine damalige dunkle Brille und der Streberlook waren schon sehr ansprechend und wenn er mich ansah und schief lächelte, hätte er auch einen Kartoffelsack anhaben können, ich wäre ihm trotzdem verfallen.

Der Marek von heute war hingegen eine Wucht. Seinen langen, schlaksigen Körper hatte er anscheinend sehr ausgiebig trainiert, den selbst durch das Hemd, welches er trug, konnte man seine Muskeln erahnen. Außerdem war sein Gesicht markanter und kantiger geworden und seine Augen ohne Brille und nun mit Kontaktlinsen, wie ich vermutete, größer und strahlender. Und ganz ehrlich, wäre ich ihm heute zum ersten Mal begegnet, ich hätte mich wohl ratzfatz Hals über Kopf in ihn verliebt. So versuchte ich lediglich cool zu bleiben.

Fragend blinzelte er mich an. War was? Oh, verdammt ja. Er hatte ja was gesagt. Aber wenn sich diese Lippen bewegten, dachte ich nicht unbedingt daran zu ... küssen, ähm ... reden ... ich meinte REDEN! Oh Gott, er küsste so gut. Damals, als er in meiner Tür stand. Mich wortlos an die Wand geschubst und mich geküsst hatte. Verdammt! Allein der Gedanke daran ließ mich hart und meine Knie gleichzeitig weich werden.

„Es ist ein tolles Projekt", erinnerte ich mich, dass man Konversation von mir erwartete. „Du weißt, das Leben meiner Schwester war nicht leicht, ist es heute noch oft immer noch nicht und ich bin für alles, was solchen Menschen das Leben erleichtert. Bei deinem Bruder hab ich das Gefühl, dass er es gut macht."
„Das tut er." Wieder lächelte er und ich sah wieder nach vorne.
„Ist es noch weit?", lenkte ich ab und sah die Straße hinauf.
„Nein, nur noch ein paar Häuser", erwiderte Marek und im selben Augenblick erblickte ich das besagte Lokal.

Nun wieder schweigend überbrückten wir das Stück Weg und je näher wir traten, desto köstlicher roch es. Nach Knoblauch, Gewürzen und Brot, was mein Magen gleich mal zum Anlass nahm, lautstark zu knurren.

„Lass uns hineingehen", schlug Marek vor. „Bevor du mir hier direkt auf der Straße verhungerst."
„Ich verhungere schon nicht!", erwiderte ich bestimmt, ging aber an ihm vorbei und betrat als Erster das Lokal. Mein Magen krampfte sich zusammen, sodass ich irrwitziger Weise das Gefühl hatte, es würde tatsächlich so kommen. Aber wo würden wir hinkommen, wenn er recht bekam? Nein, das ging nun wirklich nicht.

Drinnen begrüßte uns ein junger Italiener, der Marek anstrahlte und ihm zuzwinkerte. „Gleichen Tisch wie immer, Marek?", wollte er wissen und ignorierte mich völlig.
„Ja bitte, Silvio. Für zwei", fügte er hinzu und kurz schien das Lächeln des Kellners zu kippen, doch dann wandte er sich ab, griff nach den Karten und begleitete uns zum Tisch. Nachdem wir uns gesetzte und die Karten entgegengenommen hatten, verschwand er wieder.

„Läuft da was?", rutschte es aus mir heraus und ich biss mir erschrocken auf die Zunge. Zum Teufel! Wo kam das denn auf einmal her? Erstens ging es mich nichts an. Zweitens war es mir sowieso egal. Und drittens, war ich mir nicht sicher, ob ich die Antwort auf diese Frage ertragen könnte.
„Mit wem? Silvio?", fragte Marek und blickte sich nach besagtem Italiener um. „Nein, er versorgt mich nur regelmäßig mit Essen, wenn es wieder spät wird in der Arbeit", antwortet er ehrlich und etwas verblüfft. „Wie kommst du darauf?", wollte er noch wissen, und am besten wäre es gewesen, auf ein unverfängliches Thema zu wechseln. Das Wetter, oder so.
„Weil er mit dir flirtet", sagte mein Mund stattdessen, ohne sich mit meinem Hirn kurz zuschließen und nach meiner Meinung zu fragen. Denn ich wollte mich eigentlich nicht über sein Liebesleben unterhalten. Vor allem, wenn es sich dabei um ein schwules Liebesleben handelte.
„Nein", lachte Marek auf und schüttelte den Kopf. „Silvio doch nicht."
„Doch", antwortete ich schlicht und konnte immer noch nicht aus meiner Haut. Und bevor mein Gegenüber etwas erwidern konnte, trat besagter Italiener an unseren Tisch, um die Getränke aufzunehmen.
„Ich nehme ein dunkles Bier", wandte ich an den jungen Mann, lächelte ihm zu, dann blickte ich zu Marek, griff über den Tisch, streichelte ihm über die Hand und sah ihm tief in diese wunderschönen, braunen Augen. „Und für dich, Darling?", säuselte ich und fragte mich ernsthaft, ob ich einen Schlaganfall erlitten hatte, oder was mich sonst zu so einer Aktion veranlasst hatte.
„Auch", hauchte Marek. Blinzelte, während unsere Blicke regelrecht verschmolzen. Dann sah er zu Silvio auf und wiederholte seine Bestellung. Wie erwartet, starrte der Italiener Marek fassungslos an.
„Du hast gar nicht erzählt, dass du einen Freund hast", sagte er schlussendlich, wandte sich um und ging davon, ohne auf eine Antwort auf seine Frage zu warten. Ich hoffte bloß, dass er sich die Bestellung gemerkt hatte und dass er mir nicht für diese Aktion ins Essen spuken würde.

Kaum, dass er weg war, zog ich meine Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt.
„Wie du siehst, er hat Interesse", erklärte ich schlicht und hätte mir am liebsten selbst mit der flachen Hand gegen die Stirn gehauen, so sah ich weg und spielte stattdessen nervös mit dem Besteck. Schob die Gabel, die verrutscht war, wieder parallel zum Messer. „Ich werde das natürlich, wenn er wieder kommt, klarstellen. Dann steht euch nichts im Weg", sagte ich, konnte ihn dabei aber nicht ansehen. Gott, was war ich nur für ein Idiot!

„Sven!", fuhr mich Marek plötzlich an und ich hob den Kopf. Wut glühte in seinen dunklen Augen. Was zur Hölle lief nur schief bei mir? Wieso machte ich sowas? Wieso machte er mich immer noch so nervös, dass ich nicht mehr klar denken konnte? Sonst war ich nicht so. Wirklich. Und um ehrlich zu sein, mir gefiel auch nicht, so zu sein.
„Hmm ...", machte ich gedankenverloren und fragte mich ernsthaft, was ich hier noch wollte. Am besten wäre es gewesen, gar nicht erst mit Leon mitgefahren zu sein. Aber ein Teil von mir. Dieser verrückte. Wollte ihn wieder sehen. Wollte Zeit mit ihm verbringen.

Vermisste ihn so sehr.

Unter VerrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt