9. Leon - hinter der Hecke

274 39 49
                                    

„Hey!", riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken und ich fuhr erschrocken herum.

„Versteckst du dich etwa?", wollte das Mädchen, mit dem ich bei meinem ersten Besuch hier kollidiert war, belustigt wissen. Ertappt zuckte ich lediglich mit den Schultern, denn leugnen war zwecklos. Und sah mich vorsichtshalber nochmal um, ob sie allein war oder ob er mich suchen kam.

Eigentlich war ich ja naiverweise davon ausgegangen, dass mich hinter dieser verfluchten Hecke niemand fand. Da hatte ich mich wohl gehörig getäuscht, wenn ich kaum, dass ich zehn Minuten hier saß, schon von ihr entdeckt wurde.

„Etwa von Phil?", fragte sie schmunzelnd und ließ sich dicht neben mir nieder, sodass sich unsere Oberarme berührten.

Diese aufgezwungene Nähe zu ihr war mir augenblicklich zu viel und unangenehm, aber ich wollte auch nicht als Idiot rüberkommen, wenn ich jetzt demonstrativ von ihr wegrutschte.

„Ich seh schon, du redest wie ein Wasserfall!", machte sie ungerührt meines Schweigens weiter und ich fragte mich einen Moment, ob sie es gewohnt war Selbstgespräche zu führen. Schließlich war sie im Gegensatz zu mir tatsächlich stationär hier untergebracht.

„Wieso bist du eigentlich hier?" Stellte ich die Frage, die mich bereits seit unserer ersten Begegnung wurmte. Phil meinte ja, ich sollte sie selbst fragen. Außerdem machte sie erneut keinen verrückten Eindruck auf mich. Eigentlich wirkte sie sogar ganz normal. Gut, sie rückte mir gerade etwas zu nah auf die Pelle, aber das hatte das ein oder andere Mädel in der Schule auch schon getan.

„Ich versteck’ mich auch", seufzte sie verschwörerisch. „Aber vor Marek!" Und verschränkte ihre Füße zu einem Schneidersitz, legte das schwarze Buch, dass sie bei sich trug, auf den Schoß und blickte mich lächelnd von der Seite an. Auch heute war sie komplett in Schwarz gekleidet, sodass ihre blasse Haut und ihre roten Haare nur umso mehr hervorstachen.

„Das hab ich nicht gemeint", gab ich etwas zögernd zurück und ihr Lächeln wurde breiter. „Ja, ich weiß. Was ich hier auf dieser schönen Welt treibe? Du, keine Ahnung!", stöhnte sie und zuckte grinsend mit den Schultern. „Die viel interessantere Frage ist doch, warum versteckst du dich vor Phil? Er ist doch ein Goldstück", meinte sie und ihr Grinsen wurde nochmal ein Stück breiter. Ich wusste auch nicht, aber irgendwie, auf eine nicht nachvollziehbare Art und Weise, gefiel es mir nicht, wie sie das so von sich gab. Verträumt, und mit funkelnden Augen, fast so, als wäre sie verknallt.

Ihr flammendes Haar trug sie heute zu einem Zopf, der ihr über die Schulter hing und mit dem sie jetzt spielte. „Wie wäre es, wenn wir tauschen", schlug sie vor. „Ich nehme Phil und du bekommst Marek." Seufzend blickte sie hoch in den blauen Himmel, wo die Wolken in rasender Geschwindigkeit über uns hinwegzogen.

„Ich bin kein Patient", entkam es mir härter als beabsichtigt. Aber seit meinem Streit mit Sven war dies ein wunder Punkt. Wie ein Geschwür in meinem Hirn, das mein Denken verpestete. Gestern bei Phil war ich ja auch ausgetickt.

Das, was er mir diesbezüglich im Wald gesagt hatte, hatte so ehrlich geklungen, dass ich hoffte, ihm glauben zu können. Denn ein Teil tief in mir drin wollte es wirklich, wollte ihm glauben, ihm vertrauen. Und doch hatte ich das dringende Bedürfnis, in der Arbeitszeit zu blockieren und ihn auf Abstand halten zu müssen. Klar, das war bekloppt, das war mir durchaus bewusst. Weil, wenn er tatsächlich irgendwelche Psychospielchen mit mir spielen wollen würde, könnte er es auch genauso gut nach der Arbeit und während der Pause tun. Vermutlich würde ich, bescheuert wie ich war, nicht einmal etwas davon mitbekommen. Aber die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt, selbst bei mir, dem selbst auserkorenen Pessimisten. Und solange ich mir einredete, dass das ok war, konnte ich mich tatsächlich auf ihn einlassen und normal mit ihm reden.

Unter VerrücktenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt