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Der Don erwartet dich bereits. Es ist dieser eine Satz, der meine Gedanken beherrscht, als der Riese mit den Aknenarben mich zu einem Seiteneingang führt.

Würzige Waldluft steigt mir in die Nase. Irgendwo bellt ein Fuchs. Fast könnte man die Atmosphäre als idyllisch bezeichnen, und wäre ich nicht so aufgebracht, hätte ich mich bestimmt wie Jane Eyre persönlich gefühlt.

Aber das hier ist keine Charlotte Bronte Romanze, und Sonny ist auch nicht Mr. Rochester. Mr. Rochester mag Jane zwar belogen haben, aber es geschah aus Liebe. Santino hingegen hat meine dumme Kleinmädchenschwärmerei ausgenutzt um mich ans Messer zu liefern. An seinen Don.

Davon bin ich überzeugt. Warum sonst hat er mir vorhin so abrupt den Rücken zugewandt? Ich kann nicht anders, als diese Geste als Verrat zu deuten. Vielleicht, weil mir die Empfindsamkeit gegenüber jeglicher Illoyalität in die Wiege gelegt wurde.

Ich versuche die würzige Waldluft so tief es geht in meine Lugen strömen zu lassen, als eine Welle von Übelkeit mich ergreift. Mein Begleiter hämmert mit der Faust gegen die Tür. Seine Haut ist an den Knöcheln aufgeplatzt und offenbart das rötliche Fleisch.Schon spüre ich den bitteren Geschmack von Magensäure auf der Zunge.

"Wer ist da?"

"Capriccio, du Idiot!" Bellt mein Begleiter und die Tür wird einen Spalt breit geöffnet. Sekundenlang schwebt ein ängstliches Jungengesicht im Türspalt. Ein Fußtritt von Capriccio lässt den Jungen nach hinten taumeln.

Wir steigen über den armen Teufel hinweg und Capriccio versetzt auch mir einen Stoß. Zitternd blinzle ich in das schummrige Licht eines staubigen Kronleuchters. Der Raum scheint etwas wie eine Küche zu sein. Über einem schweren schmiedeeisernen Herd in der Ecke hängen zahlreiche Töpfe , Pfannen und Kellen von der Decke. In der Mitte steht ein großer Tisch an dem ein paar Männer sitzen.

Ihre Gesichter sind vollkommen ausdruckslos. Einer von ihnen trägt eine Augenklappe , er ist der einzige, der sein Gesicht zu einem winzigen Lächeln verzieht als unsere Blicke sich treffen.

"Setz dich hin!"Carpriccio deutet auf einen Stuhl am äussersten Rand des Tisches. Ich bleibe lieber stehen," bringe ich hervor, und hoffe verzweifelt darauf, dass ich diesen Raum schleunigst wieder verlassen darf. Jetzt, in diesem Moment, bereue ich alles was ich getan habe um von der Familie loszukommen. Ich habe sie auf verhängnisvolle Weise unterschätzt und das trotz all der schrecklichen Dinge, die ich dank ihr erlebt habe. Ohne Amos schützende Hand über meinem Kopf bin ich ein Niemand. Ein dummer, kindischer Niemand. Doch ich werde nicht einknicken. Sie werden mich nicht brechen.

"Du setzt dich jetzt da hin!" Capriccio packt mich am Schopf. Ich stöhne auf vor Schmerz als er mich zu dem Stuhl zerrt. "Hinsetzten!"

Alles in mir widerstrebt sich diesem Befehl. Doch der brennende Schmerz meiner Kopfhaut und die wachsende Übelkeit tragen einen vorübergehenden Sieg davon und ich gehorche. Widerwillig lasse ich mich auf der kalten hölzernen Fläche des Stuhls nieder.

"Das werden Sie bereuen. " Drohe ich. "Mein Vater ist Il Greco. Wissen Sie, wer Il Greco ist? Er verwandelt erwachsene Männer in brüllende Kleinkinder, wenn sie ihm nicht gehorchen!"

Ein plötzlicher Selbsthass überkommt mich und steigert die Übelkeit, als ich unwillkürlich an Enzo denken muß . Mühevoll unterdrücke ich das vertraute Würgen.

Ich schlucke mehrmals. Der Typ mit der Augenklappe mustert mich, während alle anderen es vermeiden mich anzusehen.

"Wir wissen wer du bist. Carlo hat uns stets über dich auf dem Laufenden gehalten." Donnert Capriccio voller herbalassender Schadenfreude.

Ich beisse mit auf die Zunge. Carlo. Natürlich: Carlo-Santnio. Ich war blind für eine Wahrheit die direkt vor meinen Augen lag. Jetzt bloss nicht anfangen zu heulen, hämmert es in meinem Kopf. Alles, nur das nicht. In diesem Moment fällt mein Blick auf die Tischmitte . Ein Topf steht da, in dem mehrere durchsichtige Päckchen zu sehen sind, in denen weißes Pulver schimmert.

PromiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt